Das sagt Spitzen-Infektiologe zu Impfpflicht, Masken und Corona-Bilanz

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Univ.-Prof. Dr. Heinz Burgmann ist Leiter der Klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin der Universitätsklinik für Innere Medizin I an der Med Uni Wien und Mitglied der Corona-Taskforce im Gesundheitsministerium. Im RELATUS-Interview erklärt er, warum er gegen Impfpflicht, für Mund-Nasen-Schutz ist und was er zu den Regierungsmaßnahmen sagt.

Derzeit wird über eine mögliche Impfpflicht im Fall einer verfügbaren Corona-Impfung diskutiert. Was sagen Sie: Impfpflicht, ja oder nein? Eine Impfpflicht finde ich nicht gut und sehe es auch bei Corona eher problematisch. Man muss zuerst einmal klären, ob es eine Impfung geben wird oder nicht. Dann ist die Frage, was für eine Art das ist, welche Nebenwirkungen sie hat und vor allem wie effektiv ist sie. Man versucht schon länger Corona-Impfungen zu entwickeln, bisher gibt es aber nichts. Es ist ja nicht so, dass man erst seit kurzem versucht eine Impfung zu finden. Bei SARS gab es zwar dann einen Todimpfstoff – wie effektiv er gewesen wäre, weiß man aber nicht, weil man ihn aufgrund des Abflachens der Infektionen nicht mehr getestet hat. Man darf nicht vergessen, dass man so eine Impfung ja einem gesunden Menschen gibt – da stellt sich immer die Frage, wie hoch sind Nebenwirkungen und wie ist die Effektivität. Wenn wir flächendeckend impfen, wird es auch bei niedrigen Nebenwirkungen doch in absoluten Zahlen entsprechende Fälle geben. Diese Diskussion schau ich mir dann an, wenn es eine Impfpflicht gibt. Es sind also noch viele Fragen zu klären. Ich lasse mich gerne positiv überraschen, aber normal dauert die Impfstoffentwicklung Jahre. Was wir dringender brauchen, sind Medikamente für schwerere Verläufe.

Wird Aufklärung reichen, um im Fall der Fälle eine hohe Durchimpfungsrate zu erreichen? Das denke ich schon. Man sollte die Menschen entsprechend aufklären. Ich weiß es gibt zum Thema Impfpflicht verschiedene Zugänge – alles was verpflichtend ist ruft aber bei bestimmten Leuten auch eine Abwehrhaltung hervor. Eine Herdenimmunität liegt bei 60-70 %. Wenn man wirklich eine wirksame Impfung hat, wird es sich entsprechend durchsetzen. Wichtig wird sein, im Herbst die Durchimpfungsrate gegen Influenza zu erhöhen. Die Effektivität der Impfung ist bei Grippe zwar auch endenwollend – in gewissen Risikogruppen bei 40% – das bedeutet aber schon, dass 4 von 10 geschützt sind. Dadurch stecken sich also insgesamt natürlich viele Menschen nicht an. Für das Kollektiv ist es gut, beim Einzelnen nur begrenzt. Influenza und COVID-19 werden gemeinsam im Herbst wieder auftreten. Hier wird wichtig sein, an die Selbstverantwortung zu appellieren, um auch das Gesundheitssystem entsprechend zu schützen.

Ein anderes Thema, das derzeit diskutiert wird, ist der Mund-Nasen-Schutz. Wie sinnvoll ist er? In der derzeitigen Lage mit niedrigen natürlichen Infektionsraten und der Übertragung – wenn Infizierte noch nicht symptomatisch sind – macht es Sinn. Die Leute sind bei Corona sehr früh infektiös und man kann sie nicht herausfiltern. Ein Mund-Nasen-Schutz kann die Wahrscheinlichkeit der Übertragung deutlich reduzieren – vor allem bei der Übertragung in engen Räumen oder Menschenansammlungen hat es eine große Wirkung, weil es die Freisetzung von Partikeln verhindert. Zu manchen Argumenten die Kritiker vorbringen, ist zu sagen, dass dann etwa ja alle unsere Chirurgen Lungenkrank sein müssten, weil sie zum Teil stundenlang und regelmäßig damit operieren. Der Mund-Nasen-Schutz ist ein Schutz für ein Gegenüber. FFP2-Masken sind hingegen ein Schutz für den Träger. Im Supermarkt mit Ventilmasken herum zu rennen ist aber auch sinnlos. Das schützt nur sich selbst, nicht aber die Umgebung. Mund-Nasen-Schutz ist also ein sehr effektiver Weg, um die Verbreitung des Virus zu reduzieren.

Wie groß ist die Gefahr einer zweiten Welle? Wenn die Fallzahl so bleibt wie jetzt, ist die Wahrscheinlichkeit einer weiteren großen Welle gering. Je höher die Zahl der Kontakte ist, umso höher ist auch das Risiko von Infektionen. Wie der Herbst ist, wird man sehen. Wichtig ist, dass wir versuchen, die Fallzahl niedrig halten – durch großzügige Tests (auch um asymptomatische Träger zu finden) und penibles Contact Tracing. Wir müssen versuchen, dass sich Cluster nicht ausbreiten und verhindern, dass das Virus wieder in Bevölkerung zu zirkulieren beginnt. Da hilft eben weiterhin social distancing, das Tragen von Masken, Hygienemaßnahmen, Contact Tracing und möglichst sich nicht die Hände zu schütteln. Wir müssen uns mit dem Virus arrangieren, es wird nicht verschwinden. Und wir können auch nicht ewig Stillstand haben.

Wie beurteilen Sie überhaupt die Maßnahmen, die in Österreich getroffen worden sind? Es gab zuletzt auch Kritik, dass man schon früher hätte öffnen können. Die Maßnahmen in Österreich waren gut, wir konnten das Virus stoppen. Es ging darum das System zu schützen und dazu mußte man die Verbreitung unterbrechen. Das war nur durch einen Kraftakt möglich. Die Frage ist, wie tut man weiter? Wie kommt man in Normalität? Bei uns dauerten die Maßnahmen ja nur 4 Wochen und dann wurde begonnen sie zu lockern. Natürlich ist das lang. Andere Länder haben das aber deutlich länger. Wir haben gesehen, dass die Ausbreitung des Virus im System träge ist. Das Problem ist das Risiko, dass man den Beginn eines neuen exponentiellen Anstiegs übersieht. Deshalb sind auch laufende Tests wichtig, um frühzeitig Hotspots zu entdecken. Klar ist, dass Europa nicht wirklich gut vorbereitet war. Ob die Schweden mit ihrer Strategie besser fahren, wird man am Ende des Tages sehen. Vergleiche sind hier sehr schwer. Ich denke die Maßnahmen waren schmerzhaft aber unbedingt notwendig. Ob man jetzt schneller öffnen kann, weiß ich nicht. Ich bin eher ein vorsichtiger Mensch. Das Virus ist heimtückisch und hat gezeigt, dass es großes Potenzial hat.

Das Interview führte Martin Rümmele