Patente: RELATUS-Bericht sorgt für Aufregung in Pharmabranche

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„Eine Patentfreistellung von Corona-Impfstoff wäre die beste Lösung“: Mit dieser Aussage im RELATUS-Interview hat Gesundheitsminister Rudolf Anschober in der Pharmabranche für Aufregung gesorgt. Ihre Vertreter halten die Debatte gerade während der Suche nach einem Impfstoff für kontraproduktiv.

„Die ganze Welt blickt mit großen Hoffnungen auf die Forschung der Pharmaindustrie, um der COVID-19-Pandemie Herr zu werden – und just in dieser Situation wird der Patentschutz als Grundlage der pharmazeutischen Forschung in Frage gestellt. Das ist genau das verkehrte Signal und trägt nicht dazu bei, dringende gesundheitliche Herausforderungen für COVID-19 oder andere schwerwiegende Erkrankungen zu meistern“, zeigt sich Ingo Raimon, Präsident des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI) über die Aussagen des Gesundheitsministers irritiert. Anschober hatte im RELATUS-Interview am Dienstag eine Patentfreistellung angesichts der hohen öffentlichen Förderungen in Diskussion gebracht. Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog hält den Denkansatz für falsch: „Die gesamte Entwicklung des Impfstoffes wird zum größten Teil von der Industrie getragen. Da geht es um Milliarden und ein Vielfaches dessen, was es an Förderungen gibt.“ Herzog erinnert daran, dass alle derzeit forschenden Unternehmen auf der Basis von bestehenden Verfahren und bestehendem Wissen an einem Corona-Impfstoff arbeiten. Da seien auch viele Vorleistungen erbracht worden. Und die Kosten würden noch steigen: „Hier braucht es Zeit und Qualität. Ein Impfstoff muss sicher sein. Da braucht es Hundertausende Menschen zum Testen.“

Herzog appelliert an die Politik „sensibler mit dem Thema umzugehen“ und bringt Beispiele, die seiner Ansicht nach Lösungen zeigen. „Die Vereinbarung von AstraZeneca mit der EU basiert auf einem niedrigen Preis von zwei Dollar pro Impfstoff, wenn der Durchbruch gemeinsam gelingt. Auch Länder wie USA machen es vor und zahlen im Voraus ein.“ Die Industrie sehe sich in einer „unfassbaren Verantwortung, diese Pandemie zu stoppen“, sagt Herzog: „Das nehmen wir sehr ernst.“ Die Branche gehe davon aus, dass der Corona-Impfstoff deutlich billiger am Markt sein werde, als der Grippeimpfstoff.

„Ohne Patentschutz könnte man heute bereits bestehende Arzneimittel nicht für den Einsatz in der COVID-Therapie evaluieren. Diese Medikamente würden dann nämlich nicht existieren“, erinnert auch Raimon an Vorleistungen. In Österreich seien speziell für die COVID-Forschung und Entwicklung wichtige und richtige Schritte gesetzt worden, um bestmögliche Rahmenbedingungen zu unterstützen. „Den Patentschutz in Frage zu stellen, schadet der Reputation des Standorts national und über die Landesgrenzen hinaus.“ Der Patentschutz sei unerlässlich, um innovative Arzneimittel als geistiges Eigentum zu schützen, sagt Raimon. Dieser Schutz bilde den Rahmen, der Innovationen fördert und Investitionen in Forschung und Entwicklung möglich macht. Denn Patente, ergänzende Schutzzertifikate und der regulatorische Datenschutz geben Unternehmen die Gewissheit, dass ein Medikament bei Markteinführung für einen begrenzten Zeitraum vor unlauterem Wettbewerb geschützt ist. „Nur so kann der lange, komplexe und riskante Prozess der Entwicklung neuer Medikamente für Patienten, Gesundheitssysteme und die Gesellschaft finanziert werden“, betont der FOPI-Präsident.

In der Regel gilt – wie bei anderen Erfindungen auch – ein Patentschutz von 20 Jahren. Allerdings müssen Arzneimittel schon in einem vergleichsweise sehr frühen Entwicklungsstadium als geistiges Eigentum des Erfinders patentiert werden. Zwischen Patentierung und Markteinführung vergehen im Durchschnitt 12 Jahre, die für Präklinik, klinische Prüfung und Zulassung als Arzneispezialität benötigt werden. Dadurch ergibt sich im Schnitt eine tatsächliche Patentnutzungsdauer von nicht einmal acht Jahren, rechnet Raimon vor. „Ist die nicht gegeben, können die Investitionen für die Entwicklung eines Arzneimittels kaum zurück verdient werden. Ein Engagement würde dann bedeuten, den Fortbestand des Unternehmens zu gefährden.“ Wenn aber – und das sei der Knackpunkt – niemand in die Forschung und Entwicklung von dringend benötigten Therapien bzw. Impfungen von schwerwiegenden Erkrankungen oder akuten Bedrohungen wie beispielswiese COVID-19-Therapien investieren kann, würden diese dringend nötigen, neuen Arzneimittel für andere Erkrankungen auch nicht zur Verfügung stehen, zeigt Raimon die Konsequenz der Patentdebatte auf.

„Wenn die EU unabhängiger sein will und eine starke eigenständige Produktions- und Entwicklungsindustrie will, braucht es den Schutz des geistigen Eigentums“, sagt Herzog. Letztlich sei gerade dieser Schutz in einem Wirtschaftsraum wichtig, um zu verhindern, dass andere Länder den Schutz brechen. Herzog: „Vielleicht haben wir es ja jetzt alle begriffen, dass wir in letzten Jahren zugesehen haben, dass der Druck auf die Industrie die Wirkstoffproduktion aber auch Forschungsaktivitäten nach Ostasien verlagert hat.“ Eine Patentfreistellung sei jedenfalls die schlechteste Lösung. „Wenn das ruchbar wird, werden die Anstrengungen der gesamten global agierenden Forscherteams einen großen Dämpfer erfahren“, warnt der Pharmig-General.

Ähnlich argumentiert auch Sylvia Hofinger, Geschäftsführerin des Fachverbands der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO): „Die Unternehmen haben selbst größtes Interesse, möglichst schnell eine globale Versorgung zu ermöglichen. Keine Firma in der Pharmabranche hat heute die Kapazitäten Milliarden Dosen eines Impfstoffs alleine zu erzeugen. Die Pharmabranche ist sich ihrer großen Verantwortung bewusst, dafür Lösungen zu finden. Es wird daher seitens der Unternehmen Lizensierungsmodelle für Mitbewerber geben, um alle bestehenden Produktionskapazitäten zu nutzen“, sagt sie im RELATUS-Gespräch. Da somit gar keine Notwendigkeit für Zwangslizensierungen gegeben sein werde, müsse man vorsichtig sein, „damit nicht mit solchen Instrumenten langfristige Kollateralschäden für den europäischen Produktionsstandort entstehen.“ (rüm)

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