Kommentar: Schwarz gegen Türkis zeigt Schwachstellen im System

Martin Rümmele ist Chefredakteur von Relatus.

Das Beispiel Tirol zeigt, wie viel Macht die Bundesländer eigentlich haben. Das gilt auch für den Gesundheitsbereich – mit fatalen Folgen für die Versorgung. Das Beispiel zeigt aber auch, dass den schwarzen Bundesländern die türkise Bundes-ÖVP nicht mehr grün ist.

Tiroler ÖVP-Politiker haben der türkis-grünen Bundesregierung in Wien in den vergangenen Tagen ausgerichtet, dass es „Granada spielen“ werde oder Wien die Tiroler „kennen lernen wird“, wenn der Bund im Zusammenhang mit der südafrikanischen Corona-Mutation, Maßnahmen gegen Tirol verhängt. Man kann das natürlich damit abtun, dass manche Tiroler eben jedes Klischee erfüllen und manche Klischees gar keine sind, sondern die Realität wiedergeben. Ischgl lässt grüßen. Man kann das aber auch ernster sehen: In den Bundesländern bröckelt innerhalb der ÖVP die Zurückhaltung gegenüber Bundeskanzler Sebastian Kurz. Schon Anfang Jänner hieß es aus Tirol und Vorarlberg, dass die Länder die Koordination der Impfungen selber in die Hand nehmen sollen. Der Tiroler Günther Platter und der Vorarlberger Markus Wallner (beide ÖVP-Landeshauptleute) übten dabei scharfe Kritik am Bund, weil dieser zu „bürokratisch“ agiere. Unterstützung bekamen sie vom Steirer Hermann Schützenhöfer (alle ÖVP), der mit Jahresbeginn den Vorsitz der Landeshauptleutekonferenz übernommen hat. Offiziell nahm man das grüne Gesundheitsministerium ins Visier, inoffiziell auch den Kanzler. Der gab nach.

Kurz hat sich von der ÖVP 2017 eine Generalvollmacht geben lassen. Er wollte sein Team ohne Rücksicht auf die ÖVP-Bünde und die Länder zusammenstellen dürfen. In der Krise zeigt sich jetzt, wie viel die Vollmacht wert ist. Der Kanzler war deshalb in den vergangenen Tagen bemüht, sich nicht sichtbar in den Konflikt zwischen Tirol und dem Gesundheitsminister hineinziehen zu lassen. Stattdessen kritisierte er in einem offenen Brief mit anderen Regierungschefs die EU-Kommission für ihr Impfstoff-Besorgungsmanagement. Hinter den Kulissen wurde aber alles getan, um die Tiroler wieder einzufangen. Als das gelang, wurde es auch demonstrativ präsentiert. Als am Dienstag die Regierung Tirol doch eingebremst hat, wurde das vom Pressechef des Kanzleramtes persönlich in einer gemeinsamen Aussendung mit Günther Platter verkündet, wo dieser erklärte, dass er die Maßnahmen des Bundes nun doch für notwendig erachtet. „Deeskalation“ statt „Muskelspiele“ seien jetzt wichtig, sagte Platter zeitgleich in Tirol.

Der Sieg nach Punkten überdeckt allerdings grundlegende Probleme vor allem im Gesundheitsbereich. Nicht der Gesundheitsminister und der Bund haben über weite Strecken von Versorgung über Planung bis zu Strukturen das Sagen, sondern die Länder. Sie entscheiden über die Spitalsversorgung und vieles mehr – der Bund soll hingegen zahlen. Das wiederum zeigt sich darin, dass die Sozialversicherung beim Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern – wo auch über die Budgets der Kassen verhandelt wird – nicht einmal am Verhandlungstisch sitzen darf. Die Finanzierung der Spitäler ist für Länder als Träger so wichtig, dass meist nicht Gesundheitslandesräte dafür zuständig sind, sondern Finanzlandesräte oder sogar die Landeshauptleute selbst – es geht hier immerhin um viel Geld. Wie viel Ahnung von Gesundheitsthemen die Landesverantwortlichen haben, zeigte sich jetzt wieder in Tirol und in den vergangenen Wochen darin, wie unterschiedlich manche Länder testen, impfen und das Contact Tracing umgesetzt haben. Die Causa Tirol zeigt aber auch, wie schwach die Rolle des Gesundheitsministeriums in Hinblick auf Versorgung, Steuerung und letztlich Krisenbewältigung ist. Obwohl die ansteckendere Südafrika-Mutation schon vor rund zwei Wochen im Westen nachgewiesen wurde, hat Tirol bisher alles abgeblockt.

Vielleicht sollte man also auch darüber diskutieren, wie die Macht der Länder insgesamt beschränkt werden kann, gerade bei so zentralen Themen wie Gesundheit. Die Fusion der Gebietskrankenkassen – die einige Landespolitiker davor zu ihrem Einflussbereich gerechnet haben – war ein erster Schritt. Es wird sich zeigen, wie sich das auf die Versorgung auswirkt. In Dänemark, das übrigens viel besser bei den Impfungen unterwegs ist, gab es 2007 eine zentrale Verwaltungsreform. Die Zahl der Gemeinden wurde von 271 auf 98 reduziert, die Durchschnittgröße von 20.000 auf 55.000 Einwohner angehoben. Die 13 Landkreise wurden zu fünf Regionen zusammengelegt. Das hat letztlich auch den Umgang mit der Pandemie erleichtert. (rüm)