Kommentar: Corona bringt Debatte über Finanzierung des Systems

Martin Rümmele ist Chefredakteur von Relatus.

Die steigenden Kosten im Gesundheitswesen und die wachsenden Verluste in der Sozialversicherung öffnen den Weg für ein Umdenken bei der Finanzierung des Gesundheitswesens. Das könnte weitrechende Folgen haben.

Die Budgetdebatte der vergangenen Tage hat in den Kapiteln Gesundheit und Soziales eine durchaus überraschende Diskussion über eine Neuordnung der Finanzierung gebracht, die auch das System verändern könnte. Der Input kam ausgerechnet von den Grünen. Sie wollen offenbar neue Wege gehen. Nachdem sich Sozialsprecher Markus Koza bei der Budgetdebatte mehr Arbeitslosengeld vorstellen konnte, doppelte Fraktionskollege Ralph Schallmeiner beim Gesundheitskapitel nach. Er will, dass das System nicht mehr nur über Einnahmen aus Arbeit finanziert wird. Man werde darüber reden müssen, warum Kapitalerträge keinen Beitrag leisten: „Das werden wir ändern müssen.“ Zuerst wird man wohl mit dem Koalitionspartner sprechen müssen, das bisher zu ähnlichen Themen immer abgeblockt hat.

Klar ist, dass die Corona-Krise auch das Gesundheitswesen viel Geld kosten wird. Und gerade dieser Bereich war auch in der Vergangenheit immer wieder von Spardebatten geprägt. Während die Grünen eine breitere Einnahmenbasis wollen, fürchtet SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher, dass die ÖVP in eine andere Richtung denkt: „Während wir hier im Parlament für mehr Gesundheitsbudget kämpfen, arbeiten im Hintergrund schon neoliberale Think Tanks im Auftrag von Sebastian Kurz daran, die Gesundheitsversorgung neu aufzustellen. Diese Menschen, die uns jahrelang erklärt haben, Gesundheitsversorgung sei nur ein Kosten-Faktor. Da müssen wir vorsichtig sein“, warnt Kucher. Er forderte deshalb die Finanzierung für Krankenhäuser und Sozialversicherung sicherstellen. Es könne nicht sein, dass die Versicherten „durch Leistungskürzungen oder Privatisierungen die Rechnung zahlen müssen oder Ärzte weniger bezahlt bekommen oder Krankenhausstandorte geschlossen werden müssen.“

Eine Sorge, die international auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilt. Sie hat dieser Tage vor einer Kürzung der Gesundheitsausgaben in Europa während der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise gewarnt. „Wir haben Sorge, dass die Länder auf diese Krise genauso reagieren werden wie auf die Rezession vor zehn Jahren – indem sie die öffentlichen Gesundheitsausgaben kürzen“, sagte der WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Kluge. Dies könne lebensgefährliche Auswirkungen haben, sagte er weiter. „Die Kürzungen hinderten viele Menschen daran, die Gesundheitsversorgung in Anspruch zu nehmen, die sie brauchten“, sagte Kluge auf einer Pressekonferenz am Donnerstag. Laut WHO sanken die Pro-Kopf-Ausgaben für die Gesundheitsversorgung zwischen 2008 und 2013 in rund der Hälfte der europäischen Länder.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides kündigt indes einen „Paradigmenwechsel“ in der EU-Gesundheitspolitik an und will 2021 ein Programm mit dem Namen „EU4Health“ 2021 starten. Der Kommissionsentwurf dazu sieht eine Aufstockung der Mittel von rund 400 Millionen Euro auf 9,4 Milliarden Euro vor. Das Programm soll die Widerstandsfähigkeit der Gesundheitssysteme stärken und Innovation auf diesem Sektor fördern. Um auf weitere Krisen vorbereitet zu sein, sollen Reserven an Medizingütern angeschafft und Gesundheitspersonal zum Einsatz innerhalb der gesamten EU ausgebildet werden. Bis Ende 2020 will die EU-Kommission auch eine neue Strategie zur Versorgung mit Pharmaprodukten vorlegen. Europa ist wie berichtet weitgehend abhängig von der Produktion in Asien. Sozial- und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) will wiederum eine „Nationale Strategie zur Armutsvermeidung“. Eine im internationalen Vergleich niedrigere Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdungsquote ändert nichts daran, dass „rund 1,5 Millionen Menschen in Österreich in ihrer sozialen Teilhabe massiv eingeschränkt sind“, sagte der Minister.

Es wird sich zeigen, in welche Richtung die Entwicklung geht. Am Ende könnte sich das System auch tiefgreifend verändern, weil Budgets nicht erhöht sondern verschoben und gebündelt werden. Die Finanzierung aus einer Hand rückt näher – die Frage ist nur, wer diese Hand am Ende sein wird. (rüm)