Einschnitte bei Pharma-Patenten

Die EU-Kommission legt sich mit der Pharmaindustrie an. Die neue EU-Arzneimittelreform sucht Lösungen gegen Engpässe und hohe Preise, will gleichzeitig auch die Industrie stärken. Diese sieht sich aber ausgebootet.

Die EU-Kommission will mit einem Sechspunkte-Programm das Arzneimittelrecht der EU modernisieren, von dem sowohl Konsument:innen als auch die Wirtschaft profitieren sollen. Es sei die größte Reform seit 20 Jahren, betonte der EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas am Mittwoch. Die Überarbeitung des EU-Rechtsrahmens „Pharma Legislation“ soll Medikamente besser verfügbar, leichter zugänglich sowie erschwinglich und die EU selbst unabhängiger machen. Möglich werden soll das vor allem über Änderungen beim Patenschutz. Damit diese sogenannten Generika in der EU schneller auf den Markt kommen, sollen die Entwickler der Originalmedikamente einen kürzeren Schutz für ihre neuen Mittel bekommen. Dafür gibt es dann aber Zuckerl.

Konkret plant die Kommission, eine Liste besonders wichtiger Präparate anzulegen. Schwachstellen in den Lieferketten dieser Medikamente sollen angegangen werden. Unternehmen sollen dazu verpflichtet werden, Versorgungslücken und den Rückruf von Medikamenten früher zu melden sowie Vorsorgepläne zu erstellen. Engpässe bei wichtigen Arzneimitteln – von Antibiotika bis zu Schmerzmitteln – sowohl in den vergangenen Monaten wie auch während der Corona-Pandemie hätten die Probleme aufgrund des Produktionsrückgangs in der EU aufgezeigt. Die EU-Kommission will nicht nur diese Probleme lösen, sondern auch sicherstellen, dass Medikamente in Zukunft zeitgleich in allen 27 EU-Staaten auf den Markt kommen. Zugleich will die Behörde gegen Antibiotikaresistenzen vorgehen, die für den Tod von mehr als 35.000 Menschen jährlich in der EU verantwortlich sein sollen.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides betonte am Mittwoch, dass gegenwärtig etwa in östlichen EU-Staaten nur zehn Prozent der verfügbaren Medikamente auch wirklich zugänglich seien, dies solle sich ändern. Dafür soll auch die EMA schneller werden: So wird sie für die Bewertung von Medikamenten in Zukunft 180 statt 210 Tage Zeit haben. Für die Zulassung will die EU-Kommission 46 statt 67 Tage zur Verfügung stehen. All dies soll die derzeitig durchschnittliche Dauer von 400 Tagen zwischen Antragstellung und Marktzulassung reduzieren. Drittens sollen Zulassungen beschleunigt und der Verwaltungsaufwand verschlankt werden. Die Verbesserung der Verfügbarkeit von Arzneimitteln und Sicherstellung, dass Patient:innen immer mit Arzneimitteln versorgt werden können, unabhängig davon, wo sie in der EU leben, soll ebenso sichergestellt werden, wie auch die Bekämpfung der antimikrobiellen Resistenz (AMR).

Die Kommission schlug vor, die Entwicklung bahnbrechender Antibiotika attraktiver zu machen. Konkret könnten Unternehmen, die ein solches Präparat herstellen, künftig einen Gutschein über den Schutz der Daten eines Medikaments – also eines Monopols – für ein weiteres Jahr erhalten. Dieser Gutschein soll nicht an das neue Antibiotikum gebunden sein und könnte auch verkauft werden. Die Kosten für die nationalen Gesundheitssysteme liegen nach Angaben einer EU-Beamtin bei rund 500 Millionen Euro. Der Präsident des Europäischen Pharmaverbands (EFPIA), Hubertus von Baumbach, warnte dagegen, die Vorschläge gefährdeten die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie.

„Statt Forschungs- und andere Anreize für ein Mehr an Arzneimitteln, einen schnelleren wie breiteren Zugang zu Medikamenten und eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas zu setzen, verfolgen die Verordnungsentwürfe das Gegenteil. Sie zwängen die pharmazeutische Branche in ein Korsett aus Restriktionen und Verschärfungen. Dadurch sind negative Effekte auf den Forschungs- und Produktionsstandort Europa und ebenso auf die Versorgung mit Arzneimitteln zu befürchten“, kritisiert der heimische Pharmaverband Pharmig. Die für sich stehenden Bereiche Marktzugang und Anreize würden im vorgelegten Text derartig miteinander verwoben, dass Vorgaben für Firmen nicht umsetzbar sind und es für Unternehmen unattraktiv gemacht wird, das hohe Risiko, das die Entwicklung neuer Medikamente mit sich bringt, in Europa einzugehen. Sylvia Hofinger, Geschäftsführerin des Fachverbandes der Chemischen Industrie Österreichin der WKO sieht sogar eine vertane Chance. „Die von der Kommission vorgeschlagenen Vorhaben werden Investitionen in innovative Arzneimittel eher verhindern, statt sie zu forcieren. Die Kommission ist gut beraten, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Pharmaindustrie im Auge zu behalten und das versprochene Ziel der Standortstärkung mit mehr Vehemenz zu verfolgen – gerade im Sinne der betroffenen Patienten.“ (APA/red)