Kommentar: Warum die Innenpolitik Corona-Maßnahmen bestimmt

Martin Rümmele ist Chefredakteur von Relatus.

Eigentlich hatten die Corona-Aktivitäten der vergangenen 18 Monate wenig mit Medizin und Wissenschaft und viel mit Innenpolitik zu tun. Und deshalb wird auch bis zu den Wahlen in Oberösterreich wenig gegen die vierte Welle getan werden.

Die FPÖ ist am Freitag in Wels in den oberösterreichischen Intensivwahlkampf gestartet. Rund 4.000 Leute füllten laut Partei die blau beleuchtete Rotax-Halle in der blauen Stadt Wels. Bundesparteichef Herbert Kickl holte zum Rundumschlag gegen den politischen Mitbewerb aus. Spitzenkandidat LHStv. Manfred Haimbuchner sprach gleich zu Beginn von seiner „lebensgefährlichen“ Corona-Infektion im Frühling. Gemeistert hätten die Pandemie aber Ärzte, Pfleger und Familien, „nicht die Politik, nicht die Bundesregierung und nicht der Gesundheitsminister“, deren Management „ein Desaster“ sei. „Ich bin schweißgebadet zu Hause gelegen und wurde von der Exekutive kontrolliert, ob ich eh zu Hause bin“, schilderte er. „Ich würde mir wünschen, dass jeder in Österreich aufhältige Straftäter so überwacht wird wie Corona-Kranke“. Die blau-regierte Stadt Wels, in der gerade einmal bei 49,58 % der Bevölkerung durchgeimpft sind, erblödete sich kurz davor nicht auf Facebook der Bevölkerung mitzuteilen, dass „aufgrund eines technischen Gebrechens ein Impfbus die Route des Testbusses abfahre, man sich deshalb aber nicht sorgen soll, denn „auch wenn impfen draufsteht, es ist testen drin.“ (siehe Screenshot).

 

Seit Freitag liegen übrigens 28 Menschen in den oberösterreichischen Spitälern auf Intensivstationen. Damit ist den dritten Tag in Folge der vom Gesundheitsministerium definierte kritische Richtwert für die Intensiv-Bettenbelegung erreicht, berichtet die Austria Presse Agentur. Von den 28 Betroffenen sind 25 Personen nicht vollständig immunisiert. 68 Menschen wurden auf Normalpflegestationen behandelt, davon waren 52 nicht vollständig immunisiert, wie der Oö-Krisenstab in einer Presseaussendung am Sonntag mitteilte. In der Stadt Wels lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei 237,8 pro 100.000 Einwohner. Die Sieben-Tage-Inzidenz oberösterreichweit lag am Sonntag bei 152,7, bundesweit übrigens bei 124,8. Oberösterreich ist auch jenes Bundesland mit der niedrigsten Durchimpfungsrate in ganz Österreich.

Wer deshalb wissenschaftlich fundierte medizinische Maßnahmen von Seiten der Landespolitik erwartet – etwa zur Frage, ob es in den Spitälern ausreichend Kapazitäten für Nicht-Covid-19-Patienten gibt, wird enttäuscht. Denn in Oberösterreich werden am 26. September der Landtag und auch die Gemeindevertretungen gewählt. Und deshalb will sich niemand mit Corona-Maßnahmen beim Wahlvolk unbeliebt machen – auch die Bundespolitik nicht. Ein Beispiel?  Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat sich vergangenen Woche für ein Ende von gratis Corona-Tests ausgesprochen. Man sollte „andenken“, diese kostenpflichtig zu machen, sagte sie. Auch von den ÖVP-Landeshauptleuten in Tirol und der Steiermark kamen ähnliche Wortmeldungen in der Hoffnung so die Impfquoten erhöhen zu können. „In der Pandemie habe die Mehrheit der Bevölkerung „kein Verständnis, dass die Allgemeinheit für die permanenten Gratistestungen für Impfunwillige bezahlen soll“, formulierte Mikl-Leitner. Vorsichtiger zeigte man sich – wenig überraschend – in Oberösterreich. „Bei den ansteigenden Infektionszahlen und zur Sicherung des Starts in das neue Schul- und Kindergartenjahr ist ein öffentliches Testangebot zum aktuellen Zeitpunkt kostenfrei wichtig“, stellte Gesundheitsreferentin und LHStv. Christine Haberlander (ÖVP) fest.

ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer kämpft darum, nach dem ÖVP-Desaster des Jahres 2015 damals zur FPÖ gewechselte Wähler zurück zu gewinnen. Der Koalitionspartner FPÖ versucht unter dem vergleichsweise moderaten Landesparteichef Haimbuchner mit der impf- und maßnahmenkritischen FPÖ-Linie einen „Nach-Ibiza“-Absturz wie in Wien zu verhindern. Das geht so weit, dass ausgerechnet der freiheitliche Gesundheitssprecher und Vorsitzende des parlamentarischen Gesundheitsausschusses, der Apotheker Gerhard Kaniak, vor Impffolgen warnt. „Es ist ja nicht so, dass eine Impfung mit einer Schokoriegelverteilung gleichzusetzen wäre“, sagt er. Die Regierung tue so, als wäre eine Impfung ein Kinderspiel. Kaniak: „Das genaue Gegenteil ist der Fall. Es gibt mittlerweile regelrechte Sammlungen von akuten Fällen an Nebenwirkungen und leider auch Todesfälle im direkten Zusammenhang mit der Impfung.“ Die Grünen wiederum möchten zulegen und wieder in die Landesregierung. Höchst zurückhaltend gab sich Stelzer zuletzt zu einem Lockdown für Ungeimpfte. Die Impfung solle kein „Spaltpilz für die Gesellschaft“ werden. Gleichzeitig dürfe man „die Geimpften, das sagen uns auch alle juristischen Experten, nicht noch mit zusätzlichen Einschränkungen belasten.“

Auch die Bundesregierung hat es bisher vermieden, die neue Corona-Welle zum Thema zu machen – auch wenn Ärzte, Spitalsverantwortliche, Experten und sogar manche Wirtschaftsbranchen schon lautstark nach Maßnahmen rufen, um einen weiteren Lockdown zu verhindern, und auch die meisten Länder sich Vorgaben vom Bund erhoffen. Für Bundeskanzler Sebastian Kurz wäre ein schwaches Ergebnis in Oberösterreich ein Signal in die Bundesländer, dass er doch kein Garant für Wahlerfolge ist. Die Grünen wiederum wollen die Landespartei stärken und Rückenwind für die Bundespolitik erhalten. Dass zweieinhalb Wochen vor den Wahlen große Maßnahmen verkündet werden, wird deshalb von vielen Seiten bezweifelt – und Meinungsforscher sehen die Wahlen durchaus auch als Motiv für die bisherige Zurückhaltung der Bundesregierung. Bleibt die Frage, wie sich die Corona-Situation in den kommenden drei Wochen entwickelt. Steigen die Zahlen in Oberösterreich weiter, könnte sich am Ende für alle Parteien der Fokus auf Innenpolitik und Wahlergebnisse als Bumerang erweisen. ÖVP und Grüne würden für die Untätigkeit kritisiert, die FPÖ für Verharmlosung der Gefahren. Die SPÖ könnte dann der lachende Sieger sein. (rüm)