Psychiatrische Versorgung zwischen Kooperation und Psychiatermangel

Psychische Erkrankungen haben in den letzten Jahren zugenommen. Von der Weltgesundheitsorganisation wird prognostiziert, dass im Jahr 2020 unter allen Erkrankungen die Depression die häufigste Ursache für krankheitsbedingte Alltagsbehinderung sein wird. In Österreich sind durch psychische Erkrankungen verursachte Krankenstände auf dem Vormarsch, schon jeder 16. Krankenstandstag ist darauf zurück – zuführen. Gleichzeitig wird heute jeder dritte Antrag auf eine Berufsunfähigkeitspension aufgrund einer psychiatrischen Diagnose gestellt. Angesichts dieser Entwicklungen könnte auch die Lücke zwischen behandlungsbedürftigen Patienten und Möglichkeiten der Versorgung größer werden, da schon jetzt vielerorts über einen Psychiatermangel geklagt wird.

Doch wie wird von Psychiatern und Allgemeinmedizinern die aktuelle Versorgungssituation beurteilt, wie gut funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den beiden Berufsgruppen? Im Auftrag der Ärztekrone wurden dazu vom Institut Schütz Marketing Service 100 niedergelassene Ärzte für Allgemeinmedizin und 50 niedergelassene Psychiater befragt. Durchgeführt wurde die Umfrage im Zeitraum vom 18. bis 29. April 2011 mittels computerunterstützter Telefoninterviews (Computer-assisted Telephone Interviews, CATI). Die Bundesländerverteilung der Stichprobe war repräsentativ.

Kooperation zwischen den Berufsgruppen

Wie die Befragung zeigt, ist der Anteil der Patienten, die einen Psychiater aufgrund von Zuweisungen von Allgemeinmedizinern konsultieren, eher niedrig und liegt bei 17 %. Depressionen sind bei Psychiatern mit 59 % die häufigste Diagnose und fast ein Viertel der Patienten ist suizidgefährdet (Abb. 1). Generell scheinen viele Patienten lange zu warten, bevor sie sich mit ihren Problemen an einen Psychiater wenden. Bei über 38 % kommt die Hälfte der Patienten erst in die Praxis, wenn die Krankheit schon fortgeschritten ist, bei weiteren 36 % ist es gar die Mehrzahl der Patienten.

Bei den von Allgemeinmedizinern betreuten Patienten leiden im Durchschnitt fast 20 % an einer psychischen Erkrankung. Depressionen sind mit 59 % am häufigsten und durchschnittlich jeder Fünfte leidet unter Burnout. Bei fast der Hälfte dieser Patienten wird die Einstellung der medikamentösen Behandlung durch die Allgemeinmediziner ohne Konsultation eines Facharztes oder einer psychiatrischen Abteilung vorgenommen. Allerdings geben 98 % der Allgemeinmediziner an, bei Schizophrenie immer oder meistens zur Abklärung und medikamentösen Einstellung an einen Psychiater zu überweisen, bei Suchterkrankungen sind es 60 %, ca. 25 % überweisen bei Suizidgefährdung und bei bipolaren Störungen sowie 18 % bei schweren Depressionen. Insgesamt 58 % der Allgemeinmediziner haben keine Probleme mit ihren Patienten im Falle einer Überweisung zum Facharzt, ein Drittel sagt jedoch, dass viel Fingerspitzengefühl und Erklärungsbedarf erforderlich ist. Freilich sind die Überweisungen oft mit Wartezeiten verbunden, 43 % sagen, ihre Patienten müssen ein bis vier Wochen auf einen Facharzttermin warten, 23 % geben vier bis acht Wochen an. Nicht verwunderlich also, wenn zwei Drittel der Allgemeinmediziner meinen, dass es zu wenige Psychiater gibt.

Indes wird die Zusammenarbeit von beiden Berufsgruppen sehr positiv beurteilt: 91 % der Allgemeinmediziner sind mit der Kooperation zufrieden bis sehr zufrieden, bei den Psychiatern sind es 84 % und nur 4 % glauben, dass Allgemeinmediziner zu zurückhaltend mit den Überweisungen zum Facharzt sind. Das Wichtigste in der Zusammenarbeit mit dem Psychiater ist für je 33 % der Allgemeinmediziner ein schnelles Feedback und eine rascher Termin, weitere 32 % schätzen die Kommunikation. Insgesamt legen über 90 % der Allgemeinmediziner Wert auf ein rasches Feedback, für fast 90 % ist eine praxisgerechte Arzneimitteleinstellung sowie die Patientenaufklärung wichtig bis sehr wichtig und 10 % halten einen direkten Kontakt mit dem Psychiater in speziellen Fällen für wesentlich.

Dass die Zusammenarbeit durch einen direkteren Austausch mit dem Facharzt noch verbessert werden könnte, glauben 23 % der Allgemeinmediziner, 13 % meinen, dass mehr Fachärzte (in der Umgebung) bzw. mehr Fachärzte mit Kassenvertrag (5 %) sowie eine raschere Terminvergabe (10 %) dazu beitragen könnten (Abb. 2). Ähnlich sehen es die Psychiater: 32 % halten den vermehrten persönlichen Kontakt und Austausch für eine Möglichkeit, um die Kooperation weiter zu verbessern.

Ökonomische Barrieren und Therapieoptionen

Gefragt wurde auch, wie die Hürden, die die Verordnung einzelner neuer Psychopharmaka behindern, in der klinischen Praxis wahrgenommen werden. Hürden wie die Salzburger Liste, die alle SSRI in einer Gruppe zusammenfasst und verlangt, dass das billigste SSRI verschrieben wird und damit eine Verordnung von z. B. Escitalopram erschwert bzw. unmöglich macht. Ein anderes Beispiel ist Agomelatin, ein neues Antidepressivum mit einem innovativen Wirkmechanismus und wissenschaftlich nachgewiesener Wirksamkeit, das de facto nicht verordnet werden kann, weil es noch immer nicht in den Erstattungskodex aufgenommen wurde.

Diese Hürden werden von Psychiatern deutlicher wahrgenommen als von Allgemeinmedizinern. Während 70 % der Fachärzte sagen, dass es ökonomische Barrieren bei der Behandlung psychiatrischer Patienten gibt, sind nur 53 % der befragten Allgemeinmediziner dieser Meinung. Und 32 % der Psychiater vermuten, dass Allgemeinmediziner ihre Medikation oft bis sehr oft aufgrund ökonomischer Zwänge umstellen, 38 % sehen keine Interventionen in dieser Hinsicht. Die Dosierungseinstellungen werden von der Mehrheit der Allgemeinmediziner nicht geändert. Eine Umstellung der Medikation aus ökonomischen Gründen wird freilich von den meisten Patienten schlecht akzeptiert. 62 % der Psychiater geben an, dass ihre Patienten negativ – problematisch bis sehr problematisch – auf Therapieumstellungen aufgrund ökonomischer Zwänge reagieren, bei den Allgemeinmedizinern sagen dies 52 %. Dementsprechend wechseln auch 46 % der Psychiater und 57 % der Allgemeinmediziner die verordneten Generika nicht, auch wenn sich die Preise weiter reduzieren.

Insgesamt ist die Zufriedenheit mit den verfügbaren Therapieoptionen hoch: 90 % der Fachärzte sind zufrieden bis sehr zufrieden, bei den Allgemeinmedizinern sind es mit 82 % etwas weniger und immerhin 12 % meinen, dass ökonomische Barrieren die Therapie erschweren. Zudem kritisieren doch einige der Psychiater und der Allgemeinmediziner, dass Innovationen in zu geringem Ausmaß verfügbar sind. Und während Psychotherapie in der Behandlung psychisch kranker Patienten für 72 % der Allgemeinmediziner einen hohen Stellenwert hat, liegt dieser Prozentsatz bei Psychiatern mit 92 % naturgemäß noch höher. Diese sehen auch ein geringeres Problem bei der Verfügbarkeit der Psychotherapie – 62 % sind damit zufrieden, hingegen ist dies nur etwa bei der Hälfte der Allgemeinmediziner der Fall.

Gefragt wurde auch, welche Maßnahmen zur Verbesserung der Compliance psychiatrischer Patienten beitragen könnten: Jeweils 16 % der Psychiater halten Aufklärung der Patienten über Arzneimittel, mehr Zeit für Patienten, aktive Mitarbeit der Patienten und Enttabuisierung von Psychotherapie für sinnvolle Maßnahmen.

Verbesserung der Versorgung

Der Psychiatermangel wird nicht nur von Psychiatern, sondern auch von vielen Allgemeinmedizinern als Problem wahrgenommen 44 % sind überzeugt, dass mehr Fachärzte (mit Kassenverträgen) gebraucht werden, um die Versorgung psychiatrischer Patienten zu verbessern. Psychiater sind derselben Meinung: 42 % sehen im Ausbau der Kassenverträge für Psychiater eine Chance, die Versorgungssituation zu verbessern. 32 % schlagen die Ausweitung ambulanter Strukturen/Tageskliniken vor (Abb. 3). Insgesamt sagen 36 % der Psychiater, dass sie mit ihrem beruflichen Alltag zufrieden sind. Als Maßnahme zur Erhöhung ihrer Arbeitszufriedenheit würden 32 % die Kostenübernahme der Psychotherapie durch die Kassen sehr begrüßen und 6 % hätten gerne mehr Zeit für jeden einzelnen Patienten.