Tele-Therapeuten bei Depressionen

Implantierte Chips, Health Tracker, Roboter und Tele-Therapeuten gegen Depression und Angstzustände: Beeindruckend, aber auch etwas beängstigend war die Präsentation der amerikanischen Zukunftsforscherin Faith Popcorn bei den Cannes Lions, die eine Vision unserer digitalisierten Welt im Jahr 2028 skizzierte und von sich behauptet, dass ihre Prognosen mit 95%iger Wahrscheinlichkeit eintreffen.

Vision „Mood Manipulation“

Unsere Stimmungen werden DNA-basiert reguliert. Implantierbare Chips lesen die Bedürfnisse von Körper und Geist aus und sorgen für entsprechende Maßnahmen. Speziell angesiedelte Darmbakterien sollen helfen, psychische Erkrankungen wie Angststörungen und Depression zu bekämpfen. Health Tracker erkennen Stress und senden entsprechende Meditationen, Cannabis findet in der richtigen Dosierung neue Einsatzmöglichkeiten im Well-being.

Vision „Roboterisierung & Digitalisierung“

Die Arbeitswelt wird sich durch Roboter und Artificial Intelligence (AI) dramatisch verändern: Die Gehirnleistung arbeitender Menschen wird überwacht und die Effizienz getrackt. Tiefe Hirnstimulation soll für mehr Konzentration und Fokussierung sorgen. Wenn das nicht, hilft, werden Mikrodosen von LSD zur Leistungssteigerung oder Narkolepsie-Medikamente zur Hyperfokussierung eingesetzt.

Über 40% der Arbeitskräfte in den USA werden durch Roboter ersetzt. Da hilft auch die beste Ausbildung nichts, wenn man hört, dass sich Roboter sogar als Richter besser eignen, weil ihre Entscheidungen aufgrund von AI rein datenbasiert und unbeeinflusster sind. Ebenso könnte es in Zukunft das Berufsbild des Radiologen nicht mehr geben, da dessen Tätigkeiten von selbstlernenden Systemen übernommen werden. Auch in der Freizeit wird man von Robotern umgeben sein: Erste Robot-Bars gibt es bereits in den USA, die Drinks werden hier vollautomatisch zubereitet.

Faith Popcorn ist der Meinung, dass angesichts dieser Entwicklungen ein bedingungsloses Grundeinkommen unabdingbar sein wird. Die Digitalisierung und die damit verbundene Kontrolle machen auch vor unserem Träumen nicht halt. „Dream Control“ soll uns mehr Kreativität verleihen. Es klingt daher nicht verwunderlich, wenn Faith Popcorn vorhersagt, dass Angststörungen enorm ansteigen werden.

Vision „Computerchip als Arzt“

Große Umwälzungen sagt die Trendforscherin für die Gesundheitsbranche voraus. Die Interaktion mit dem Arzt wird sich deutlich verändern: Heute macht man telefonisch einen Termin beim Arzt aus und kommt dann in die Praxis. In Zukunft werden Computerchips einen Teil der ärztlichen Arbeit übernehmen. Der Arzt wird von der Tastatur aus agieren – der Patient muss nicht mehr zwangsläufig in die Ordination oder ins Krankenhaus kommen, da Sensoren Werte, wie z.B. metabolische Parameter, kontinuierlich messen und an den Arzt übermitteln. Pharmaunternehmen kooperieren bereits mit Technologieunternehmen, um entsprechende Wearables zu entwickeln.

ZukunftsforscherinEin weiterer Fokus in der Entwicklung liegt auf virtuellen Diensten, wie digitalen Studienassistenten oder der virtuellen Krankenschwester „Molly“, die Patienten medizinische Beratung anbieten soll. Ein bereits bestehendes Service des britischen National Health Service ist der Symptom-Checker Your.MD – eine App, die Fragen wie bei einem Arztgespräch stellt und mithilfe von AI entsprechende Gesundheitsinformationen zur Verfügung stellt. Woebot, ein von Psychologen der Stanford University entwickelter Chatbot, der mithilfe von AI als Tele-Therapeut fungiert, soll Depressionen und Angstzustände therapieren können. Auch die Kommunikation zwischen Ärzten und Pharmaunternehmen soll rein digital ablaufen. Dafür gibt es den virtuellen Sales-Rep, von dem der Arzt die gewünschten Informationen bekommt, wann immer er sie benötigt. Immerhin sollen für tiefer gehende Diskussionen dann auch noch „echte“ Außendienstmitarbeiter zur Verfügung stehen

Ob dies alles tatsächlich in der Praxis funktionieren kann und letztendlich auch zum Wohle des Patienten ist, wird die Zukunft weisen. Positiv sind jene Entwicklungen, bei denen es darum geht, mithilfe von Virtual oder Augmented Reality (VR/AR) Patienten Ängste zu nehmen oder mehr Verständnis dafür zu erzeugen. Eine AR-Brille, die simuliert, wie es Migränepatienten am Arbeitsplatz geht, kann sicherlich zu mehr Empathie im Umfeld beitragen. VR-Brillen wiederum können Kinder beispielsweise beim Impfen ablenken und ihnen die Angst nehmen.

Der menschliche Faktor

Bei all diesen „entmenschlichten“ Szenarien lassen die Schlussworte von Faith Popcorn doch hoffen: „In einer digitalen Welt werden menschliche Wärme und zwischenmenschliche Beziehungen umso lebensnotwendiger. Das ist widersprüchlich, aber so sind wir Menschen nun einmal. Während wir zu Robotern werden, die Produktivität und den Wettbewerb erhöhen, wollen wir auch eine Umarmung. Das ist der Ausgleich.“ (Gabriele Jerlich, 17.8.2018)

Gabriele Jerlich ist Verlagsleiterin von MedMedia.

 

Fotos: Cannes Lions Health/lovethework.com

 

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