Einsatz von Biologika bei älteren Menschen

Wie der World Report on Ageing und Health der WHO1 vorhersagt, wird es im Jahr 2050 über 2 Milliarden Menschen > 60 Jahre geben. Das Segment der über Hundertjährigen wächst derzeit am schnellsten. Das hat für unsere Therapieentscheidungen einerseits und für unser Gesundheitssystem andererseits große Bedeutung. Die Frage ist, ob und worin sich die Therapie älterer Patient:innen unterscheidet.

Immunoseneszenz

Das Altern, oder Ageing, ist ein komplexes biologisches Phänomen2, das alle Organe und Systemfunktionen betrifft und den Hauptrisikofaktor für geriatrische Erkrankungen darstellt. Die Veränderungen betreffen Inflammation, Stoffwechsel und Stressadaptation. Das Altern des Immunsystems wird als Immunoseneszenz bezeichnet und betrifft sowohl angeborenes als auch adaptives Immunsystem. Im angeborenen Immunsystem fällt eine erhöhte Grundaktivierung auf. Das wird einerseits dem lebenslangen Triggern zugeschrieben und andererseits dem vermehrten Vorhandensein von Zelldebris, der neben spezifischen Antigenen zusätzlich als unspezifischer Trigger fungiert. Neutrophile und Makrophagen als wichtige Effektorzellen des angeborenen Immunsystems sind in vermehrter Zahl vorhanden. Funktionell sind sie jedoch weniger aktiv und mikrobizid, was zu erhöhter Sepsisneigung führen kann, sowie teilweise unreif, was zu proinflammatorischer Wirkung auf Th17-Zellen und folglich zu erhöhter IL-17-Produktion führen kann. Im adaptiven Immunsystem werden naive Zellen rarer, während alternde Zellen nach Antigenkontakt und Enddifferenzierung akkumulieren. Auch hier finden sich Th17-Zellen vermehrt mit entsprechend erhöhter IL-17-Produktion, andererseits sind regulatorische T-Zellen in verminderter Anzahl zu finden, mit einer daraus folgenden Einschränkung von inhibitorischen Eigenschaften. Zusammenfassend finden wir im Alter einen proinflammatorischen Grundzustand (sog. Inflammaging) assoziiert mit einer verminderten Fähigkeit, neue Immunantworten zu generieren. Somit steigen Autoimmunität und Infektneigung, während das Abräumen entarteter Zellen und das Impfansprechen sinken (Abb. 1).

Abb. 1: Veränderungen des Immunsystems im Alter: proinflammatorischer Grundzustand assoziiert mit einer verminderten Fähigkeit, neue Immunantworten zu generieren

 

Biologika im Alter – ausgewählte Indikationen

Chronisch spontane Urtikaria

Die chronisch spontane Urtikaria (CSU) ist eine mastzellgesteuerte Erkrankung, wobei IgE einer der häufigsten Trigger der Mastzelldegranulation ist. Omalizumab ist ein monoklonaler Antikörper (mAb), der IgE bindet und das Auftreten von Quaddeln und Angioödemen verhindert. Er wird in einer Dosis von 300 mg alle 4 Wochen subkutan verabreicht und ist zur Langzeitbehandlung geeignet. In den aktuellen Leitlinien3 steht er auf der 2. Stufe nach H1-Antihistaminika der 2. Generation. Die CSU kommt in allen Altersgruppen vor, Studien wurden jedoch nur mit Teilnehmer:innen bis 79 Jahre durchgeführt. Omalizumab ist kaum immunsuppressiv, gelegentlich können Wurminfektionen etwas schwerer verlaufen, die jedoch in dieser Altersgruppe keine besondere Rolle spielen. Es wurden weder Wechselwirkungen noch spezielle Gefahren für ältere Menschen berichtet, im Gegenteil aber ein wesentlich besseres Sicherheitsprofil im Vergleich zu sedierenden H1-Antihistaminika der 1. Generation und systemischen Kortikosteroiden, die beide auch noch immer in der Therapie der CSU zur Anwendung kommen. Weiters wird noch Cyclosporin A in der Therapieeskalation erwähnt, besonders hier ist das Sicherheitsprofil wesentlich ungünstiger als jenes von Omalizumab. Somit kann der leitliniengerechte Einsatz von Omalizumab in der Altersgruppe > 60 Jahre durchaus empfohlen werden.

Systemischer Lupus erythematosus

Der systemische Lupus erythematosus (SLE) ist eine Multisystem-Autoimmunerkrankung. Einer der multiplen pathophysiologischen Aspekte ist die Überexpression von B-Lymphocyte-Stimulator (B-lys), der als wichtiger Überlebensfaktor für B-Lymphozyten agiert. Belimumab ist ein mAb, der B-lys bindet und somit das Überleben und die Differenzierung von B-Zellen hemmt. Er wird zumeist in einer Dosis von 200 mg wöchentlich subkutan injiziert. In den EULAR-Empfehlungen4 liegt Belimumab als Zusatzoption auf der 3. Stufe nach Hydroxychloroquin und oralen Glukokortikosteroiden bei der Behandlung des moderaten SLE. Der SLE tritt vor allem in jüngerer Population auf, allerdings sollte auch an einen Late-Onset-SLE gedacht werden, der sich vermehrt durch Serositis, Thromboembolien und Depressio und weniger durch Haut-, Gelenk- und Nierenbeteiligung manifestiert.5 Da Belimumab immer als Add-on-Therapie verwendet wird, sind auch die beobachteten Nebenwirkungen (Infektionen 11% und Depressio 13%) als kumulative Nebenwirkungen zu werten. Schwere Nebenwirkungen wurden in gleicher Frequenz wie in der Kontrollgruppe berichtet. Somit kann Belimumab auch in der Altersgruppe > 60 Jahre nach denselben Anwendungsprinzipien verwendet werden.

Atopische Dermatitis

Die atopische Dermatitis (AD) ist eine Erkrankung, die neben Barrieredefekt und Dysbiose vor allem durch eine Dominanz der Th2-Zellen charakterisiert ist, die zu einer Überexpression der Zytokine IL-4 und IL-13 führt. Dupilumab ist ein mAb, der IL-4 und IL-13 bindet und bei bis zu 70% der behandelten Patient:innen zu einer 75%igen Besserung der Symptome (EASI 75) führt. Er wird in einer Dosierung von 300 mg alle 2 Wochen appliziert und ist zur Langzeitbehandlung geeignet. Eine meist gut behandelbare Konjunktivitis, die bei bis zu einem Viertel der Patient:innen auftreten kann, ist die bedeutendste Nebenwirkung. Tralokinumab ist ein mAb, der nur IL-13 bindet und in gleicher Dosierung verabreicht wird. Wirkung und konjunktivale Nebenwirkung sind niedriger. Beide mAbs finden sich in den Empfehlungen6 auf der 4. Stufe nach Ausschöpfung von indifferenter und differenter Lokaltherapie sowie Phototherapie. Die AD tritt bei Älteren mit einer Prävalenz von 3% auf.7 Altersbedingte Hautveränderungen wie reduzierte Barrierefunktion, Dysregulation der angeborenen Immunität, Th2-Shift der adaptiven Immunität und erhöhte Besiedelung mit Staphylococcus aureus überlappen mit den Charakteristika der AD und verstärken einander. Dupilumab ist nicht immunsuppressiv und wirkt auch in dieser Altersgruppe exzellent, wobei die konjunktivalen Nebenwirkungen sogar seltener beobachtet werden. Eine Therapie mit einem der beiden mAbs ist jedenfalls den klassischen Systemtherapeutika Cyclosporin A oder auch Methotrexat und Azathioprin (beide ohne Zulassung für die AD) aufgrund besserer Wirkung und besserer Safety vorzuziehen.

Psoriasis vulgaris

Die Psoriasis vulgaris (PV) ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die Zytokine IL-23, IL-17 und TNF-a pathophysiologisch zentrale Rollen spielen. Die biologischen Antagonisten der IL-23/IL-17-Pathways führen bei > 80% der Patient:innen zu einer 90%igen Verbesserung (PASI 90) der Symptome, bei den TNF-a-Antagonisten liegt der PASI 90 bei 40%. In unseren Leitlinien liegen diese Biologika auf der 4. Stufe nach Ausschöpfung von indifferenter und differenter Lokaltherapie sowie Phototherapie und klassischer Systemtherapie. Die PV tritt bei Älteren mit einer Prävalenz von bis zu 4% auf.8 Die Lokaltherapie wird zunehmend beschwerlich, die UV-Therapie ist oft ausgeschöpft oder aufgrund von Hautkrebs kontraindiziert. Die klassischen Systemtherapeutika Methotrexat, Fumarsäureester und Cyclosporin A führen in dieser Altersgruppe signifikant häufiger zu Nebenwirkungen. TNF-a-Antagonisten führen bei gleichen Ansprechraten minimal häufiger zu schweren Infektionen in den ersten 6 Therapiemonaten, hier ist ein etwas engmaschigeres Monitoring in der Initialphase günstig. Die IL-17-Antagonisten zeigen sogar etwas erhöhte Ansprechraten bei gleichem Sicherheitsprofil. Die IL-23p19-Antagonisten unterscheiden sich weder in der Effektivität noch in der Sicherheit im Vergleich zu < 65-Jährigen (Abb. 2). Deshalb sind Biologika zur Behandlung der PV auch bei älteren Patient:innen zu empfehlen.

Abb. 2: Patient > 80 Jahre vor (A) und während (B) der Behandlung mit einem IL-23p19-Antagonisten