An Widerständen wachsen

Sie ist die einzige Frau im zehnköpfigen Gremium und hatte die ersten sechs Monate dieses Jahres den Vorsitz über: Mag.a Claudia Neumayer-Stickler, Juristin und Leiterin des gesundheitspolitischen Referats im ÖGB, wurde Anfang 2025 gemeinsam mit Peter McDonald zum neuen Vorsitzenden-Duo der Konferenz der Sozialversicherungsträger gewählt. Einstimmig. Für die fünfjährige Funktionsperiode bis 2029 hat sie sich einiges vorgenommen. Denn was Neumayer-Stickler auszeichnet: Sie hat im Grunde ihre gesamte Berufslaufbahn der öffentlichen Gesundheitsversorgung gewidmet, an unzähligen Projekten mitgearbeitet und sich so über viele Jahre hinweg ein breites Netzwerk und eine tiefgreifende Expertise angeeignet.

Claudia Neumayer-Stickler hat ihre gesamte Berufslaufbahn der öffentlichen Gesundheitsversorgung gewidmet.; © Elisabeth Mandl – ÖGB

Fokus auf Frauen

„Der Einsatz für den Erhalt und den Ausbau der solidarischen Gesundheitsversorgung ist für mich eines der zentralen übergeordneten Themen“, sagt Neumayer-Stickler. Ein zweiter Schwerpunkt betrifft die Rolle der Frauen. Dabei geht es zum einen darum, „eine starke Stimme für die weiblichen Versicherten“ zu sein. Zum anderen müsse sich jedenfalls in der nächsten Funktionsperiode das Verhältnis Männer : Frauen in der Konferenz ändern. Grundsätzlich würde das Gesetz schon jetzt eine geschlechtergerechte Entsendung für die Verwaltungskörper vorsehen.

Als Vorbild und Antrieb für ihre beruflichen Herausforderungen hat die Sozial- und ­Gesundheitsexpertin keine geringere als Johanna Dohnal, SPÖ-Ikone in Sachen Frauenpolitik, ausgewählt. Neumayer-Stickler: ­„Johanna Dohnal hatte mit vielen Widerständen zu kämpfen, aber beharrlich daran gearbeitet, die Frauenpolitik weiterzubringen.“ Als Ergebnisse aus dieser Ära wirken die Fristenlösung, die Einführung der Väterkarenz und das erste Gleichstellungsgesetz bis heute nach.

Ausbau des niedergelassenen Bereichs

Auch Neumayer-Stickler zog es nach Ende ihres Jusstudiums ins Bundesministerium für Frauen und Jugend. Im Anschluss folgte eine Bewerbung bei der damaligen Wiener Gebietskrankenkasse, „weil ich immer schon für das öffentliche System arbeiten wollte“. Auf leitender Ebene im Bereich der Vertragspartnerverrechnung war sie dort an maßgeblichen Weiterentwicklungen des Angebots im niedergelassenen Bereich beteiligt – da­runter am Ausbau flexibler Regelungen für Gruppenpraxen und bei der Vorbereitung für die erste Primärversorgungseinheit, die in Österreich im April 2015 eröffnet wurde: das „PHC Medizin Mariahilf“.

Mittlerweile sind daraus bundesweit knapp 100 Primärversorgungseinheiten geworden, wie der Dachverband der Sozialversicherungen bei seiner Bilanz-Pressekonferenz im Frühjahr dieses Jahres bekannt gegeben hat. Das Ende der Fahnenstange ist damit aber noch nicht erreicht. Dies umso mehr, als die Kassenmedizin seit Jahren mit Imageproblemen und anderen Herausforderungen kämpft, die eine solide öffentliche Gesundheitsversorgung gefährden könnten. So hat die Österreichische Ärztekammer – zuletzt auf Basis der Ärztestatistik 2024 – zwei Problemkreise definiert: „Ein hoher Prozentsatz der Ärztinnen und Ärzte aus der Babyboomer-Generation geht in den kommenden Jahren in Pension. Gleichzeitig wächst unsere Gesellschaft, die Menschen werden älter und betreuungsintensiver“, betonte deren Präsident Johannes Steinhart. Wobei dieser keinen Ärztemangel an sich beklagt, sondern den „deutlichen Mangel im öffentlichen System, sei es im Kassenbereich oder in den Krankenhäusern“.

Das aktuelle Regierungsprogramm nimmt sich dieser Thematik an – und auch Neumayer-Stickler sieht sich in ihrer Funktion in dieser Sache gefordert: „Der Ausbau der niedergelassenen Versorgung ist sicher eines der Kernthemen, konkret der Ausbau im Bereich der Primärversorgung, der Fachärzte sowie der Expertisezentren für chronische Erkrankungen. Da wird es viele Mittel brauchen.“ Wobei die Sozialversicherung bei jenen Themen, für die sie zuständig ist, auch in die Umsetzung eingebunden werden sollte, setzt sie nach. Woher in Zeiten des allgemeinen Sparens das Geld kommen soll? Hier bringt Neumayer-Stickler den neuen Gesundheitsreformfonds ins Spiel, der im Zuge des Doppelbudgets beschlossen wurde und ab 2026 mit jährlich rund 500 Mio. Euro gespeist werden soll. Ziel müsse es jedenfalls sein, auf Angriffspunkte, die das solidarische System aushöhlen, einzugehen: „Es gibt Tendenzen, vieles in den privaten Bereich zu verlagern, sicher auch aufgrund von mangelndem Angebot und langen Wartezeiten im öffentlichen System.“ Hier müsse man gegensteuern, so die Gesundheitsexpertin.

Stärkung der Prävention

Ein Herzensanliegen ist der Sozialdemokratin auch das Thema Prävention und hier vor allem das Impfen. Es bereite ihr Sorge, sagt sie, dass die Impfquoten generell und im Speziellen auch bei Kindern zurückgehen – Stichwort: Masern. Vor diesem Hintergrund spricht sich Neumayer-Stickler dafür aus, dass Apotheken zumindest bei bestimmten Standardimpfungen als Dienstleister eingebunden werden. „Ich persönlich würde das befürworten. Es ist mir ein wirkliches Anliegen, dass der Nutzen und das Positive einer Impfung wieder in den Vordergrund gerückt werden. Und dabei könnte ein zusätzliches Angebot in Apotheken helfen“, ist sie überzeugt.

„Es ist mir ein wirkliches Anliegen, dass der Nutzen einer Impfung wieder in den Vordergrund gerückt wird“, sagt Neumayer-Stickler.; © Elisabeth Mandl – ÖGB

Wie sie persönlich bei dieser umfangreichen Arbeitslast und den mehrfachen Funktionen zur Ruhe kommt? „Ich mache zum Ausgleich Sport und lese viel“, antwortet die 46-Jährige. Und wenn es bei Verhandlungen allzu hitzig und unübersichtlich wird, zieht sie sich für einige Minuten zurück, um zu überlegen und sich zu erden. Und so nehmen sie in all den Jahren auch ihre Gesprächs- und Verhandlungspartner wahr: sachlich und ruhig in einer sonst oft lauten und schrillen Zeit.