Forscher erwarten einen „schwierigen Herbst“ aber keinen Lockdown

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Mit einer „potenziell schwierigen Ausbreitungssituation“ im Herbst rechnet Simulationsforscher Niki Popper von der Technischen Uni Wien beim Blick auf die Corona-Pandemie. Genforscher Josef Penninger erwartet dennoch keinen zweiten Lockdown.

„Ich denke, dass bei dieser geballten Macht an Hirnen und Geld schlussendlich etwas Gutes herauskommen wird“, sagt Josef Penninger zum COVID-19-Forschungsstand, in einem Online-Gespräch mit dem Bildungsexperten Gerhard Schmid („ZeitGespräche“). Aber er differenziert: „Medikamente gegen COVID-19 werden wir früher haben als Impfungen. Aber bis das alles nach Wien kommt, wird’s schon noch ein bissl dauern.“ Normalerweise dauere die Entwicklung eines Impfstoffes zehn Jahre, „und für viele Viren haben wir bis heute nichts gefunden“. Trotzdem hoffe er, dass es bald einen Impfstoff gebe. „Aber es wird nicht so leicht sein – und deshalb brauchen wir Medikamente, die wirken“, sagt Penninger. Über die Gefährlichkeit des Virus sagt Penninger: „Laut unseren Daten ist die Anzahl der Infizierten weltweit zehn Mal höher als die offizielle Zahl. Wenn man in Österreich von 20.000 Infizierten spricht, sind es wahrscheinlich schon zehn Mal mehr. Wenn man sich die Todesstatistik anschaut, dann sind wir bei 0,4 bis 0,5 % Sterblichkeit. Was noch immer vier bis fünf Mal höher ist als bei der Grippe. Die Zahlen gehen auch noch weiter nach oben, wir sind also noch nicht einmal am Gipfel.“

Mit einer „potenziell schwierigen Ausbreitungssituation“ im Herbst rechnet Simulationsforscher Niki Popper von der Technischen Uni Wien. Die aktuelle „Dynamik bei den Jungen“ könne zeitversetzt auch dazu führen, dass die älteren Risikogruppen wieder stärker mit dem Virus konfrontiert sind. Bei der Eindämmung gebe es noch Luft nach oben, sagt Popper zur APA. Aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Monate sieht der Simulationsforscher auch jetzt aber keine problematischen Auswirkungen auf das Gesundheitssystem, speziell die Hospitalisierungen zukommen, „weil die Therapie viel effizienter ist als im Frühling“. Kritisch sei aber die Ausbreitung zu sehen: „Der Druck ist schon höher als er damals war. Das liegt unter anderem daran, dass wir diesmal nicht bei null oder zwei Fällen anfangen, sondern jetzt weit verbreitet viele Herde haben und wahrscheinlich auch eine höhere Dunkelziffer“, sagte Popper. Dass die Fallzahl momentan nicht stark steigt, liege den Modellen folgend vermutlich an der Struktur der Cluster, dem „Gegendruck“, den die Maßnahmen noch ausüben und einem derzeit ausreichenden Isolieren positiver Fälle. Wenn im Herbst nun wieder verstärkt Indoor-Aktivitäten mit größeren Menschenmengen anfahren und zeitversetzt mit den fallenden Temperaturen der Wintertourismus und die Grippesaison einsetzen, würden sich die Strukturen in den Ausbreitungsnetzwerken ändern und die gesetzten Maßnahmen in ihrer Wirkung schwächer.

In den neuen Modellrechnungen von Popper kommt es unter sich verschlechternden Voraussetzungen um die dritte September-Woche zu einem merklichen Anstieg. Popper: „Dann sagen alle, die Schulen sind schuld“, obwohl die Gründe vielschichtiger seien. Eine richtige zweite Welle erwartet der Forscher zwar nicht, aber ein „Dahinmäandern“, das ab einem gewissen Zeitpunkt in den Modellen auch wieder schnell ansteigt. „Der Anstieg hängt in den Simulationen direkt vom Wechselspiel gesetzter Maßnahmen zur Kontaktreduktion, Abstand und Hygiene sowie der TTI-Strategie ab. Wenn sich durch die Entwicklung ein Faktor erhöht, muss man an den anderen arbeiten“, erklärt der Experte. Die Mechanismen hinter der Epidemie verstehe man mittlerweile viel besser als noch im Frühjahr. Wenn jetzt der COVID-19-Anteil unter den recht mobilen und oft asymptomatisch infizierten 15- bis 30-Jährigen höher ist, sei auch damit zu rechnen, dass die momentan „gut geschützten vulnerablen Gruppen“ wieder verstärkt mit dem Erreger in Kontakt kommen. Spätestens dann schlage sich die Entwicklung auch wieder in einer Vervielfachung an Personen nieder, die eine Spitals- oder Intensivbehandlung brauchen, sagte Popper. Da der Anteil der schweren Fälle durch verbesserte Therapien aber auch bei diesen Gruppen niedriger sein dürfte, kann das Gesundheitssystem länger gut damit umgehen als im Frühling, auch wenn man sich eben nicht in Sicherheit wiegen dürfe. (red/APA)

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