Alpbacher Debatte über Rolle der Wissenschaft in der Pandemie

Alpbach (c) Bogdan_Baraghin

Die Covid-19-Krise mit ihren sich dynamisch entwickelnden wissenschaftlichen Erkenntnissen hat eine „Welt der Wahrscheinlichkeiten“ offenbart, mit der die Politik ihre liebe Not hat. Was fehle seien Umsetzungskonzepte, hieß es beim Europäischen Forum Alpbach.

Durch die rasche Entwicklung von Covid-19-Impfstoffen ist die Wissenschaft im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit gelandet. Als Konsequenz dessen, dass die „Wissenschaft der Welt den Hintern gerettet hat“, schlägt Jürgen Mlynek, Vorsitzender der Falling Walls Foundation, vor, für drängende Probleme wie den Klimawandel nun systematischere Überlegungen zu Zukunftsszenarien zu entwickeln und „Chief Scientific Advisors“ einzusetzen. „Es gibt nicht die Zukunft, es gibt Zukünfte“, sagte Mlynek bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Alpbacher Technologiegespräche.

Zur Lösung von Zukunftsproblemen sieht der Physiker vor allem die Politik gefordert. „Die gesellschaftliche Transformation ist keine Frage der (wissenschaftlichen) Erkenntnis, sie ist ein Umsetzungsthema“, sagte Mlynek. Politische Rahmenbedingungen sollten zudem so gestaltet sein, dass die nicht zielgerichtete Grundlagenforschung noch stärker finanziell unterstützt wird. „Freiheit ist noch wichtiger als finanzielle Unterstützung“, sagte Mlynek mit Blick auf die bereits zwei Jahrzehnte andauernde mRNA-Forschung, die die rasche Entwicklung darauf basierender Impfstoffe erst ermöglichte. Wenig mit Freiheit zu tun habe in Mitteleuropa noch der Umgang mit Daten für die Forschung, vor allem für das Gesundheitswesen. „Wollen wir die Menschen oder die Daten schützen?“, stellte Mlynek, in Zusammenhang mit der Corona-App in den Raum.

Die App-Entwickler hätten mit mehr Daten bessere und schnellere Arbeit zum Wohle der Gesellschaft leisten können, die „Heilige Kuh“ Datenschutz habe das jedoch behindert. Generell orteten die Diskutanten noch viel Aufklärungsbedarf in der Öffentlichkeit rund um wissenschaftliche Themen. „Wissenschaft ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, konstatierte Helga Nowotny, ehemalige Präsidentin des Europäischen Forschungsrats und Mitglied des Rates für Forschung und Technologieentwicklung (RFTE). Dieser Platz sei aber kein komfortabler, denn die Gesellschaft habe noch zu wenig Verständnis dafür, wie Wissenschaft funktioniere. Diskussionen über die Bedeutung von Zahlen und Daten würden schnell als Uneinigkeit interpretiert. Dabei sei Wissenschaft nichts anderes als „organisierter Skeptizismus“, was noch stärker kommuniziert gehöre.

In die gleiche Kerbe schlug Detlef Günther, Vizepräsident für Forschung an der ETH Zürich. „Wir haben zu wenig erklärt, wie Wissenschaft funktioniert. Hypothese – Gegenhypothese – Verwerfung, und das fand plötzlich in der Öffentlichkeit statt.“ Als besonders schlimm hätten sich Informationen im Internet erwiesen, dort finde man viel vor, „was nicht ganz falsch, aber auch nicht richtig“ war. Dagegen zu argumentieren sei der Wissenschaft extrem schwer gefallen. Manchen Wissenschaftern müsse man in dem Zusammenhang aber auch erklären, „dass sie nicht jedes offene Mikrofon auch benutzen sollen“.

Die Pandemie mit ihren sich dynamisch entwickelnden wissenschaftlichen Erkenntnissen habe eine „Welt der Wahrscheinlichkeiten“ offenbart, mit der die Bevölkerung und die Politik ihre liebe Not haben. Dass Experten das Bedürfnis nach Sicherheit nicht befriedigen konnten, sei logisch, so Nowotny. Um Politikberatung gut zu betreiben, brauche es daher klare Rollenverständnisse und gutes Datenmaterial. Die Weltsichten von Politikern, Wissenschaftern und der restlichen Gesellschaft können mitunter weit auseinanderliegen, hieß es bei einer Diskussion. Während Forscher es gewohnt sind, in einem Umfeld mit Unsicherheit und Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten, wollen die Politik und Laien oft klare Antworten. Die gebe die Welt mit ihren Unvorhersagbarkeiten aber oft einfach nicht her – besonders, wenn sich Dinge so schnell entwickeln, wie der Covid-19-Ausbruch. Die Politik musste erst verstehen, „dass wir mit neuen Daten arbeiten und auch nicht alle Papers lesen können“. Die Situation war vor allem am Beginn „sehr herausfordernd“, alles war „work in progress“, sagte die Leiterin des Zentrums für Virologie der Medizinischen Universität Wien, Elisabeth Puchhammer-Stöckl. Mit Fortdauer der Pandemie hätten Medienvertreter statt nach Informationen auch immer stärker Fragen nach Meinungen gefragt, so Puchhammer-Stöckl. Dies sollten Forscher jedoch möglichst gut auseinanderhalten, denn es gehe auch um Vertrauen in viele Richtungen. (red/APA)