Oh Afrika: Ein Erfahrungsbericht

Das Studium in der Tasche, den Job erst in fernerer Aussicht – womit könnte man die Zeit besser nutzen als alte Träume auszuleben. Und so findet man sich in einem ungenannt bleibenden afrikanischen Land in der unteren Perzentile des Bruttojahreseinkommens wieder, an einer von zwei Tertiärkliniken. Offiziell gibt es 600 Betten, meist sind mehr als 1000 Patienten im Haus, die Betten werden doppelt belegt und wenn das nicht ausreicht schlafen Patienten unter diesen.

Die Vorbereitungen sind insbesondere durch die Impfungen kostenintensiv, wobei hier vom Sparen durchaus abgeraten wird. Berichte von Vorgängern erzählen von einer Bevölkerung die großteils Englisch spricht, eine von vielen Übertreibungen, die Landessprache wird in zwei Monaten aufgrund von siebzehn Zeitformen und zwölf Fällen nur in Einzelworten gemeistert. Aufgrund einer gewissen Skepsis wurde daher um eine Zuteilung zur Unfallchirurgie gebeten, ein Röntgenbild spricht schließlich eine internationale Sprache. Die unfallchirurgische Notaufnahme ist dann jedoch nicht nur für Trauma zuständig, sondern auch für (kinder-/neuro-)chirurgische/ gynäkologische/ HNO/ urologische/ orthopädische Überweisungen aus dem ganzen Land.

Meine Bejahung der Frage ob ich Nähen kann wird mir mit meinem ersten Patienten gedankt, einem drei Monate alten Baby mit Schädel-Lac. Er hat geweint, ich hab geweint, alle haben geweint. Der sechsjährige dessen gesamte Brust verbrannt war hat das Debridement dafür stoisch ertragen, erst bei der Hälfte konnte doch Pethidin aufgetrieben werden. Das Arbeitstempo der Kollegen ist gemütlich, für zwei Nähte am Schädel kann man durchaus auch mal eine Stunde brauchen. Hat vielleicht aber auch damit zu tun, dass sie alle seit 2-3 Monaten nicht bezahlt worden sind. Von acht Ärzten mit denen ich bisher geredet habe will einer nach der Basisausbildung bleiben.

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Dafür können die Ärzte hier deutlich mehr als bei uns

Es gibt in der Notaufnahme vier Untersuchungsliegen, daneben eine Bank auf der Anamnesegespräche geführt werden. Mangels Vorhang finden rektale und gynäkologische Untersuchungen vor 4-10 Zuschauern statt. Es gibt genau ein Blutdruckmessgerät und ein Pulsoxy, beim Sauerstoff ist es 50/50 ob gerade einer verfügbar ist.

Der Warteraum ist für ca. 20 Personen gebaut, wenn es mehr Wartende gibt sitzen diese im Freien bei der Rettungseinfahrt. Die wenigen Ambulanzwagen die es gibt klappern nacheinander die Health Center ab und bringen dann auf einen Schwall 20 Patienten gleichzeitig, diese sind zu dem Zeitpunkt meist mehrere Stunden unterwegs. Schwerverletzte kommen daher in 9/10 Fällen post mortem an.

Wenn mitten im Nähen der Strom ausfällt wirds halt unter dem Schein der Handy-Taschenlampe beendet, das fühlt sich dann doch sehr Vietcong-Feldlazarett an. Die Pfleger sind während dessen auf die Intensivstation gerannt und haben die Patienten händisch weiterbeatmet, der Notgenerator ist nämlich gerade hin.
80jährige Patienten mit einer Schenkelhalsfraktur, die gestützt von einem Freund und einem Ast aus einem 70km entfernten Dorf daherkommen sollte man persönlich zur Radiologie begleiten, sonst marschieren sie, analphabetiebedingt, noch eine Stunde auf dem Gelände herum bis sie diese finden. Tragen/Rollstühle/Träger sind Mangelware.
Wenn jemand den Boden vollblutet und sich dann noch darauf übergibt wird in ca. 6h jemand kommen um das wegzuwischen. Wir haben ihn dann doch davon abbringen können mit dem selben Wasser die Untersuchungsliegen zu putzen.
Ein 1/4 der Trauma Patienten kommt aus einem anderen Health Center mit einem Wisch auf dem steht, dass sie ‘unlawfully’ von der Polizei verprügelt worden sind. Ein anderes 1/4 mit einem Wisch von der Polizei auf dem steht, dass sie ‘lawfully’ verprügelt worden sind.
Wenn man seine Frau mit einem Anderen erwischt ist es Usus Umstehende herbeizurufen und gemeinsam den Unhold zu verprügeln. Wenn man dabei als Betrogener vom Unhold verletzt wird kann es passieren, dass beide nebeneinander im Warteraum sitzen, einer halt nur in der Unterhose.
Die Frage warum die Patientin da ist kann dazu führen, dass diese wortlos ein Plastiksackerl öffnet und einem das Brustbiopsat in die Hand drücken möchte. Das dazugehörige Mamma-Ca war post-Bx größer als so manche Brust die ich gesehen habe.
Vor der Tür hält ein Militärlaster, plötzlich sind zwanzig bewaffnete Männer im Raum. Zwei Soldaten haben einen Weichteildurchschuss am linken Arm, der eine zugezogen im Rahmen einer Übung, der andere beim Demonstrieren vorm Vorgesetzten wie es zum Unfall kommen konnte.

Die diagnostischen Möglichkeiten sind begrenzt, in der ersten Woche funktioniert die Maschine fürs Blutbild nicht, Wartezeit aufs Resultat ist nach der Reparatur zwischen 4 Stunden und einem Tag. Elektrolyte können aus einem nicht ganz ersichtlichen Grund nur jeden zweiten Tag durchgeführt werden, bei gleicher Wartezeit.
Es gibt Ultraschall (drei Tage), Röntgen (fünf Stunden) und CT (eine Woche), in Klammer die durchschnittliche Wartezeit bei Patienten die nicht aktiv versuchen zu versterben. Man kann auch die Patienten begleiten und probieren diese zu verkürzen, dadurch kann zum Beispiel bei einem Jugendlichen mit Schädel-Hirn-Trauma und verschlechternder Neurologie erreicht werden, dass bereits nach zwei Stunden das cCT gefahren wird, bis zur Entlastung des massiven Subduralhämatoms sind weitere sechs Stunden vergangen. Auf Biopsieresultate wartet man 7-14 Tage, Patienten die von weither kommen werden daher oft nur fürs Warten aufgenommen.
Die Patienten suchen das Krankenhaus meist erst auf wenn die Schmerzen unerträglich werden, da es aufgrund der Wartezeiten zu einem ordentlichen Verdienstentgang oder Problemen in der Kinderbetreuung kommt. Daher sieht man Mamma-Cas in Wassermelonengröße, Parotis-Ca groß wie eine Grapefruit. Jedesmal wenn man sich denkt, dass man gerade wirklich das ekelhafteste der Karriere gesehen hat wird man eines besseren belehrt.

Der Warteraum für Ultraschall und Röntgen kann nicht anders als „die Vorhölle“ bezeichnet werden, ein schmaler Gang in dem meist um die 50 Patienten warten, in den auch noch die Umluft von den Klimaanlagen hineingeblasen wird. Es ist absurd heiß.
Mittagspause machen alle Röntgenassistenten immer gemeinsam, dann steht der Betrieb für mindestens eineinhalb Stunden. Etwas blöd wenn man gerade einen polytraumatisierten Patienten hingeschickt hat und das nicht weiß. Beim Versuch nach ihrer Rückkehr für Tempo zu sorgen sehe ich wie der Marker für links elegant auf die rechte Seite gelegt wird. Motiviert waren sie dafür bei einer Patientin mit einem Querschnitt ungefähr C6, ohne Aufforderung haben sie das Stiffneck abgenommen und den Patientenkopf in Rückenlage verdreht um ein laterales Schädelbild zu machen… Die Patientin war davor schon neun Stunden ohne Halsimmobilisierung unterwegs von einem ruralen Spital, auf den wunderbaren hiesigen Straßen.
Wenn den Röntgenassistenten nicht nach Arbeiten ist wird nachts einfach die Radiologie zugesperrt und das Telefon abgesteckt, dies führt dann auch nicht unbedingt zu einer Kündigung. Ein Drittel der Röntgenbilder ist so schlecht belichtet, dass ich vor die Tür gehe und es gegen Sonne/Mond halte um irgendwas zu erkennen.

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Ein lokales Kinderlied

Als Patient das wichtigste ist der Guardian, das Pflegepersonal ist rein für das medizinische zuständig, untertags gibt es drei PflegerInnen für 80-100 Patienten, nachts eine/n. In Istanbul ist es zum Beispiel auch so, dass es neben jedem Patientenbett einen Sessel für einen angehörigen gab die im Krankenhaus geblieben sind und sich um Ernährung und Körperpflege gekümmert haben. Hier schlafen sie unter dem Bett am Boden, wenn das Bett doppelt belegt ist auch zu zweit. Es wird am Eingang des Krankenhauses Brennholz verkauft für die kommunalen Kochstellen. Wenn ein Patient Blut braucht muss davor ein Guardian spenden gehen, erst dann kriegt man eines in der eigenen Blutgruppe.

Zur Hälfte wird auf die Kinderchirurgie gewechselt. Hauptproblem hier ist die mangelnde OP Zeit. Per se ist jedem operierenden Fach ein Tag in der Woche für die elektiven Fälle zugeordnet, die Akutsachen sollen abends oder in der Nacht erledigt werden. Da sich die Anästhesie bzw. die OP-Gehilfen oft weigern später als 23:00 zu operieren müssen dann die elektiven Fälle vormittags abgesagt werden. Als ich auf der Kinderchirurgie anfange sind die Listen der letzten vier Wochen abgesagt worden, die Station massiv überfüllt mit Wartenden. Offizieller OP-Beginn ist 08:30, vor zehn Uhr ist nie begonnen worden, da es davor noch OP-Saal-Reinigung/Anästhesie/OP-Gehilfen/Transfusionsblut zu organisieren gilt. Wenn man dann mal anfängt ist oft nach zwei Fällen, spätestens um zwei Uhr wieder Schluss. Big shout out an den Anästhesisten der, obwohl seine Frau gerade in den Wehen liegt, mit uns einen Wilms-Tumor macht, der seit drei Monaten auf seine OP wartet (nachdem die Mutter das Kind ein halbes Jahr ausschließlich zum traditionellen Heiler gebracht hat).

Die Arbeitszeit wird zu mindestens 50% damit verbracht zu organisieren was man eigentlich machen möchte, sollte z.B. eine Thoraxdrainage nötig sein braucht es meist eine Stunde bis man einen Drain finden kann.

Wenn ein Kind verstirbt, was pro Tag mindestens dreimal vorkommt, geht die Mutter begleitetet von einem Trauerchor aus anderen Müttern im Kreis durch die Stationen, dies auf einer sehr lauten, wütenden Call-Response Basis:“Oh, wie traurig ist es, dass das Kind so früh verstarb/ Ja, wie traurig ist es, dass das Kind so früh verstarb“. Wenn der Leichnam auf die Pickupfläche gebettet wird um ihn in das Heimatdorf zu überstellen schwillt der Trauerchor nochmal an, man versammelt sich zu einem langsameren, melancholischen wortlosen Lied.

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Die einzige Patientendokumentation

Was bleibt

Man sollte sich von Anfang über die eigenen Wirkungsmöglichkeiten im Klaren sein. Wenn es einem nur um ein Hilfsbedürfnis geht ist eine Überweisung an eine zertifizierte Hilfsorganisation deutlich zielführender. Ich wollte Medizin in der Dritten Welt mit eigenen Augen sehen, das ist mir auch gelungen. Es gibt jedoch keinen Mangel an, ehrlich betrachtet, unerfahrenen Ärzten frisch aus dem Studium sondern an Spezialisten. Der Kinderchirurg mit dem ich gearbeitet habe war, als er vor fünf Jahren kam, der erste im ganzen Land, Urologen gibt es für mehrere Millionen Einwohner genau einen, Neurochirurgen für die unzähligen Hydrocephalus-Kinder zwei.

Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung, dankbarer für vieles was im österreichischen Gesundheitswesen Nerven kostet. Ich bin nicht unzufrieden mit dem was ich in der kurzen Zeit gutes tun konnte, es bleibt aber ein sehr kleiner Tropfen auf einem sehr, sehr heißen Stein.

Philososphischer Exkurs: Wenn man in Afrika war und kein Foto mit süßen afrikanischen Kindern gemacht hat, war man dann überhaupt wirklich in Afrika?
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SS, 27.11.2016