Die Zukunft der Primärversorgung

Wünsche und Erwartungen junger Allgemeinmediziner*innen

Allgemeinmediziner*innen in ganz Österreich sorgen für die gute Versorgung der medizinischen Probleme der Bevölkerung. Ob in Einzelpraxen, Gruppenpraxen oder Primärversorgungsnetzwerken/ -zentren, die Allgemeinmedizin ist bei Patient*innen die erste medizinische Anlaufstelle. Doch wie soll die Zukunft aussehen? Was wünschen sich die jungen Allgemeinmediziner*innen für ihre berufliche Karriere? Dazu durfte ich im Namen der jungen Allgemeinmedizin Österreich (JAMÖ) Interviews mit Allgemeinmediziner*innen in der Selbstständigkeit in ganz Österreich führen.

Organisationsform: Einzelordination – Gruppenpraxis – PVN/PVZ – Jobsharing
Die individuelle Frage nach der geeigneten Organisationsform ist eine sehr spannende. Je nach Typ konnte jede der interviewten Personen hier der eigenen Organisationsform etwas Positives abgewinnen. Egal welche Art der Berufsausübung die interviewten Kolleg*innen gewählt hatten, sie waren damit zufrieden. Die Personen in der Einzelordination klagten über den fehlenden interkollegialen Austausch im Berufsalltag und zu viel Arbeit. Im Primärversorgungszentrum oder -netzwerk sowie im Jobsharing wurde wiederum genau dies als positiver Aspekt hervorgehoben.
In der Einzelordination schien es jedoch Sorge darum zu geben, dass eine andere Zusammenarbeitsform die eigene Autonomie einschränke. Dies wurde in keiner Art der Gemeinschaftsarbeit außer in einer Gruppenpraxis als negativ hervorgehoben. Die Organisationsformen mit mehreren Ärzt*innen wurden vor allem hinsichtlich Work-Life-Balance von den Personen als positiv und familienfreundlich bezeichnet.
So vielfältig wie die Allgemeinmedizin ist, so vielfältig müssen scheinbar auch die möglichen Organisationsformen sein, um für junge Allgemeinmediziner*innen attraktiv zu sein.

„Ohne Hausärzt*innen würde es nicht funktionieren“
Eines ist klar, Hausärzt*innen sind notwendig. Das scheint auch von Patient*innenseite so gesehen zu werden. Im Rahmen des von der JAMÖ durchgeführten Interviews gab es keine einzige negative Rückmeldung, dass die Wertschätzung von Patient*innen zu wenig sei. Allerdings sei dies nicht der Fall, was die kollegiale Wertschätzung vor allem im intramuralen Bereich anbelangt. Auch die Lohndiskrepanz zu anderen Fachgruppen wurde als negativ gesehen.

Der wichtigste Teil der Ausbildung: die Lehrpraxis
Die Selbstständigkeit stellt, wie für alle Berufsgruppen, im ersten Einstieg eine gewisse Herausforderung dar. Die unbekannte neue Arbeitssituation, gekoppelt mit unternehmerischen Fragestellungen, die sie mit sich bringt, bergen Faktoren, die Allgemeinmediziner*innen davon abhalten können, sich selbstständig zu machen.
Die wichtigste Möglichkeit, um diese Hürden abzubauen, ist die Lehrpraxis, die wohl entscheidendste Zeit der Ausbildung. Eine gute Lehrpraxis kann die Leidenschaft junger Allgemeinmediziner*innen für die hausärztliche Tätigkeit wecken. Neben der Passion für das Fach konnten hier auch sowohl fehlende unternehmerische Aspekte als auch allgemeinmedizinische Kompetenzen erworben werden. Ein Kollege meinte sogar, dass fast alle, die in Praxen von motivierten Ärzt*innen waren, auch in der allgemeinmedizinischen Primärversorgung tätig wurden.

Wünsche für die Allgemeinmedizin
Mehr Zeit für die Patient*innen war der meistgenannte Wunsch. Gerade am Anfang des Berufslebens scheint der Wunsch nach mehr Zeit für eine ordentliche Patient*innenbetreuung groß zu sein. Als zweithäufigster Punkt wurde Teamarbeit in Form von direkter Zusammenarbeit im Alltag, Qualitätszirkeln und Vernetzung genannt. Danach kamen Wünsche nach mehr Anerkennung durch andere Fachgruppen, flexiblere Arbeitsmodelle, mehr wirtschaftliche Vorbereitung, bessere Vernetzung mit anderen Berufsgruppen und eine ausgeweitete Verrechenbarkeit von medizinisch sinnvollen Leistungen wie EKG, Ultraschall und Laborparametern (kBB, CRP, Troponin). Öfters kam auch der Wunsch nach weniger Bürokratie im medizinischen Arbeitsalltag.
Wie ist also eine nachhaltige Attraktivierung der Allgemeinmedizin möglich? Die Arbeitsmodelle müssen weiterhin flexibel bleiben. Eine Möglichkeit, um die Wertschätzung, die Ausbildung und auch finanzielle Aspekte auszubessern, ist die Einführung eines Facharzttitels. Dies würde sowohl didaktisch eine Angleichung an andere Facharztgruppen schaffen als auch eine Verlängerung der Ausbildung ermöglichen, die unbedingt eine verlängerte Lehrpraxisdauer beinhalten muss.

Gute Stimmung und hohe Zufriedenheit unter Allgemeinmediziner*innen
Im Interview mit den jungen Kolleg*innen durfte ich die Erfahrung machen, dass es den jungen Allgemeinmediziner*innen in der Selbstständigkeit im Großen und Ganzen gut geht. Die Kolleg*innen waren größtenteils sehr zufrieden. Positiv wurde die Vereinbarkeit des Berufs mit der eigenen Familie bis hin zum „sein eigener Chef Sein“ hervorgehoben. Die Liebe zum Fach und die Freude an der Arbeit mit Patient*innen konnte man bei jedem Gespräch deutlich heraushören.

Allgemeines zum Interviewaufbau
Insgesamt erfolgten Interviews mit 7 Allgemeinmediziner*innen aus 4 Bundesländern Österreichs. Sie befanden sich in den ersten Jahren der beruflichen Selbstständigkeit. Während des Interviews wurden soziodemografische Faktoren (Geschlecht, Familienstand, berufliche Karriere), allgemeine Wünsche an die Arbeit als Allgemeinmediziner*in sowie positive und negative Aspekte des eigenen Berufsalltags abgefragt. Zur Organisationsform wurde erhoben, ob die Person das Konzept des Primärversorgungsnetzwerks/-zentrums kannte, was die persönlich präferierte Organisationsform war und warum sie es war. Abschließend wurde nach Motivationsfaktoren, um junge Allgemeinmediziner*innen für die Primärversorgung zu begeistern, und nach dem eigenen Entschluss, in der Allgemeinmedizin und in der Selbstständigkeit tätig zu sein, gefragt.
Als Limitation ist zu nennen, dass nicht überprüft wurde, ob die Gruppe der Interviewpartner* innen für die junge Allgemeinmedizin in Österreich repräsentativ ist, auf eine größtmögliche Vielfalt in Bezug auf Berufserfahrung und Zusammenarbeitsformen wurde jedoch Wert gelegt.

Resümee
Die in den Interviews herausstechenden Faktoren und Aspekte decken sich auch heute noch großteils mit den Forderungen und Maßnahmen des ÖGAM-Masterplans 2017 und weisen darauf hin, dass sich die Allgemein- und Familienmedizin in Österreich doch weiterentwickelt hat, aber einige wesentliche Aspekte aus dem Masterplan auch weiterhin noch nicht umgesetzt sind.