Heimische Forscher spüren Virenkiller in Heilpflanzen auf

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Viele Organismen müssen sich gegen Fressfeinde, Krankheiten oder Schädlinge wehren. Mit ihren Stoffwechselprodukten bestücken sie ein chemisches Arsenal. Mit modernen Methoden suchen Forscher neue Wirkstoffe gegen Lungeninfektionen durch Influenza, das Coronavirus oder Pneumokokken.

Virale und bakterielle Infekte begleiten die Menschheit seit Anbeginn. Auch ohne die winzigen Erreger benennen zu können, linderten unsere Vorfahren Symptome wie Husten, Fieber oder Atemwegsprobleme mit natürlichen Wirkstoffen. Judith Rollinger, Leiterin der Arbeitsgruppe „Phytochemistry & Biodiscovery“ an der Universität Wien, arbeitet bei der Suche nach potenten antiviralen Wirkstoffen mit der Natur zusammen, wie die Pharmazeutin betont. „Das über mehrere Generationen weitergegebene traditionelle Wissen nützen wir als empirischen Erfahrungsschatz, der uns bei der Vorauswahl von potenziellen Wirkstofflieferanten hilft.“ Eine Überlebensstrategie von Pflanzen und anderen Organismen ist es, sich mit eigenen Stoffwechselprodukten gegen Schädlinge, Fraß und Krankheiten zu schützen. Auf der Suche nach neuen Arzneistoffen gelte es, gezielt dieses chemische Arsenal anzuzapfen, erklärt Rollinger.

Mit etablierten Forschungskollaborationen, Methoden der Chemoinformatik und Zellkulturen wurden aus überliefertem Heilwissen vielversprechende Kandidaten ausgesiebt. „Antivirale Medikamente sind nicht leicht zu entwickeln, weil Viren menschliche Wirtszellen zur Vermehrung und Verbreitung nutzen. Um auch Stoffe zu entdecken, deren Wirkmechanismus wir noch nicht kennen, haben wir mehrgleisig analysiert“, erklärt die Pharmazeutin.

Zunächst wurden bis zu 2.000 Jahre alte schriftliche Quellen aus dem antiken Griechenland, aber auch der traditionellen Chinesischen und europäischen Medizin und Werke der Volksheilkunde nach typischen Symptomen durchforstet. In 160 Fällen konnte die überlieferte Heilwirkung einer Pflanze, eines Pilzes, von Flechten oder Moosen eindeutig zugeordnet und das biologische Material gesammelt werden. Diese wurden in einer Datenbank erfasst und jeweils Extrakte hergestellt, die wiederum Hunderte chemische Verbindungen enthalten können.

In Kooperation mit dem Universitätsklinikum Jena wurden die Extrakte gegen verschiedene Viren, die sich im respiratorischen System einnisten, in Stellung gebracht. In vitro wurde beobachtet, wie gut die Naturstoffe die infizierten Lungenepithelzellen vor Schäden schützen können. Die 28 besten Kandidaten wurden anschließend in der Petrischale auf Zellkulturen angesetzt, die mit respiratorischen Pathogenen infiziert wurden. Verglichen wurde deren antivirales Potenzial mit dem Neuraminidase-Hemmer Tamiflu. „Wenn sich ein Extrakt als aktiv erweist, beginnt die phytochemische Knochenarbeit. Wir analysieren die Zusammensetzung, um danach zielgerichtet antiviral wirksame Verbindungen zu isolieren“, sagt Rollinger.

Mögliche neue Stoffe wurden mit Hilfe chemo-informatischer Ansätze ausfindig gemacht. Dabei gelang es vor allem durch die Kollaboration mit Fachleuten für Chemoinformatik der Universitäten Innsbruck und Hamburg, die 3-D-Struktur der Neuraminidase-Bindestelle zu modellieren und Verbindungen vorherzusagen, die dort binden und sie blockieren können. Als besonderen Erfolg wertet Rollinger, dass Naturstoffe mit dualer Wirkung identifiziert wurden. Sie hemmen gleich zwei für Lungeninfektionen verantwortliche Pathogene: Influenzaviren und Pneumokokken.

Inhaltsstoffe aus der Wurzelrinde des Maulbeerbaums (Morus alba) hindern gleichzeitig die virale und die bakterielle Neuraminidase an der Arbeit. In einem Folgeprojekt wird die klinische Forschung an den bestgeeigneten Kandidaten weiter vorangetrieben. Jetzt will die Gruppe in Wien zudem die Brücke zum Coronavirus schlagen, das wie das Influenzavirus die Lunge stark angreift.

Zur Publikation: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31610260/

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