Neue Finanzierungsmodelle für Gentherapien

Seit mittlerweile fünf Jahren ist Beate Pettinger-Natmeßnig General Manager von CSL Behring Austria und Adriatic Region. Die studierte Biochemikerin und Biotechnologin ist zudem auch als Mentorin tätig. Daher liegt ihr das Thema Mitarbeiterführung sehr am Herzen: „Für mich geht es bei Führungskompetenz um das Empowern der Mitarbeiter:innen und um Shared Leadership. Dafür braucht es ein Führen mit Empathie. Und dazu gehört, authentisch zu sein und auch zuhören zu können“, erklärt sie ihren Führungsstil. Dieser Ansatz wird bei CSL Behring auch gelebt. „Wir sind als Team ständig bemüht, die Lebensqualität von Patient:innen zu verbessern und Leben zu retten. Dabei stehen in den letzten Jahrzehnten vor allem Rare Diseases, also seltene Erkrankungen, im Fokus unserer Bemühungen, immer mit dem Ansatz, Innovationen voranzutreiben und ein vertrauenswürdiger Partner für die Betroffenen zu sein“, erläutert Pettinger-Natmeßnig.

Mehr Lebensqualität ermöglichen

Einer der großen Erfolge der letzten Jahre ist für Pettinger-Natmeßnig die Einführung von rekombinanten Präparaten für die Faktortherapie VIII bzw. IX in der Behandlung der Hämophilie A und B, da diese Therapieoptionen für die Betroffenen eine deutliche Erleichterung in der lebenslangen Behandlung der Hämophilie ermöglichen. Ebenfalls eine Erfolgsgeschichte des Unternehmens ist die Entwicklung einer Prophylaxe bei hereditärem Angioödem (HAE). Bei den Betroffenen kommt es aufgrund eines Gendefekts zu Ödemen. „Hierzu zeigt eine klinische Phase-III-Studie, dass unser in Entwicklung befindlicher first-in-class monoklonaler Antikörper eine signifikante Verbesserung in der Langzeitprophylaxe erreichen wird. Das heißt, wir werden die Lebensqualität der Patient:innen kontinuierlich weiter verbessern können“, berichtet Pettinger-Natmeßnig.Darüber hinaus arbeitet das Unternehmen auch bei Immunglobulinen stetig an verbesserten Applikationen für Patient:innen, um die Handhabung erleichtern zu können. „Zudem laufen derzeit einige klinische Studien in Phase II und III in der Kardiologie sowie in der Transplantation – beides für uns völlig neue Therapiegebiete. Das ist ebenfalls eine sehr spannende, herausfordernde Aufgabe“, betont sie weiters.

Bedarf an Blutplasma steigt

Viele der Produkte von CSL Behring werden aus Blutplasma hergestellt, und dafür werden gesunde Spender:innen benötigt. „Gerade in der Zeit der COVID-19-Pandemie war es für uns eine sehr große Herausforderung, genügend Blutplasma zu sammeln. Das war nicht nur bei uns so, sondern weltweit, denn aufgrund von Lockdowns etc. waren die Sammelmengen in Österreich, aber auch global gesehen deutlich geringer als vor der Pandemie. Damit war natürlich auch der Rohstoff Plasma entsprechend weniger verfügbar, denn vom Sammeln bis zum fertigen Endprodukt benötigen wir ein Zeitfenster von bis zu einem Jahr“, erklärt Pettinger-Natmeßnig. Dennoch ist es dem Unternehmen gelungen, alle Patient:innen auch in dieser herausfordernden Zeit mit den benötigten Therapien zu versorgen. Mittlerweile haben sich die Plasmamengen, die gespendet werden, zwar wieder normalisiert, allerdings steigt nicht zuletzt aufgrund von innovativen Medikamenten, z.B. im Bereich Onkologie und Rheumatologie, und der Entwicklung von sekundären Immundefizienzen (SID) der Bedarf an Blutplasma kontinuierlich an. „Das heißt, mehr Spenden von Blutplasma wären erforderlich“, so Pettinger-Natmeßnig.

Finanzierung mit Risk-sharing Agreement

Gefragt nach der Finanzierung von innovativen Medikamenten in Österreich, hält die Managerin eine generelle Lösung für die ­Finanzierung von Gentherapien, auch Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP – Advanced Therapy Medicinal Products) genannt, für erforderlich: „Das betrifft nicht nur Österreich! Die Gesundheitssysteme haben noch keine klaren Strukturen, wie ATMPs finanziert werden können. Die Klärung dieser Frage ist sicher eine der größten Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, um ein Gesundheitssystem fit für die Zukunft zu machen.“

Gentherapien passen ihrer Ansicht nach nicht in den herkömmlich bekannten Kostenrahmen, daher hält Pettinger-Natmeßnig es für erforderlich, eine übergreifende Finanzierung zu ermöglichen und innovative Bezahlmodelle aufzusetzen: „Hier ist natürlich ein Risk-sharing Agreement ganz klar ein Schlagwort, also dass das Risiko auf beide Seiten, auf die Zahler und die Unternehmen, verteilt wird. Denn schließlich ist eine Gentherapie eine Behandlung, von der alle profitieren!“ Die Vorteile beschreibt sie am Beispiel Hämophilie: Die Gentherapie ermögliche es kurzfristig, dass die Betroffenen nicht mehr täglich eine Infusion brauchen, denn diese werde durch die Gentherapie ersetzt. „Für das Gesundheitssystem werden dadurch kurz- und mittelfristig Ressourcen verfügbar, da der Patient bzw. die Patientin deutlich weniger Kontrollen, weniger Arztbesuche benötigt. Das spart dem Finanzier à la longue Kosten, da die Therapien langfristig wirken. So sehen wir beispielsweise bei den klinischen Studiendaten für unsere Anfang 2023 von der EMA zugelassene Gentherapie für Hämophilie B, dass 96% der ­Patient:innen noch zwei Jahre nach der Verabreichung keine zeit- und kostenintensive Langzeitprophylaxe mehr benötigen.“

Pettinger-Natmeßnig würde sich folgenden Ansatz wünschen: „Natürlich braucht es zuerst einmal wissenschaftliche Daten als Evidenz, dass eine Therapie wirkt. Dann sollte im zweiten Schritt gemeinsam mit allen Stakeholdern eine Lösung für die Finanzierung gefunden werden. Ich sehe CSL Behring derzeit mit unserem Präparat durchaus als Wegbereiter für zukünftige Gentherapien, denn unsere Gentherapie ist erst der Anfang einer Kaskade an innovativen Therapien, die noch kommen wird. Wir können hoffentlich als Role Model dienen, wie eine Finanzierung künftig aufgestellt werden kann. Fest steht: Patient:innen müssen einen raschen Zugang zu solch bahnbrechenden Innovationen haben! Gerade deswegen müssen wir jetzt entsprechende Strukturen schaffen, wie man eine Finanzierung langfristig sicherstellen kann, damit Patient:innen auch in Zukunft gut versorgt werden.“ Ihrer Meinung nach ist es wichtig, dieses Thema nicht nur als einzelnes Land, sondern auch auf europäischer Ebene anzugehen.

Seltene Erkrankungen brauchen Zentren!

Zudem muss man sich ihrer Meinung nach vor Augen halten, dass Gentherapien klassisch im Rare-Diseases-Bereich angesiedelt sind. Als Beispiel nennt sie die Hämophilie B: „In Summe gibt es in Österreich 130 ­Hämophilie-Betroffene, davon rund 40 Erwachsene mit schwerer bzw. moderater Hämophilie. Aktuell erfolgt die Behandlung dieser Patient:innen in speziellen Hämophilie-Zentren.“

Als Forschungsstandort attraktiv bleiben

Und wie sieht es Pettinger-Natmeßnig um das Gesundheitssystem in Österreich bestellt? „Grundsätzlich haben wir immer noch ein Top-Gesundheitssystem mit niederschwelligem Zugang für alle“, meint sie, fügt jedoch ein großes ABER hinzu: „Der Arzneimittelzugang für Patient:innen muss in einigen Bereichen einfach deutlich angepasst ­werden!“ Sie fordert mehr Lenkung der Patientenströme, um die Krankenhäuser zu entlasten, und wünscht sich mehr Primärversorgungszentren. Auch hier sieht sie die Politik in der Pflicht. „Diese muss die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, damit wir auch in zehn Jahren noch rückblickend sagen können: Wir zählen zu den reichsten Ländern Europas und haben eine 1A-Medizin für alle Patient:innen in Österreich.“ Dies sei auch für den Forschungsstandort Österreich von großer Bedeutung, denn: „Forschung wird nur an den Standorten stattfinden, wo dann auch die Patient:innen Zugang zu Innovation finden. Außerdem wird auch die globale Konkurrenz immer größer und Österreich muss jetzt handeln, um als Standort für Forschung ­attraktiv zu bleiben.“