Wiener Gesundheitssystem am Abgrund: Spitalsarzt als Sisyphus

Während andere Bundesländer es längst geschafft haben, sich mit ihren Ärzten zu einigen und einerseits halbwegs attraktive Gehaltspakete vorzulegen, andererseits auch den steigenden Personalbedarf zumindest zu erkennen, läuft in Wien noch immer alles anders. Als einziges Bundesland glaubt man hier, parallel zur Arbeitszeitreduktion auch noch Planstellen einsparen zu können!

Wien will Quadratur des Kreises

Der KAV-Generaldirektor Udo Janßen ließ ja bekanntlich, kaum dass Ende Jänner eine erste Einigung erzielt war, mit der „bescheidenen“ Zahl von 382 einzusparenden Stellen aufhorchen. – Für Ärzte und Abteilungen, die jetzt schon nicht wissen, wie sie unter Einhaltung des neuen Arbeitszeitgesetzes überhaupt den Betrieb aufrechterhalten sollen, die Quadratur des Kreises. Wie das gehen soll, soll den Primarärzten jetzt noch dazu von externen Beratungsfirmen nähergebracht werden …
Schon jetzt können Diensträder nicht aufrechterhalten werden, und es müssen Leistungen reduziert werden. Aus den KAV-Häusern, aber auch aus dem AKH erreichen uns laufend Berichte betroffener Ärzte, die offen den Versorgungsmangel aufzeigen. Andere wollen aus Rücksicht auf angedrohte dienstrechtliche Konsequenzen nicht namentlich genannt werden. Die schriftliche Schweigeaufforderung (vulgo: Maulkorberlass) des Rektors, der seinen Klinikchefs mit dienstrechtlichen Konsequenzen droht, wenn sie sich zur Versorgungssituation öffentlich äußern, ist ja bekannt (siehe klinik 1/2015). Innerhalb der Gemeinde Wien schaut es jedoch nicht anders aus: Auch hier werden Kritiker zum Schweigen aufgefordert, die Nutzung des KAV-E-Mail-Accounts wird untersagt.

Wiener Gesundheitssystem am ­Abgrund?

Doch Leistungsreduktionen und Engpässe sind in Wien, sowohl in den KAV-Häusern als auch am AKH, bereits Realität.
So müssen am AKH Wien jetzt bereits 15% (!) der Operationen verschoben werden. Einzelne Ambulanzen müssen mangels ärztlichen Personals tageweise geschlossen werden. Am ­Donauspital musste die ganze HNO-Station für 2 Wochen gesperrt werden, weil wegen der Kündigung eines Arztes der Betrieb nicht mehr möglich war etc. etc.
Bespiele für Missstände gibt es aus vielen Häusern, manche sind plakativ und haben auch die Tagespresse erreicht. Andere spielen sich eher hinter den Kulissen ab: So haben bereits 3 Primarärzte die Verantwortung für die Erstellung der Abteilungsdienstpläne an den KAV zurückgegeben, weil sie mangels Personal die Dienstpläne nicht erstellen und den Betrieb nicht mehr verantworten können.

Untragbare Wartezeiten

Die Wartezeiten auf die Erstvorstellung auf der Strahlentherapie betragen bereits 7 Wochen(!). – Und das nicht nur am AKH, die Situation ist in ganz Wien ähnlich, wie Univ.-Doz. Dr. ­Robert Hawliczek, Obmann der Bundesfachgruppe Strahlentherapie, auf Nachfrage bestätigt. Die Wartezeiten sind mit durchschnittlich 6–7 Wochen viel zu lang und aus medizinischer Sicht untragbar. Seit Jahren macht die Fachgruppe auf den sich zuspitzenden Versorgungsengpass aufmerksam. Es gibt schlichtweg zu wenig Geräte. Während der Westen Österreichs die Vorgaben des ÖSG umgesetzt hat (1 Linearbeschleuniger auf 120.000 Einwohner), entspricht die Versorgung in Ostösterreich nicht dem europäischen Standard! Zwar gibt es in Wien mittlerweile eine Zusage, ÖSG-konform nachzurüsten, die Wiener Situation wird jedoch dadurch verschärft, dass auch Patienten aus Niederösterreich mitversorgt werden müssen, weil auch dort Geräte fehlen.
Aus dem niedergelassenen Bereich wiederum werden MR-Wartezeiten von bereits mehr als 2 Monaten gemeldet. Trotz eines jährlich steigenden Bedarfs von etwa 8% wurde jene Zahl der MR-Untersuchungen, die von der Sozialversicherung pro Jahr in Summe bezahlt werden, auf dem Niveau von 2009 eingefroren. Wie Radiologen berichten, ist auch hier in Folge des Mangels bereits ein Privatmarkt entstanden. Wer eine Abklärung schneller als in 2 Monaten haben will, muss in die Tasche greifen.
Und wie es scheint, will man das politisch auch so. Und wie es scheint, leistet insbesondere die Partei, die immer gegen die Zweiklassenmedizin eintritt, hier auch noch die Vorarbeit. Immerhin soll ja jetzt am AKH-Gelände auch noch ein Privatspital gebaut werden …

 

AutorIn: Susanne Hinger

Klinik 02|2015

Herausgeber: MedMedia Verlag und Mediaservice GmbH
Publikationsdatum: 2015-05-07