klinik-Umfrage: Schlechteste Noten für Gesundheitspolitik

Ginge es um Schulnoten, dann sähe das Zeugnis erbärmlich aus. Denn die meisten Spitalsärzte Österreichs benoteten die Gesundheitspolitik mit 4 oder 5.
klinik hat Anfang März 300 Spitalsärzte quer durch alle Bundesländer (ausgenommen Vorarlberg) befragt. Der Frust ist enorm. Die Berufsgruppe lässt sich nicht mehr länger verschaukeln.

Aufgestauter Frust

Die Vorgeschichte ist bekannt. Die Situation ist seit Jänner in vielen Häusern eskaliert. klinik hat in den letzten Ausgaben umfassend über die Probleme und Proteste berichtet, Ende Jänner auch eine Sondernummer herausgegeben. Nun wollten wir es genau wissen und haben eine Umfrage unter Österreichs Spitalsärzten unterschiedlicher Fachrichtungen quer durch alle Bundesländer durchführen lassen, in der die Zufriedenheit mit den Arbeitszeit- und Gehaltsverhandlungen und der Gesundheitspolitik erhoben wurde. Die Umfrage wurde im März noch während den laufenden Gehaltsverhandlungen durchgeführt, 300 Spitalsärzte aus allen Bundesländern (Ausnahme Vorarlberg) haben daran teilgenommen (Tab. 1). Die Erhebung wurde über Online-Interviews mit semistrukturierten Fragebögen durchgeführt.
War es noch wenig verwunderlich, dass in der hitzigen Phase der vielerorts stagnierenden Gehalts- und Arbeitszeitverhandlungen die Zustimmung mit Standesvertretung und Politik nicht gerade berauschend ausfallen würde, so überraschte das Ausmaß der Unzufriedenheit dennoch. Auf den Punkt gebracht: Österreichs Spitalsärzten reicht es. Es ist Feuer am Dach.
Die Frage nach den gravierendsten Problemen des Gesundheitssystems zeigt deutlich, dass die Probleme weit tiefer liegen, als oftmals vordergründig gemutmaßt wird. Längst geht es nicht mehr nur um eine adäquate Bezahlung, sondern um einen gravierenden Personalmangel, um die Aufrechterhaltung der Versorgung und das Verhindern weiterer Leistungskürzungen ebenso wie um gesundheitspolitische Reformen.
Und das, was vielfach totgeschwiegen wird – weil nicht sein kann, was nicht sein darf –, ist längst Realität, wie die befragten Ärzte angeben: Zwei Drittel berichten bereits von Leistungskürzungen.

 

 

Feuer am Dach

Im Österreichschnitt geben 66% (!) der befragten 300 Ärzte an, dass aufgrund der Arbeitszeitreduktion in ihren jeweiligen Häusern ­bereits Leistungen reduziert werden müssen (Abb.). Leistungsreduktionen wurden (mit einer Ausnahme) aus allen Bundesländern von mindestens 60% der Befragten berichtet, in manchen Bundesländern von über 80%, in Kärnten sogar von 97%. Ausnehmend niedrig nur die Steiermark mit „nur“ 42%.

 

 

Leistungskürzungen sind Realität

Betroffen von Leistungskürzungen sind vor allem Ambulanzleistungen und Operationen: 60% jener Ärzte, in deren Häusern es zu Leistungseinschränkungen kommt, berichten von der Reduktion ambulanter Leistungen (wie geschlossenen Spezialambulanzen, tageweisen Ambulanzsperren, langen Wartezeiten, aber auch Kürzungen bei Nachsorge etc.), 47% berichten von Kürzungen bei Operationen: Die Bandbreite der Nennungen reicht von verschobenen Operationen, Absage von insbesondere elektiven Eingriffen bis zu OP-Saal-Sperren. An dritter Stelle werden Einschränkungen bei Untersuchungen genannt (Reduktion und lange Wartezeiten bei Endoskopie, aber auch bildgebender Diagnostik, Ergometrie). 10% berichteten bereits von eingesparten Diensträdern (gestrichene Journaldienste, unterbesetzte Stationen etc.), 9% von der Reduktion stationärer Aufnahmen bzw. Stationssperren.
Befragt nach dem Ausmaß der jeweiligen Kürzungen, werden diese mit durchschnittlich etwa 25% bemessen.
Diese Angaben sind umso bemerkenswerter, als Leistungskürzungen in vielen Bundesländern ja von offizieller Seite totgeschwiegen oder – noch schlimmer – verleugnet und kritische Ärzte, die den Versorgungsnotstand thematisieren, mit Disziplinardrohungen ruhiggestellt werden (siehe Beitrag zum Schweigegebot alias Maulkorberlass in klinik 1/2015).
Auffällig aber selbst in dieser Befragung: Während die anderen Fragen von nahezu allen befragten Ärzten auch beantwortet wurden, haben immerhin 12% die Frage, ob es bei ihnen schon Leistungsreduktionen gibt, nicht beantwortet.

Unzufrieden mit Gesundheitspolitik

Große Unzufriedenheit zeigen Österreichs Spitalsärzte auch mit der Gesundheitspolitik. 82% sind mit der aktuellen Gesundheitspolitik unzufrieden oder sehr unzufrieden, Notenwert: 4,2. Das zieht sich quer durchs Bundesgebiet, die Schwankungen sind relativ gering, in allen Bundesländern stellt man der Politik ein schlechtes Zeugnis: mit Noten von 4,0 bis 4,6 (Tab. 2).
Wenig verwunderlich, dass sich Ärzte angesichts der Unzufriedenheit mit der Gesundheitspolitik und vielerorts auch mit der Verhandlungsführung eine andere gewerkschaftliche Vertretung wünschen. Eine Gewerkschaft für angestellte Ärzte hält österreichweit eine große Mehrheit der Krankenhausärzte für sinnvoll (Durchschnittsnote: 1,9). Am höchsten war die Zustimmung in Tirol (1,4), etwas weniger Bedarf sieht man in Oberösterreich (2,3).
Die Frage nach dem dringendsten gesundheitspolitischen Thema, das gelöst werden sollte, wurde von der überwältigenden Mehrheit der Befragten sehr, sehr ausführlich beantwortet. Die Personalsituation in den Krankenhäusern (Ärztemangel, Abwanderung, Gehalt, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen) war dabei nur ein Aspekt, der zur Sprache kam. Die angesprochenen Probleme gehen noch viel tiefer: Weitere Themen waren die Stärkung des niedergelassenen Bereichs, die Probleme des dualen Finanzierungssystems und des Föderalismus, Doppelgleisigkeiten, die Notwendigkeit von gesundheitspolitischen, medizinisch orientierten Reformen, Probleme der Ausbildungssituation etc. Eine genaue Analyse der angesprochenen Problemfelder lesen Sie in der nächsten Ausgabe von klinik.

 

 

 

Die Online-Befragung wurde von dem ­Marktforschungsinstitut medupha durchgeführt.
medupha ist seit 1972 als Markforschungsinstitut mit Kernkompetenz im Gesundheitsbereich tätig und liefert maßgeschneiderte Marktforschungsstudien zu verschiedenen Zielgruppen im Health-Care-Sektor – insbesondere zu Ärzten, Apothekern, Pflegepersonal und ­Patienten. Die Hauptmärkte Österreich und Deutschland werden mit einer eigenen ­Feldorganisation betreut. Das Spektrum der angebotenen Methoden reicht von Face-to-Face-Interviews über Telefon- und Online-Erhebungen bis hin zu Tiefeninterviews, ­Fokusgruppen und Workshops. medupha agiert als Full-Service-Agentur und bietet fachkompetente Beratung von der Konzeption bis hin zur strategischen Umsetzung.
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AutorIn: Susanne Hinger

Klinik 02|2015

Herausgeber: MedMedia Verlag und Mediaservice GmbH
Publikationsdatum: 2015-05-07