Aspekte des modernen Wundmanagements

Inzidenz, Prävalenz, Auswirkungen

Das Wundmanagement stellt einen massiv an Bedeutung gewinnenden medizinischen Bereich dar. In Österreich leiden ca. 2 % der Bevölkerung an schlecht bzw. nicht heilenden Wunden. Die Prävalenz steigt bei Menschen über 80 Jahren sogar auf bis zu 5 % an. Vor allem ältere Personen sind von chronischen Wunden betroffenen. Aufgrund der demografischen Entwicklung ist zu erwarten, dass die Anzahl der Patienten mit chronischen Wunden deutlich zunehmen wird. Nach Angaben der Austrian Wound Association (AWA) betragen die jährlichen Behandlungskosten für chronische Wunden über 400 Mio. Euro.2 Bislang gibt es aber keine verlässlichen Zahlen zur Inzidenz und Prävalenz der häufigsten Wundarten sowie der dadurch anfallenden Kosten in Österreich.

 

 

Plethora der Interventionsmöglichkeiten

Die therapeutischen Möglichkeiten von chronischen Wunden sind aufgrund des stetig wachsenden Produktangebots vielfältig. Längst hat man den Überblick über die zahlreichen angepriesenen Wundverbände verloren. Eine ernst zu nehmende Diskrepanz besteht zwischen den mannigfaltigen Produkten und den diesbezüglich spärlich durchgeführten evidenzbasierten Studien.

Wundmanagement aus Sicht der evidenzbasierten Medizin

Bei der Literaturrecherche wurden Cochrane Reviews, Health Technology Assessment Reviews und randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) der Jahre 2008–2011 eingeschlossen. Spezielle Aspekte des Wundmanagements wurden herausgenommen.

Lokale Wundunterdrucksysteme für die Behandlung von chronischen Wunden: Bei der lokalen Wundunterdrucktherapie, auch bekannt als VAC („vacuum-assisted closure“), wird ein kontrollierter, örtlich begrenzter, negativer Druck (-50 bis -150 mmHg)3 in einer Wunde erzeugt. Der exakte Wirkmechanismus der Wundunterdrucktherapie ist bislang nicht bekannt. Verschiedene Wirkmechanismen werden diskutiert: Die Drainage von übermäßiger Flüssigkeit soll durch den Unterdruck gefördert, die bakterielle Besiedelung gesenkt, der lokale Blutfluss gesteigert und dadurch die Wundheilung verbessert werden. Ein rezenter systematischer Review3 hat jedoch gezeigt, dass eine Reduktion der bakteriellen Besiedelung keinen wesentlichen Wirkmechanismus der lokalen Wundunterdrucktherapie darstellt. Tatsache ist, dass die Verwendung von lokalen Wundunterdrucksystemen allgemein empfohlen wird4, 5, obwohl qualitativ hochwertige wissenschaftliche Belege nicht vorhanden sind.3, 6
In einem systematischen Review von UBBIG et al.7 konnten lediglich 7 RCT identifiziert werden, welche die Effektivität von lokalen Wundunterdrucksystemen analysiert haben. Dabei wurden 4 verschiedene Behandlungsmethoden mit VAC verglichen. Derzeit gibt es keine zuverlässige bzw. valide Evidenz, dass die lokale Wundunterdrucktherapie die Wundheilungsrate verbessert. Lediglich eine Tendenz für die Überlegenheit von VAC ist vorhanden. Wesentliche Gründe für die mangelhafte Evidenz liegen in der minderwertigen Qualität der RCT und an den mangelhaften Daten bezüglich Wundheilungsrate, Lebensqualität, Schmerzen und Kostenanalyse. Multizentrische RCT, welche die Effektivität von Wundunterdrucksystemen auf die Wundheilungsrate, die Wundheilungsdauer, Kosten, Lebensqualität, Schmerzen und ein optimales VACRegimen bei verschiedenen Wundarten evaluieren, sind hierfür unbedingt notwendig.

Wirksamkeit von topischem Silber für die Behandlung von akuten oder chronischen Wunden: Topisches Silber und silberhaltige Wundauflagen werden zunehmend in der lokalen Therapie von kontaminierten bzw. infizierten Wunden verwendet. Durch die Zunahme von Antibiotikaresistenzen sind in den letzten Jahren vermehrt silberhaltige Wundauflagen entwickelt worden.8, 9 In einem systematischen Review von VERMEULEN et al.9 konnten lediglich 3 RCT eingeschlossen werden, die den Einfluss von Silber in der Behandlung von infizierten Wunden untersucht haben. Die Daten aus diesen Studien haben jedoch gezeigt, dass keine entsprechende Evidenz vorhanden ist, welche die Verwendung von silberhaltigen Verbandstoffen oder topischem Silber in der Behandlung von infizierten oder kontaminierten chronischen Wunden zwingend rechtfertigt. Weiters konnte keine der Studien eindeutig zeigen, dass durch die Anwendung von topischem Silber die Wundheilung von infizierten Wunden gesteigert werden kann. Wesentlichste Kritikpunkte waren eine niedrige Power der Untersuchungen, die kleinen Stichprobengrößen sowie die kurze Follow-up-Dauer (4 Wochen). Diese Ergebnisse werden durch einen rezenten Review von CARTER et al.10 unterstützt.
In einem systematischen Review von STORM-VERSLOOT et al.11 wurde der Effekt von silberhaltigen Verbandstoffen und topischem Silber auf Wundheilung und Prävention von Wundinfektionen untersucht. Insgesamt konnten 26 RCT für die Analyse identifiziert werden. Derzeit gibt es keine ausreichende Evidenz dafür, dass silberhaltige Verbandstoffe eine Wundinfektion verhindern oder die Wundheilung fördern können.
Der Einfluss von silberhaltigen Wundauflagen auf Wundinfektion und Wundheilung beim diabetischen Fußsyndrom konnte bislang aufgrund mangelhafter bzw. nicht vorhandener Studien nicht analysiert werden.12 Auch bei Patienten mit venösen Ulzera hat die Therapie mit silberhaltigen Wundauflagen keinen Einfluss auf die Wundheilungsdauer und Lebensqualität. 13

Debridement: Das Debridement von abgestorbenem Gewebe dient zur Verbesserung der Wundbedingungen1, zur Beschleunigung der Wundheilung14 und als Infektionsprophylaxe.1 Es wird angenommen, dass das chirurgische Debridement eines Ulkus, inklusive der Kallusentfernung, essenziell für die Heilung ist. Eine direkte Evidenz aus prospektiven und randomisierten, kontrollierten Studien hierfür ist nicht vorhanden.
Eine RCT hat kürzlich die klinische Wirksamkeit der Madentherapie zum Debridement bei Patienten mit venösen bzw. gemischt venös-arteriellen Ulzera untersucht. 15 Die Madentherapie hat im Vergleich mit Hydrogel abgestorbenes Gewebe signifikant schneller reduziert. Der Madentherapie wird auch ein direkter Einfluss auf die Wundheilung und die bakterielle Besiedelung16, 17 zugeschrieben. Jedoch gibt es keine ausreichende Evidenz, die den routinemäßigen Gebrauch von Maden zur Beschleunigung der Wundheilung oder zur Reduktion der bakteriellen Besiedelung vorsieht.
Eine Studie von EDWARDS et al.14 hat die Wirksamkeit von Debridement auf die Heilung des diabetischen Fußsyndroms untersucht. Insgesamt konnten 6 RCT eingeschlossen werden, die 3 verschiedene Methoden untersucht haben: chirurgisches Debridement, Hydrogel und Madentherapie. Es konnte gezeigt werden, dass Hydrogele zu einer schnelleren Wundheilung führen als andere Debridement- Formen, wobei nicht bekannt ist, ob dieser Effekt durch das Debridement per se herbeigeführt ist. Schwache Evidenz ist vorhanden, dass die Madentherapie die Wundfläche verkleinert. Gute Evidenz für Debridement-Methoden gibt es nach wie vor nicht.

Wirksamkeit von medizinischem Honig: Honig wird bereits seit der Antike als Medikament in der Wundbehandlung eingesetzt. Dem medizinischen Honig werden verschiedene Wirkungen zugeschrieben, z. B. soll der Manuka-Honig aus Neuseeland bzw. Australien antibakteriell wirken. Ein Cochrane Review18 hat die Wirksamkeit von Honig in der Versorgung von akuten (z. B. Verbrennungen, Lazerationen) und chronischen Wunden evaluiert. Insgesamt wurden 19 Studien in den systematischen Review eingeschlossen. Es wurde gezeigt, dass Honig die Wundheilungsdauer bei Verbrennungen Grad 1 und 2a im Vergleich zu konventionellen Wundauflagen verbessern kann. Jedoch scheint Honig die Wundheilung bei Verbrennungen mit unterschiedlichen Graden („mixed depth burns“) im Vergleich zu frühzeitiger Exzision und Hauttransplantation zu verzögern. Weiters wurde gezeigt, dass Honig bei gleichzeitiger Kompression die Heilungsrate von venösen Ulzera nach 12 Wochen nicht signifikant verbessern kann. Der Effekt von Honig in der Behandlung von chronischen Wunden – mit Ausnahme von venösen Ulzera – kann anhand der derzeitigen Evidenz nicht festgelegt werden. Der Grund hierfür liegt an der mangelnden Größe und Qualität der Studien.

Kompression in der Therapie von venösen Ulzera: In einem systematischen Review19 wurden die klinische Wirksamkeit von Kompression auf die Heilung von venösen Ulzera sowie die verschiedenen Arten der Kompression evaluiert. Dass Kompression im Vergleich zu keiner Kompression die Wundheilung fördert, ist bereits seit mehreren Jahren bekannt.20 Mehrlagensysteme, vor allem jene mit einer elastischen Bandage, sind effektiver als einlagige Kompressionssysteme. Derzeit existiert keine klare Evidenz, welches mehrlagige Kompressionssystem (2-, 3-, oder 4-Lagen-Verband) am besten geeignet ist. Ferner gibt es auch keine Evidenz, ob verschiedene Kompressionssysteme das Wiederauftreten von venösen Ulzera verhindern können. Eine wesentliche Tatsache ist, dass die Wirksamkeit jeder Kompressionsmethode wesentlich von der Erfahrung der anwendenden Person abhängt.

Wundauflagen zur Behandlung des diabetischen Fußsyndroms: In einer multizentrischen, randomisiert-kontrollierten Studie wurden Wirksamkeit und Kosten von 3 verschiedenen Wundauflagen (Hydrofaser, Povidon-Jod-Gitter oder nichthaftende Mullkompresse) anhand von 229 Patienten mit diabetischen Fußulzerationen evaluiert.21 Hauptziel der Studie war die Anzahl der Ulzera, die innerhalb von 24 Wochen in jeder Gruppe abheilten. Es wurde gezeigt, dass die drei Wundauflagen in der Heilung von diabetischen Fußulzerationen gleichwertig sind.
Ein erst kürzlich publizierter Cochrane Review22 aus dem Jahr 2011 hat den Einfluss von Hydrogel auf die Wundheilung bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom untersucht. Insgesamt konnten 5 RCT (446 Patienten) in die Analyse eingeschlossen werden. Dabei wurden hydrogelhaltige Wundauflagen mit 4 verschiedenen Therapieformen verglichen. Es wurde mit gewisser Evidenz belegt, dass hydrogelhaltige Wundauflagen im Vergleich zu einfachen Wundauflagen („basic wound contact dressings“) die Wundheilung bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom fördern.

Interdisziplinarität

Das Wundmanagement stellt einen massiv an Bedeutung gewinnenden medizinischen Bereich dar. Aufgrund der Spezialisierung im Bereich der Gesunden- und Krankenpflege eröffnet sich ein neues Feld der fachbezogenen Kooperation zwischen diplomiertem Pflegepersonal und Ärzteschaft. Eine Asymmetrie des Wissens und der Kompetenzen innerhalb dieser Gruppen sowie zum Teil feststellbare Interessengegensätze sollten – unter dem Aspekt des Qualitätsmanagements – rasch und effizient durch ein einheitliches Wundmanagement behoben werden.
Wichtig erscheint vor allem die Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit der verschiedenen Gesundheitsberufe. Denn nur durch eine optimale Interaktion entstehen Synergien, die wesentlich zum Wohl der Patienten beitragen und eine optimale Wundversorgung gewährleisten können.

Mobiles Wundmanagement

Der Einsatz der Teledermatologie zur Betreuung von Patienten mit chronischen Wunden stellt einen Bereich von zunehmendem Interesse und wissenschaftlicher Aktivität dar. Vor allem die Betreuung von alten, immobilen Patienten in Gebieten mit geringer Dichte an Fachärzten für Dermatologie und Venerologie könnte auf diese Art und Weise schnell und ohne großen Aufwand durch standardisierte Fotodokumentation und Übermittlung von Daten mittels elektronischer Medien unterstützt werden, die Expertise über dermatologische Konsile eingeholt werden. Eine langfristige, spezifische Diagnostik sowie eine engmaschige Therapieüberwachung könnten damit erzielt werden.
Die Telemedizin hat großes Potenzial, die Betreuung von Patienten mit chronischen Wunden zu optimieren. Dennoch bleiben bis heute viele Fragen offen, wie man diese Technologien optimal nützen kann, um die Teledermatologie als integralen Bestandteil der Patientenbetreuung zu etablieren. Weitere qualitativ hochwertige Studien sind notwendig, um diese Systeme im klinischen Routinebetrieb zu testen.

Ausblick

Zahlreiche positive Effekte des modernen Wundmanagements mögen vorhanden sein, jedoch fehlt weiterhin die aus kontrollierten Studien gewonnene Evidenz. Qualitativ hochwertige klinische Studien wären hierfür dringend notwendig. Ziel soll ein interdisziplinäres, mobiles Wundmanagement sein, welches wesentlich zu einer besseren Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden beiträgt.

Unterstützt aus Fördergeldern des Medizinisch-Wissenschaftlichen Fonds des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien – Projektnummer 09054.

Literatur:
1 Schiemann D. & Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege: Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden (einschließlich Kommentierung und Literaturanalyse). Osnabrück 2008; DNQP: 169 S.
2 Austrian Wound Association. Available from: www.a-w-a.at
3 Birke-Sorensen H, et al., Evidence-based recommendations for negative pressure wound therapy: Treatment variables (pressure levels, wound filler and contact layer) – Steps towards an international consensus. Journal of Plastic, Reconstructive & Aesthetic Surgery; JPRAS 2011
4 Pham CT, Middleton PF, Maddern GJ, The safety and efficacy of topical negative pressure in non-healing wounds: A systematic review. Journal of Wound Care 2006; 15(6): 240-50
5 Plikaitis CM, Molnar JA. Subatmospheric pressure wound therapy and the vacuum-assisted closure device: Basic science and current clinical successes. Expert review of medical devices 2006; 3(2): 175-84
6 Mendonca DA, Papini R, Price PE. Negative-pressure wound therapy: A snapshot of the evidence. International wound journal 2006; 3(4): 261-71
7 Ubbink DT, et al., Topical negative pressure for treating chronic wounds. Cochrane database of systematic reviews 2008; (3): CD001898
8 Ip M, et al., Antimicrobial activities of silver dressings: An in-vitro comparison. Journal of medical microbiology 2006; 55 (Pt 1): 59-63
9 Vermeulen H, et al., Topical silver for treating infected wounds. Cochrane database of systematic reviews 2007; (1): CD005486
10 Carter MJ, Tingley-Kelley K, Warriner RA. 3rd silver treatments and silverimpregnated dressings for the healing of leg wounds and ulcers: A systematic review and meta-analysis. Journal of the American Academy of Dermatology 2010; 63(4): 668-79
11 Storm-Versloot MN, et al., Topical silver for preventing wound infection. Cochrane database of systematic reviews 2010; (3): CD006478
12 Bergin SM, Wraight P. Silver-based wound dressings and topical agents for treating diabetic foot ulcers. Cochrane database of systematic reviews 2006; (1): CD005082
13 Michaels JA, et al., A prospective randomised controlled trial and economic modelling of antimicrobial silver dressings versus non-adherent control dressings for venous leg ulcers: The VULCAN Trial. Health Technology Assessment 2009; 13(56): 1-114 iii.
14 Edwards J, Stapley S. Debridement of diabetic foot ulcers. Cochrane database of systematic reviews, 2010; (1): CD003556
15 Dumville JC, et al., VenUS II: A randomised controlled trial of larval therapy in the management of leg ulcers. Health Technology Assessment 2009; 13(55): 1-182 iii-iv.
16 Huberman L, et al., Antibacterial properties of whole body extracts and haemolymph of Lucilia sericata maggots. Journal of Wound Care 2007; 16(3): 123-7
17 Huberman L, et al., Antibacterial substances of low molecular weight isolated from the blowfly, Lucilia sericata. Medical and veterinary entomology 2007; 21(2): 127-31
18 Jull AB, Rodgers A, Walker N. Honey as a topical treatment for wounds. Cochrane database of systematic reviews 2008; (4): CD005083
19 O’Meara S, Cullum NA, Nelson EA. Compression for venous leg ulcers. Cochrane database of systematic reviews 2009; (1): CD000265
20 Nelson EA, et al., Prevention of recurrence of venous ulceration: Rando – mized controlled trial of class 2 and class 3 elastic compression. Journal of Vascular Surgery, official publication, the Society for Vascular Surgery (and) International Society for Cardiovascular Surgery, North American Chapter 2006; 44(4): 803-8
21 Jeffcoate WJ, et al., Randomised controlled trial of the use of three dressing preparations in the management of chronic ulceration of the foot in diabetes. Health Technology Assessment 2009; 13(54): 1-86 iii-iv.
22 Dumville JC, et al., Hydrogel dressings for healing diabetic foot ulcers. Cochrane database of systematic reviews 2011; 9: CD009101