Kommentar: Wer welche Interessen in der Corona-Krise hat

Martin Rümmele ist Chefredakteur von Relatus.

Das Gesundheitswesen droht auch in Corona-Zeiten einmal mehr zum Spielball politischer Interessen zu werden. Gefordert sind mehr wissenschaftliche und fachliche Expertise und ein Zurückstecken eigener Interessen.

Die Politik ist ein Spiegelbild der Gesellschaft heißt es. Und in dieser wehren sich die Menschen zunehmend Corona-bedingt auf Dinge zu verzichten und sich einzuschränken, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Wissenschaftliche Fakten und Argumente von Fachleuten werden zunehmend hinterfragt und in Zweifel gezogen. Wer zu Beginn der Krise glaubte, dass in der Öffentlichkeit vor allem auf die Wissenschaft gehört wird, sieht jetzt, dass das postfaktische Zeitalter nicht verschwunden ist, sondern nur kurz überlagert worden ist.

In der Politik bedeutet das, dass wir zurück sind im Alltag. Es geht nicht mehr um die Frage, was es wirklich braucht oder was unabhängige Fachleute raten, sondern was den eigenen Interessen am besten dient. Wurde etwa zu Beginn der Krise noch die Lösung der telefonischen Krankschreibung gefeiert, setzt sich nun die Wirtschaft durch, die Ärzten und Angestellten zutraut, dass diese in großem Stil schummeln. Da ist auch egal, dass die Zahl der Krankschreibungen eigentlich sinken und auch, dass wir vor dem Problem stehen, dass Grippe und Corona ähnliche Symptome zeigen. Die eigene Weltanschauung ist einem längst wieder näher.

Das elektronische Rezept wiederum soll Erleichterungen bringen und forciert werden. Und obwohl alle Beteiligten bereits im Vorjahr einen entsprechenden Vertrag unterschrieben haben, der die Einführung fixiert, wird nun versucht, die Vereinbarungen wieder aufzuschnüren. Manche Beteiligte haben festgestellt, dass das System für sie selbst doch nicht ganz so optimal sein könnte.

Auf internationaler Ebene wiederum nutzen Politiker die Entwicklung des Impfstoffes für Imagezwecke. Die Russen wollen sofort impfen, auch wenn es keine Daten einer Phase III-Studie gibt. Und Donald Trump will in den USA Anfang November mit Impfungen starten – just wenige Tage vor der US-Präsidentenwahl. Ob die Wissenschaft einen Impfstoff für geeignet hält, ist der Politik offenbar egal.

Die in Österreich lang diskutierte erste Schaltung der Corona-Ampel wird am morgigen Freitag erfolgen und das Ergebnis per Webseite publiziert. Unbekannt sind vor der Premiere die Konsequenzen, die mit den vier möglichen Farben erfolgen werden. Was passiert, wenn die Ampel irgendwo etwa statt grün plötzlich rot zeigt, wird ebenfalls am Freitag bekannt werden, vermutlich bei einer Pressekonferenz. Welche Partei sich dann durchsetzt und wo ihre Interessen hat, wird sich zeigen. Ob ausschließlich wissenschaftliche Fakten die Basis der Entscheidungen sein werden, werden wir sehen. Die umfassende rechtliche Verankerung der Ampel wird erst Ende September erfolgen, dazu ist die Novellierung des Epidemiegesetzes und des COVID-19-Maßnahmengesetzes notwendig – seit Dienstag ist dazu ein „Expertenbeirat Recht“ hinzugezogen worden. Auch hier wird sich zeigen, welches Gewicht ihm die Politik einräumt. So gesehen sind wir wieder zurück im politischen Alltag, der vor der Corona-Krise herrschte. Ob diese Rückkehr zur „Normalität“ so wünschenswert ist, darf bezweifelt werden. (rüm)

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