Kommentar: Warum die Impfquote nicht steigen kann

Martin Rümmele ist Chefredakteur von Relatus.

Die Zahl der Coronainfektionen steigt wieder. Die Zahl der Spitalspatienten auch. Wer glaubt, dass die Maßnahmen dennoch überzogen sind, übersieht, dass die Beschäftigten in Spitälern nach eineinhalb Jahren Corona am Limit sind. Viele überlegen auszusteigen.

Die EU-Gesundheitsbehörde ECDC hält eine hohe Corona-Impfquote weiter für besonders wichtig. „Solange nicht über 80 Prozent der Menschen voll geimpft sind, besteht einfach die Möglichkeit, dass der Rest der Bevölkerung von dem Virus noch befallen wird“, sagte ECDC-Direktorin Andrea Ammon zu deutschen Medien. Österreich liegt derzeit bei 65 Prozent. Gerade einmal eine kleine burgenländische Gemeinde (Kleinmürbisch bei Güssing) schafft die Hürde von 80 Prozent. Das Schlusslicht, die Tiroler Gemeinde Spiss, kommt auf 32 Prozent. Ein Konzept, wie die Impfquote erhöht werden kann fehlt. Weder die zuständigen Bundesländer, noch der Bund können oder wollen.

Der starke Anstieg der Infektionen ist nun auch auf der Corona-Ampel deutlich ablesbar. Die Zahl der Bundesländer mit sehr hohem Risiko hat sich gegenüber der Vorwoche verdreifacht. Zu Salzburg gesellen sich Nieder- und Oberösterreich. Auch Wien, Tirol und Vorarlberg rutschen zurück, nämlich von gelb auf orange und damit ins hohe Risiko. Einzig das Burgenland weist mit 44,3 noch einen Wert auf, der mittleres Risiko darstellt. Einmal mehr die schlechteste Entwicklung gibt es in Salzburg mit einem Anstieg von beinahe 93 Prozent.

Nur in Wien, wo seit Wochen strengere Regeln als im Rest des Bundesgebiets gelten, ist die Lage stabil. Überall sonst steigen die Infektionszahlen, wobei Tirol mit plus 40 Prozent und Niederösterreich mit plus 34 Prozent eine besonders ungünstige Entwicklung aufweisen. Das vergleichsweise strengere, PCR-Test-intensive Regime in der Bundeshauptstadt zahlt sich auch bei den asymptotischen Fällen aus, die entdeckt werden. Mit einem Anteil von 48 Prozent liegt Wien hier weit über dem Bundesschnitt von 31 Prozent. Zum Vergleich: In Salzburg, dem Land mit der schlechtesten Risikozahl, sind es nur 19 Prozent.

Indes häufen sich in ganz Europa die schlechten Nachrichten: Polens Gesundheitsminister hat vor einer „eigentümlichen Explosion“ der Corona-Pandemie in seinem Land gewarnt. Demnach verdoppelt sich die Zahl der Neuinfektionen von Woche zu Woche. „Wenn diese Situation anhält, durchbricht sie alle Prognosen, die uns bisher vorliegen.“ In Rumänien verschärft sich die Corona-Notlage, das Gesundheitswesen wird mit der Versorgung der wachsenden Patientenzahl kaum noch fertig. Am Mittwoch sei die Sterberate durch das Coronavirus weltweit am höchsten gewesen. Allein in den vergangenen 24 Stunden sind in Rumänien mehr Menschen an oder mit Corona gestorben als in der gesamten EU im selben Zeitraum. Covid-19-Patienten würden sich in Bukarest auf den Klinik-Korridoren gegenseitig wegschubsen, um an Sauerstoffgeräte zu kommen, berichten Ärzte in den Medien. Nur 34,8 Prozent der Rumänen haben den vollen Impfschutz. Lettland geht wiederum erneut in den Lockdown: Angesichts rapide steigender Corona-Infektionszahlen fährt die Regierung in Riga das öffentliche Leben in dem baltischen EU-Land für vier Wochen stark zurück. In Lettland hat sich die Corona-Lage trotz neuer Beschränkungen zuletzt zugespitzt, nur etwas mehr als die Hälfte der Einwohner ist vollständig gegen Corona geimpft.

In Österreich tritt am 1. November die 3G-Regel am Arbeitsplatz in Kraft. Kann am jeweiligen Arbeitsort ein physischer Kontakt zu anderen Personen nicht ausgeschlossen werden, dann braucht es künftig einen Impf-, Genesungs- oder Testnachweis. Bis einschließlich 14. November gilt eine Übergangsfrist: All jene ohne 3G-Nachweis müssen bis dahin durchgehend eine FFP2-Maske tragen. Angepasst werden auch die Regelungen für Mitarbeiter im Gesundheits-und Pflegebereich: Auch diese Arbeitsorte können nur betreten werden, wenn ein entsprechender 3G-Nachweis vorliegt. Die Bundesregierung hofft – mit Blick auf die Erfahrungen anderer Länder mit 3G-Regeln am Arbeitsplatz – dass auch hierzulande dadurch die Durchimpfungsrate steigt. Tatsächlich wird so aber das Problem auf die Unternehmen abwälzt. Ihnen drohen Strafen, wenn Beschäftigte gegen die Regelungen verstoßen. Die Frage ist, was Betriebe mit Beschäftigten tun sollen, die sich weigern, sich an die Regeln zu halten.

Dabei ist seit Monaten klar und ausreichend belegt, dass die Impfbereitschaft auch mit dem Bildungs- und Einkommensniveau zusammenhängt. Das Bildungsministerium hat gerade wieder neue Daten zur Impfquote in Schulen vorgelegt, die das bestätigen: Unterschiede gibt es demnach nach dem jeweiligen Schultyp. Am höchsten ist die Impfquote bei den Schülern ab zwölf Jahren an den AHS-Oberstufen mit 61 Prozent, gefolgt von den berufsbildenden höheren Schulen (BHS) mit 54 Prozent, Berufsschulen (49 Prozent) und berufsbildenden mittleren Schulen (BMS) mit 38 Prozent. An Universitäten ist die Durchimpfungsrate hingegen bei über 70 Prozent. Aus Umfragen wissen wir auch, dass ein überwiegender Teil der Menschen, die noch nicht geimpft sind, nicht gegen die Impfung sind, sondern einfach uninformiert und deshalb verunsichert sind.

Zugegeben, es gibt immer noch Menschen, die sagen, dass SARS-CoV-2 überschätzt wird. Vielleicht übersteigt es aber auch einfach ihren Horizont, dass es einen tiefen Graben innerhalb der Bevölkerung gibt – und der verläuft nicht zwischen Impfgegnern und Impfbefürwortern, sondern zwischen arm und reich. Aus deutschen Studien wissen wir: Arme Menschen und prekär Beschäftigte sind auch deutlich häufiger von Covid-19 und schweren Verläufen betroffen. Letztlich zeigt sich das auch global und innerhalb Europas: ärmere Länder stehen schlechter da. Finden wir darauf keine Antworten, werden uns das Virus und seine Mutanten noch lange beschäftigen. Es geht also für die Politik darum, auf diese Menschen und Länder zuzugehen – auch wenn sie nicht zum eigenen Wahlpublikum gehören oder das bei der eigenen Wählerschicht populär ist. (rüm)

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