Diabetes: Erstmals Daten über Dunkelziffer

© didesign – stock.adobe.com

Lange Zeit fehlten in Österreich belastbare Daten zur Verbreitung von Diabetes mellitus Typ 2 und dessen Vorstufen. Sie zeigen eine weitgehend unerkannte Epidemie.

Erstmals liegen Ergebnisse groß angelegter Auswertungen vor – darunter über 6,5 Millionen Nüchternblutzuckerwerte aus der Gesundenuntersuchung sowie aktuelle Prävalenzdaten aus Hausarztpraxen und Spitälern. In einer der bislang größten Studien ihrer Art haben Forscher:innen aus Oberösterreich systematisch den Blutzuckerwert (HbA1c) von über 3000 erwachsenen Krankenhauspatient:innen untersucht. Das Ergebnis ist alarmierend: Mehr als jeder zweite Patient (51,5 %) litt an Diabetes oder einer Vorstufe davon – teilweise ohne es zu wissen.

„Diese Zahlen zeigen, dass wir es mit einer weitgehend unerkannten Epidemie zu tun haben“, erklärt Studienleiter und Past-President der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG), Martin Clodi. „Besonders alarmierend ist, dass viele der Betroffenen nichts von ihrer Erkrankung wussten – erst im Zuge der stationären Aufnahme wurde der Diabetes festgestellt.“ Durchgeführt wurde die Untersuchung an drei Krankenhäusern in Linz und Gmunden. „Insgesamt 27,8 % der Patientinnen und Patienten hatten manifesten Diabetes, bei weiteren 23,7 % fanden wir sogenannte Prädiabetes-Werte“, erklärt Autor Clodi.

„Diese Daten sind ein Weckruf“, kommentiert ÖDG-Präsident Peter Fasching. „Wenn mehr als die Hälfte aller Krankenhauspatient:innen von einer Zuckerstoffwechselstörung betroffen ist – teilweise ohne es zu wissen – zeigt das den enormen Handlungsbedarf. Die flächendeckende Bestimmung des HbA1c-Wertes bei Spitalsaufnahmen muss zur Routine werden, wenn wir Versorgungslücken schließen und Folgeerkrankungen verhindern wollen.“ Die Studie zeigt auch einen engen Zusammenhang zwischen erhöhtem Blutzucker und anderen Erkrankungen: Herzschwäche, Bluthochdruck und Gefäßverkalkungen waren bei Menschen mit Diabetes oder Prädiabetes deutlich häufiger.

In einer Untersuchung der Österreichischen Diabetesgesellschaft (ÖDG) wurden nun knapp 6,5 Millionen Nüchternblutzuckerwerte aus der Vorsorgeuntersuchung von den Jahren 2017-2023 untersucht und mit einer weiteren Studie der ÖDG , der AUSTRO-PROFIT Studie, die in Allgemeinmedizinischen und internistischen Ordinationen in ganz Österreich durchgeführt wurde, verglichen. Diese zeigt, dass 7 % der Teilnehmer:innen an bekanntem Typ-2-Diabetes leiden, während 3 % bislang unentdeckten Diabetes aufwiesen. Prädiabetes wurde bei rund 20 % festgestellt. „Dass 3 % der erwachsenen Bevölkerung, die eine Vorsorgeuntersuchung in Anspruch nehmen, von einem unerkannten Diabetes mellitus betroffen sind, ist alarmierend und unterstreicht die Wichtigkeit von Blutzuckerbestimmungen insbesondere bei Risikopersonen, wie etwa jenen mit Übergewicht“, berichtet der Leiter der Studiengruppe und President elect der ÖDG, Harald Sourij von der MedUni Graz.

Die Österreichische Diabetes Gesellschaft hat die Studien maßgeblich unterstützt und sieht sich in ihrer Rolle als wissenschaftliche Gesellschaft bestätigt: Forschung, Früherkennung und Prävention müssen weiter gestärkt werden. „Gerade in der breiten Versorgung durch Hausärzt:innen müssen wir den Fokus verstärkt auf die frühzeitige Erkennung von Diabetes legen“, betont Gersina Rega-Kaun, erste Sekretärin der ÖDG und liefert weitere Daten, die das begründen: „Wie neueste Daten aus Dänemark zeigen, entwickelt jeder 5. Mensch mit Prädiabetes in den nächsten 5 Jahren einen Diabetes. Bereits die vielzitierte Diabetes Prevention Program (DPP)-Studie mit 3.234 Teilnehmenden zeigte, dass Lebensstilveränderungen – also Gewichtsreduktion von mindestens 7 % und mindestens 150 Minuten Bewegung pro Woche – das Risiko für eine Diabetesmanifestation um 58 % senken können. In derselben Studie reduzierte Metformin das Risiko um 31 % im Vergleich zu Placebo.“

Im Fokus stehen derzeit neue Medikamente, die beim Abnehmen helfen und den Blutzucker regulieren – sogenannte Inkretine, die Mono GLP-1- und duale GLP1/GIP-Rezeptoragonisten. In der SCALE-Studie (n=3.731) führte Liraglutid zu nachhaltiger Gewichtsabnahme und normoglykämischen Remissionen. In den STEP 10- (n=207) und SELECT-Studien (n>17.000) zeigte Semaglutid ähnliche Ergebnisse. Besonders eindrucksvoll waren die Ergebnisse der SURMOUNT-1-Studie mit Tirzepatid: Nach 176 Wochen konnte die Progression zum Typ-2-Diabetes um 93 % reduziert werden – begleitet von einer signifikanten Gewichtsabnahme und Verbesserung kardiometabolischer Parameter. Allerdings kam es nach Absetzen der Medikation zu einem Rückgang der positiven Effekte, was auf die Notwendigkeit einer langfristigen Therapie bei Hochrisikopatient:innen hinweist. (red)