ÖGDV Jahrestagung 2011, Linz: Neue Aspekte der Kompressionstherapie

Kompressionsmaterial

In den letzten Jahren werden zunehmend Kompressionsbinden und -strümpfe mit unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften kombiniert, wodurch eine Zuordnung des Endproduktes zu den Kategorien „elastisch“ (Langzug) bzw. „unelastisch“ (Kurzzug) schwierig oder sogar unmöglich wird. Beispiele sind die so genannten „Four Layer Bandages“, neue Kombinationen von adhäsiven Polsterschichten mit ebensolchen Kompressionsbinden, oder auch so genannte „Ulcer Kits“ mit zwei übereinander angezogenen Kompressionsstrümpfen. Die Nachgiebigkeit (Elastizität) derartiger Verband- und Strumpfsysteme ist geringer als jene der Einzelkomponenten und kann heute durch Druckmessungen an der betroffenen Extremität beurteilt werden.1 Neue Produkte wurden außerdem in Form von verschiedenen pneumatischen Pumpen sowie von unnachgiebigen Velcro-Band-Orthesen entwickelt, die vom Patienten selbst angelegt und nachjustiert werden können.

Stiffness

Dieser Begriff ist definiert durch die Zunahme des Kompressionsdruckes bei einer Zunahme des Extremitätenumfangs infolge von Muskelanspannung. Wird der Druck am medialen Unterschenkel an jener Stelle gemessen, an welcher der muskuläre Anteil des Gastrocnemius- Muskels in den tendinösen Abschnitt übergeht, dann zeigt ein steifer Verband bei Fußwippen höhere Druckspitzen sowie auch einen höheren Druckanstieg beim Aufstehen aus dem Liegen als ein nachgiebiger, elastischer Verband (Abb. 1). Beim Gehen bewirken die Druckamplituden einen rhythmischen Massageeffekt mit einer intermittierenden Veneneinengung. Die Druckdifferenz zwischen Stehen und Liegen wird als „Static Stiffness Index“ bezeichnet und stellt ein plausibles Maß zur Beurteilung der therapeutischen Breite zwischen guter Tolerabilität (niedriger Ruhedruck) und starker Wirksamkeit (hoher Arbeitsdruck) dar.1

 

P-LA-C-E-Formel

Das Akronym beinhaltet jene Punkte, die bei der Auswahl eines Kompressionsverbandes berücksichtigt werden müssen: P = Pressure, LA = Layers, C = Components, E = Elastic property.1
Der ausgeübte Druck (P) bei Verbandanlage erfordert Erfahrung und Übung. Bei guten Fußpulsen und ausgeprägter Beinschwellung empfehlen sich initial hohe Drücke, schlanke Beine benötigen einen niedrigeren Andruck.
Nachdem Binden immer mit einer gewissen Überlappung angewickelt werden, ist ein Verband immer mehrschichtig. Ein „Four Layer“-Verband besteht immer aus mehr als 4 Schichten und ist eigentlich ein „4-Komponenten-Verband“.
Die Elastizität kann durch Messung der Stiffness beurteilt werden. Derartige Messungen sind eher für Studien und zu Trainingszwecken als für die tägliche Praxis zu empfehlen, können aber zum besseren Verständnis der Wirksamkeit verschiedener Kompressionsmittel beitragen.1

Kompressionswirkung

Im gegebenen Rahmen sollen nur einige neuere Befunde bezüglich Ödemreduktion, Veneneinengung, venöser Pumpfunktion und Beeinflussung des arteriellen Einstroms bei Patienten mit gemischt arteriell-venösen Ulzera kurz präsentiert werden.

Ödemreduktion

Erstmals konnte eine Dosis-Wirkungs-Relation zwischen Kompressionsdruck und Ödemreduktion ermittelt werden. Schon relativ niedrige Drücke sind im Stande, eine Extremitätenschwellung zu reduzieren.2, 3 Beim Post-Mastektomiebedingten Arm-Lymphödem konnten wir zeigen, dass unelastische Verbände, die mit einem Druck um 30 mmHg angelegt werden, nach 2 Stunden eine ausgeprägtere Ödemreduktion bewirken als Verbände mit einem Druck um 50 mmHg.4 Bei chronischen Beinödemen liegt der optimale Druckbereich um 40–60 mmHg, wobei höhere Drücke weniger wirksam sind.3

Veneneinengung

Untersuchungen mittels Magnetresonanz (MRI) im Liegen und im Stehen liefern besonders eindrückliche Befunde, welche unsere bisherigen Konzepte teilweise in Frage stellen.5 So konnte nachgewiesen werden, dass Thromboseprophylaxe- Strümpfe trotz sehr niedriger Druckwerte im Oberschenkelbereich im Liegen oberflächliche, aber auch tiefe Venen proximal vom Knie einengen. Die resultierende Beschleunigung der venösen Strömung ist das für eine Thromboseprophylaxe entscheidende Wirkprinzip. Im Stehen können Klasse-II-Kompressionsstrümpfe (23– 32 mmHg) die Durchmesser von tiefen Venen sogar mehr reduzieren als von oberflächlichen Varizen (Abb. 2). Will man Oberschenkelvarizen effektiv komprimieren, so kann dies nur mit sehr hohen Drücken geschehen, wie sie etwa durch exzentrische Druckposter erreicht werden können.6

 

Verbesserung der venösen Pumpleistung

Eine Verbesserung der venösen Pumpleistung bei Patienten mit chronischer Veneninsuffizienz unter verschiedenen Kompressionsmitteln wurde bereits in früheren Studien gezeigt. Höhere Drücke und unelastisches Material lieferten bessere Ergebnisse, insbesondere bei Patienten in schweren klinischen Stadien, zurückzuführen auf eine ausgeprägtere, intermittierende Venenkompression beim Gehen.7, 8 Aber auch im niedrigen Druckbereich ist unelastisches Material hämodynamisch wesentlich effektiver als elastisches.9 Dies erklärt auch die Tatsache, dass unnachgiebige Verbände trotz erheblichen Druckverlusts noch nach einer Woche hämodynamisch wirksamer sind als Kompressionsstrümpfe.10 Strümpfe mit einem höheren Andruck im Wadenbereich bewirken bei mobilen Patienten eine ausgeprägtere Steigerung des hochgepumpten Blutvolumens als solche mit einem Druckgradienten, wie er nach den Qualitätskriterien der Strumpfhersteller gefordert wird.11

Kompression beim gemischten Ulkus

Bei 10–20 % der Patienten mit einem venösen Unterschenkelgeschwür besteht gleichzeitig eine oft nicht diagnostizierte arterielle Verschlusskrankheit. Wir konnten zeigen, dass bei Patienten mit gemischt arteriell-venösen Ulzera und einem systolischen Knöchelarteriendruck zwischen 60 und 100 mmHg (Doppler-Ultraschall) unnachgiebige Verbände mit einem Kompressionsdruck bis 40 mmHg nicht nur zu einer beträchtlichen Verbesserung der venösen Pumpleistung, sondern auch zu einem messbaren Anstieg der arteriellen Durchblutung führen.12 Erst bei höheren Andruckwerten kommt es zu einer Reduktion des arteriellen Einstroms. Ein Durchblutungsanstieg war bisher vor allem nach intermittierender pneumatischer Kompression bekannt und therapeutisch genutzt worden.13

Zusammenfassung und Ausblick

Noch immer gibt es bei der Kompressionstherapie, die seit Jahrtausenden ein wichtiges Instrumentarium der empirischen Medizin darstellt, neue, relevante Aspekte zu entdecken, was eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser gelegentlich als obsolet empfundenen Behandlungsform rechtfertigt.
Als Lebewesen mit aufrechter Körperhaltung sind wir Opfer der Schwerkraft, woraus die Anfälligkeit unserer unteren Extremitäten für Störungen des venösen Rückstromes und damit des Flüssigkeitsund Stoffaustausches zwischen Blut und Gewebe resultiert. Diese Störungen gehen mit mannigfachen klinischen, schwerpunktmäßig oft dermatologischen Erscheinungsbildern einher. Eine gute Kompression wird auch in Zukunft die einfachste und wirksamste Gegenmaßnahme zur Verhinderung und Heilung derartiger Veränderungen darstellen.

1 Partsch H, Clark M, Mosti G, et al., Classification of compression bandages: Practical aspects. Dermatol Surg 2008; 34: 600-9
2 Partsch H, Winiger J, Lun B. Compression stockings reduce occupational swelling. Dermatol Surg 2004; 30: 737-43
3 Mosti G, Picerni P, Partsch H. Compression stockings with moderate pres – sure are able to reduce chronic leg oedema. Phlebology, in print
4 Damstra RJ, Partsch H. Compression therapy in breast cancer-related lymph – edema: A randomized, controlled, comparative study of relation between volume and interface pressure changes. J Vasc Surg 2009; 49: 1256-63
5 Partsch H, Mosti G, Mosti F. Narrowing of leg veins under compression, demonstrated by magnetic resonance imaging (MRI). Int Angiol 2010; 29: 408-10
6 Partsch B, Partsch H. Which pressure do we need to compress the great saphenous vein on the thigh? Dermatol Surg 2008 Dec; 34(12): 1726-8
7 Partsch H, Menzinger G, Mostbeck A. Inelastic leg compression is more effective to reduce deep venous refluxes than elastic bandages. Dermatol Surg 1999; 25: 695-700
8 Stöberl C, Gabler S, Partsch H. Indikationsgerechte Bestrumpfung – Messung der venösen Pumpfunktion. VASA 1989; 18: 35-9
9 Mosti G, Partsch H. Is low compression pressure able to improve venous pumping function in patients with venous insufficiency? Phlebology 2010; 25: 145-150
10 Mosti G, Partsch H. Inelastic bandages maintain their hemodynamic effectiv eness over time despite significant pressure loss. J Vasc Surg 2010 Oct; 52(4): 925-31
11 Mosti G, Partsch H. Compression stockings with a negative pressure gradient have a more pronounced effect on venous pumping function than graduated elastic compression stockings. Eur J Vasc Endovasc Surg 2011 Aug; 42(2): 261-6
12 Mosti G, Iabichella ML, Partsch H. Compression therapy in mixed ulcers increases venous output and arterial perfusion. J Vasc Surg, in print
13 Delis KT. The case for intermittent pneumatic compression of the lower extremity as a novel treatment in arterial claudication. Perspect Vasc Surg Endovasc Ther 2005 Mar; 17(1): 29-42
14 Partsch H, Mosti G. Does compression affect superficial more than deep veins? Poster, American Venous Forum, Feb. 2010