Meine Gesundheit – mein wertvollster Besitz: Possessivpronomen in der Pharmawerbung

Possessivpronomen, also „besitzanzeigende Fürwörter“, kommen – rein grammatikalisch gesehen – zum Einsatz, um ein bereits genanntes Nomen (ein Hauptwort) zu ersetzen und den Besitz oder die Zugehörigkeit zu diesem Nomen anzuzeigen. In der Werbung dienen sie dazu, Nähe und Bindung herzustellen: „Possessivpronomen in Werbebotschaften signalisieren einen emotionalen Schulterschluss: Durch die individuelle Ansprache soll Vertrautheit auf einer sehr persönlichen Ebene geschaffen werden“, erklärt Erich Bergmann, Geschäftsführer und Kreativdirektor bei der Agentur „Denken hilft!“. Diesen Ansatz macht sich nicht nur die Konsumgüter-, sondern auch die Pharmawerbung zunutze. Blättert man Gesundheitsmagazine durch, so findet man sowohl in Fach- als auch in Laienmedien zahlreiche Anzeigen, die sich Possessivpronomen bedienen. „Für Ihre Patienten ….“, „Meine Nummer 1 …“, „Ihr kompetenter Partner …“, „Ihr Schutzschild …“, „Meine Idealwerte …“, „Meine Lebensfreude …“ usw. ist dort zu lesen. Dazu Richard Ördög, Geschäftsführer der Agentur „The Gentlemen Creatives“: „Der Konsument soll sich durch die Verwendung von Possessivpronomen persönlich angesprochen und verstanden fühlen. Das Produkt ist nicht für eine dritte Person bestimmt, sondern für mich, für mich ganz persönlich!“

Das Phänomen des psychologischen Besitzes

Im Konsumgüterbereich werden Possessivpronomen weiters verwendet, um psychologischen Besitz anzuzeigen. Dieser Effekt spielt auch im Gesundheitsbereich eine Rolle. „Der eigene Körper ist eines der wichtigsten Besitzobjekte eines Menschen. Was man als ‚meins‘ wahrnimmt, versucht man auch zu beschützen und sich besonders darum zu kümmern. Gerade bei Produkten, die eine direkte Auswirkung auf unser körperliches und geistiges Wohlbefinden haben, spielt der psychologische Besitz daher eine große Rolle“, erläutert Univ.-Prof. DDr. Bernadette Kamleitner, Institute for Marketing & Consumer Research, WU Wien. Schließlich gehe es, so Kamleitner weiter, im Gesundheitsbereich um Produkte, die den eigenen Körper und Geist mitgestalten oder beschützen. „Derartige Produkte gewinnen durch Possessivpronomen in der Kommunikation an wahrgenommener Effektivität, die Kernbotschaft wird verstärkt, wenn diese auch selbst psychologisch besessen werden. Genau darauf können derartige Slogans mit Erfolg abzielen und in weiterer Folge die Kaufbereitschaft erhöhen“, erklärt Kamleitner.
Auch das Prinzip der emotionalen Entscheidungsfindung wird dabei genutzt, unterstreicht Mark Hinckley, ebenfalls Geschäftsführer von „The Gentlemen Creatives“: „Wahrnehmung wird von Emotionen gesteuert. Der Motor der Vernunft ist die Emotion.“ Possessivpronomen in der Werbung zielen darauf ab, so Hinckley weiter, Produkte als Teil des eigenen Lebensstils zu betrachten und als solchen in sein Leben zu integrieren – mit anderen Worten: als Vervollständigung des eigenen Selbstbilds und damit schlussendlich als Teil von sich selbst zu sehen. Dazu Hinckley: „Dies trifft beispielsweise sehr eindeutig bei Produkten von Apple zu. Diese werden als weit mehr als bloße Produkte positioniert und schlussendlich auch wahrgenommen. In der Pharmabranche sind wir davon noch weit entfernt. Hier steckt das Marketing diesbezüglich noch in den Kinderschuhen.“

Besondere Verantwortung

Die Pharmabranche sieht sich besonders hohen ethischen Ansprüchen gegenüber. „Die direkte oder indirekte Befassung mit dem unwidersprochen höchsten Gut des Menschen – der Gesundheit – fordert von dieser Branche einen sehr hohen Level an Umgangsformen. Seriosität und Verantwortung spielen eine immense Rolle, um in der Medizinbranche vertrauensvoll zu erscheinen; das spiegelt sich auch in der Tonalität in der Werbung wider – und so auch in der Verwendung von Possessivpronomen“, unterstreicht Raffaele Arturo, Geschäftsführer der Agentur Donnerwetterblitz. Egal, ob „Ihre Patienten“ oder „für Ihre Gesundheit“ – Ziel sei es immer, so Arturo weiter, Vertrauen in Kompetenz zu erzeugen, und das in einem höchst persönlichen, individuellen Bereich eines jeden Menschen. Dabei muss man auch achtsam sein, denn „jede Ansprache, die entscheidet, was ‚dein‘, ‚mein‘, ‚unser‘, ‚euer‘ etc. Besitz, Freud oder Leid ist, muss immer wohlüberlegt sein – leicht kann es als bevormundend, arrogant oder gönnerhaft empfunden werden“, führt Arturo aus.

Teil der Arzt-Patienten-Beziehung werden

In der Pharmawerbung, die sich an Fachpersonal, also Ärzte und Apotheker, richtet, fällt auf, dass sehr oft die Formulierung „Ihre Patienten“ bzw. „Ihre Kunden“ verwendet wird. Laut Kamleitner handelt es sich dabei um einen Mechanismus, mit dem die Botschaft relevanter gemacht werden soll und der am persönlich höchst relevanten Phänomen des psychologischen Besitzes ansetzt: „Beim psychologischen Besitz geht es darum, das Gefühl zu haben, dass etwas ,meins‘ ist. Dieses Gefühl kann man für vieles empfinden und es suggeriert unter anderem Kontrolle und Verantwortung. Durch den Verweis auf ‚Ihre Patienten‘ kann man in der Pharmawerbung genau das auslösen. Es wird den Ärzten und Apothekern vermittelt, dass sie mit einem bestimmten Produkt ihrer Verantwortung ihren Patienten gegenüber gerecht werden können“, so Kamleitner. Bergmann sieht dies ähnlich: „Mit der Formulierung ‚Ihre Patienten‘/‚Ihre Kunden‘ versucht man, in die Arzt-Patienten-Beziehung einzugreifen. Man packt den Arzt sozusagen bei seinem hippokratischen Eid und appel liert an seine Verantwortung, er wolle doch immer das Beste für seine Patienten – und das könne er mit dem Produkt XY erreichen. Dasselbe gilt für den Apotheker.“ Und Arturo ergänzt: „Ärzte/Apotheker ergreifen aus innerem Antrieb heraus gedanklich Besitz und denken/sagen ‚mein Patient‘/,mein Kunde‘. Ergo bemüht sich die an Fachleute gerichtete Kommunikation, sie genau mit diesem vertrauten Duktus abzuholen.“

Tu dir selbst etwas Gutes!

Auch in der Laienwerbung, die sich an Patienten bzw. Apothekenkunden richtet, findet man häufig Possessivpronomen. „In diesem Fall spricht man die persönliche Sphäre der Konsumenten an“, erklärt Mag. Gerlinde Spicko, Institute for Marketing & Consumer Research, WU Wien. Und Bergmann fügt hinzu: „Gesundheit ist unser wertvollstes Gut, ein Teil von mir. Bei Produkten, die Einfluss auf meine Gesundheit haben, geht es um mein Leben. Durch Possessivpronomen in der Werbekommunikation wird dieser Aspekt betont und ein emotionaler, persönlicher Zugang zum Endverbraucher hergestellt.“ Bei einer Anzeige von Acutil (Angelini Pharma, Agentur Denken hilft!) wird beispielsweise mit dem Slogan „Einer von 60 hellen Momenten für Ihre geistige Fitness!“ gearbeitet. DI Klaus Bernhardt, Marketingleiter bei Angelini Österreich, begründet dies folgendermaßen: „Beim vorliegenden Acutil-Sujet, das sich an die Endverbraucher richtet, wurde bewusst das Possessivpronomen ,Ihre‘ gewählt, um bei den Verwendern die persönliche Relevanz von Acutil für ihre geistige Fitness hervorzuheben. So erreichen wir eine stärkere Individualisierung unserer Botschaft und können den Konsumenten auch glaubhaft vermitteln, dass wir sie auf einer persönlichen Ebene wahrnehmen.“
Ein weiteres Beispiel für ein Possessivpronomen in einer Endverbraucherwerbung ist der Slogan von Vitango (Austroplant, freier Creative Director: Tobias Federsel): „Ändert nicht deinen Stress. Aber die Art, damit umzugehen.“ Dieser soll die Individualität und Einzigartigkeit jedes Einzelnen unterstreichen und zeigen, dass jeder Mensch Stress ganz unterschiedlich definiert und anders damit umgeht. „Zugleich wollten wir in unserem Produktversprechen ganz ehrlich sein: Wir können niemandem seine Überstunden oder den Spagat zwischen Haushalt, Kindern und Job abnehmen. Das heißt, wir können die ganz individuellen Auslöser für Stress nicht beseitigen. Aber wir können mit unserem Produkt dabei unterstützen, dass der Konsument mit seinem Stress besser zurechtkommt. An der Situation direkt kann letztlich nur der Einzelne selbst etwas ändern – was bei als negativ empfundenem Stress langfristig auch der entscheidende Punkt ist“, unterstreicht Mag. (FH) Nadine Haas, Senior Product Manager Phyto OTC & Leitung Marketing Homöopathie, Austroplant/Dr. Peithner.

Für meine Gesundheit!

Possessivpronomen kommen in der Werbung in vielfältigen Varianten zum Einsatz. Grob kann man zwischen „mein“ und „dein“ unterscheiden: Entweder wird der Konsument angesprochen, er möge etwas für sich tun, also z.B. „für dein Wohlbefinden“, „für deinen Bauch“ etc., oder eine Person auf dem Sujet erklärt, was das Produkt für „mein Wohlbefinden“, „meine Nägel“ etc. erreichen kann/erreicht hat. Durch die Ansprache, die in beiden Varianten das Phänomen des psychologischen Besitzes nutzt, werde suggeriert, dass man mit einem bestimmten Produkt die Verantwortung für und die Kontrolle über das eigene Wohlbefinden und die eigene Gesundheit übernehmen könne, führt Spicko weiter aus und fasst zusammen: „Kurz gesagt: Ich tue mir etwas Gutes, es ist für meine Gesundheit.“ Bei der Marke Dr. Böhm (Apomedica, Agentur Reichl und Partner) hat man vor über einem halben Jahr den gesamten Markenauftritt nach dem Ansatz „für meine Gesundheit“ erstellt: „Unsere Produktphilosophie ist auf dauerhafte Begleitung ausgerichtet. Mit dem Markenrelaunch bringen wir diesen Anspruch bereits mit dem Headline-Stil exakt auf den Punkt: die ,Loved Brand‘ für ein positives Lebensgefühl zu sein“, berichtet Mag. Ruth Fischer, Unternehmensleiterin Apomedica. Damit wolle man, so Fischer weiter, die Kunden mit ihren gesundheitlichen Sorgen und Bedürfnissen in den Mittelpunkt stellen: „Nicht Dr. Böhm oder ein Produkt ist wichtig, sondern der dadurch ausgelöste Kundennutzen. Gleichzeitig sprechen wir so die Leser direkt und mit Aussagen an, die für sie echte Relevanz haben.“
Auch bei dem Slogan „Ibumetin, meine Nr. 1 gegen Schmerzen“ (Takeda Pharma, Agentur: DIE QUADRATUR) setzt man letztendlich auf den persönlichen Bezug: „Wir hatten dazu zwei Überlegungen: den Ansatz ‚DIE Nr. 1 …‘ und ‚Meine Nr. 1 …‘.* Als wir auf die vorherige Kommunikation mit ,Ibumedianer‘ verzichtet haben, erschien uns der Ansatz ‚Meine Nr 1 …‘ wegen des Possessivpronomens, das bei klassischen Mitnahmeprodukten wie Ibumetin gut funktionieren sollte und sowohl Kunden als auch Apotheker mit einbezieht, der sinnvollste Weg in einer strategischen Markenführung“, berichtet Mag. Dmitry Osokin, MBA, Business Unit Head OTC, Takeda Pharma. Letztendlich versuche Takeda, so Osokin weiter, immer einen starken Bezug zum Rezipienten aufzubauen. Um dies in der Werbung zu erreichen, liege die bewusste Verwendung des Stilmittels Possessivpronomen auf der Hand.

Vorbildwirkung nutzen

Der Einsatz von Testimonials kann die Personalisierung und „Besitzdarstellung“ noch weiter unterstreichen: „Am besten arbeitet man dabei mit Testimonials, die eine Beziehung zum Produkt haben, d.h. bei einem Schmerzmittel beispielsweise mit einer Person, von der man weiß, dass sie Schmerzen kennt, also vielleicht ein Sportler, der gerade einen Unfall gehabt hat, oder Ähnliches. Durch diese persönliche Verbindung des Testimonials zum Thema wird hohe Kompetenz ausgestrahlt“, erläutert Bergmann.

In der Bildwelt berücksichtigen

Doch was der Text verspricht, sollten die Bilder auch halten: Laut Ördög wird die persönliche Ansprache des Kunden seit etwa zwei Jahrzehnten in verschiedenen Branchen vermehrt genutzt, so auch im Gesundheitsbereich. Dabei fällt ihm auf, dass Bilder, die in der Pharmawerbung verwendet werden, großteils Stock- Bilder sind. Solche Bilder untergraben seiner sicht nach die persönliche Ansprache des Textes und machen die im Text kommunizierte persönliche Ansprache unglaubhaft. „Die Bilder sind spürbar nicht authentisch, der Stock- Image-Charakter ist offensichtlich und damit auch die Auswechselbarkeit. Man sieht zudem viel zu oft Stock-Bilder von schlechter Qualität. Das erschwert es, eine emotionale Verbindung zum Produkt herzustellen. Dabei ist das Bild in der Werbung relevanter als der Text, da es unbewusst und eben ohne bewusste Anstrengung wahrgenommen wird und so die gewünschte Nachricht kommuniziert bzw. kommunizieren könnte“, so Ördög.

Du oder Sie – das ist die Frage …

Manche Anzeigen verwenden „du“, andere „Sie“, also z.B. „dein Stress“ bzw. „Ihr Wohlbefinden“ etc. „Ob man den Kunden siezt oder duzt, hängt zum einen von der Zielgruppe, zum anderen vom Produktcharakter ab. Eine jüngere Zielgruppe wird man eher per Du adressieren, bei älteren zum Sie tendieren. Dies ist auch eine Frage des Respekts gegenüber bestimmten Zielgruppen, die Duzen nicht schätzen würden bzw. nicht gewöhnt sind“, weiß Bergmann aus der Praxis. Arturo betont zudem: „Die Anrede hängt auch von Corporate Identity und Corporate Culture ab: Ein Unternehmen wie Ikea, weltweiter Repräsentant schwedischer Kultur, zu der flache Hierarchien und das ‚Du‘ als übliche Anrede zählen, tritt nach außen hin unbefangen, familiär und heimelig auf. Zusammen mit den Produkten (Wohnen = Freizeit = Lockerheit) ist das Duzen konsequent.“ Auch die Signale, die mit einer Ansprache per Du oder Sie ausgesendet werden, sind unterschiedlich: „Während mit dem ‚Du‘ eher jugendliche und vertraute Aspekte signalisiert werden, sind es beim ‚Sie‘ sachlichere, die in manchen Branchen sowie von manchen Zielgruppen als respektvoller und seriöser angesehen werden“, so Spicko. Das sieht auch Bergmann so: „Je ernsthafter und wissenschaftlicher argumentiert wird – z.B. in der Fachwerbung –, umso eher wird man beim ‚Sie‘ bleiben. Ich kann mir beispielsweise nicht vorstellen, dass man in einer Fachanzeige für Ärzte ein ‚Du‘ verwendet.“ Letztendlich spiele, meint Bergmann weiter, auch die Indikation eine Rolle, denn bei einer schwerwiegenden Erkrankung sei ein „Du“ vermutlich ebenfalls unpassend. Auch die Umsetzungsidee spiele bei der Entscheidung, ob ‚du‘ oder ‚Sie‘ verwendet wird, eine wichtige Rolle, so Arturo, denn ein Zeichentrick-Charakter könne den Konsumenten leichter „duzen“ als eine Firma, Marke oder ein Werbemodel. Bei Vitango wurde bewusst die Anrede „Du“ gewählt: „Durch die Verwendung des Possessivpronomens im Slogan soll unser Verständnis für die Bedürfnisse bzw. Probleme des Konsumenten gezeigt und auch Nähe geschaffen werden. Wir haben uns dabei ganz bewusst gegen die Höflichkeitsform ,Sie‘ entschieden. Das ‚Du‘ schafft zusätzlich eine gewisse Vertrautheit, denn uns ist besonders wichtig, dass sich der Konsument verstanden und abgeholt fühlt“, erklärt Haas die Werbephilosophie.