20 Jahre UEGW – Im Zentrum das intestinale Mikrobiom

Zum 20-jährigen Jubiläum der UEGW (Vereinigte Europäische Gastroenterologie Woche) hat die Gesellschaft bestehend aus 58 nationalen europäischen gastroenterologischen Gesellschaften eindrucksvoll ihre wissenschaftliche Dynamik und Breite unter Beweis gestellt. Mehr als 14.000 Teilnehmer aus 127 Ländern haben den Kongress besucht, 3.360 Abstracts wurden eingesandt, davon 2.133 angenommen. Mit 453 oralen Präsentationen und 1.680 Postern war der gesamte Bereich der Gastroenterologie und Hepatologie aktuell wissenschaftlich repräsentiert. Der Research-Preis ging dieses Jahr an L. M. Sollid, den Direktor des Zentrums für Immunregulation an der Universität Oslo für seine bahnbrechenden Entdeckungen zur HLA-assoziierten Pathophysiologie der Zöliakie. Die österreichische Delegation war wieder mit zahlreichen Präsentationen überdurchschnittlich präsent. Eine der jüngsten TeilnehmerInnen, Dr. Elisabeth Waldmann von der Wiener Klinik, wurde für ihre glänzende orale Präsentation zum Screening für hereditäres, nicht-polypöses kolorektales Karzinom mit einem Research Scholar Award ausgezeichnet. Sie hat aufgezeigt, dass eine regelmäßige histochemische Untersuchung von Gewebeproben auf Mutationen in entsprechenden Missmatch-Repair-Genen deutlich mehr Betroffene zu entdecken vermag als klinisch vermutet.

Today’s Science – Tomorrow’s Medicine: Das wissenschaftliche Komitee hat mit der Hilfe internationaler Reviewer einen hohen Standard sicher gestellt. Allerdings war zu bemerken, dass 2012 offenbar ein Jahr der Konsolidierung und zahlreicher kleiner Fortschritte in der Wissenschaft ohne wirkliche dramatische Highlights war. Um das riesige Gebiet des Faches abzudecken, waren etwa 16 tägliche Parallelveranstaltungen angesetzt, wobei die Hälfte als Symposien den Interessierten aktuelle Übersichten zum Schwerpunkt durch internationale Topexperten vermittelten. Ein absolutes Highlight war die tägliche Serie „Today’s Science: Tomorrow’s Medicine“, die dieses Jahr ganz der Problematik der Adipositas-assoziierten Karzinogenese gewidmet war: alle Aspekte, von der Epidemiologie, den aktuellen Erkenntnissen zu Genetik, der Assoziation zur Pathophysiologie des metabolischen Syndroms, den inflammatorischen Mechanismen, der Molekularpathologie von ER-Stress über Autophagie, wurden von den Autoren der aktuellsten Wissenschaft präsentiert und diskutiert. Das Bindeglied all dieser komplex ineinander greifenden Systeme sind Interaktionen des Gut-Mikrobioms mit dem Immunsystem und die dadurch ausgelöste Modulation von Stoffwechselprozessen als direkte Antwort auf diesen Entzündungsreiz. Immer klarer wird, dass der Stoffwechsel per se mit seinen komplexen Regulationsprozessen inklusive der Appetitsteuerung ganz wesentlich mit entzündungsrelevanten Prozessen überwacht wird und selbst Teil des Entzündungsprozesses mit komplexen Konsequenzen wie z. B. die Insulinresistenz wird. So faszinierend die aktuelle Erkenntnisse zu molekularen Interaktionen und Mechanismen sind, kurzfristige therapeutische Konzepte deuten sich noch nicht an, werden aber wohl unter dem Gewicht der epidemiologischen Dimension des Problems und der Wucht der Explosion an wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht lange ausbleiben. Um konsequenterweise auch die Defizite der aktuellen Forschung in unserem Fach zu definieren, waren spezifische Symposien formuliert: als einer der dringendsten Bereiche wurde unter anderem die chronische Pankreatitis definiert, für die nach wie vor jeglicher medikamentös-therapeutischer Ansatz fehlt.

Highlights des Postgraduate-Teaching-Programms, das über zwei Tage aktuelle Entwicklungen der Therapie von Virushepatitiden, chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen, onkologischer und metabolischer gastroenterologischer Erkrankungen thematisierte, waren interventionelle Live-Endoskopie-Übertragungen aus dem Akademischen Medizinischen Zentrum Amsterdam. Dabei demonstrierten Teams internationaler Experten vor allem die State-of-the-Art-Verfahren zur Resektion intestinaler Malignome.

Der Endoskopie war auf der UEGW insgesamt breiter Raum gewidmet: von Hands-on-Kursen – auch unter österreichischer Leitung – über aktuelle Studien zu endoskopischen Submukosa-Dissektionen und der Bedeutung moderner endoskopischer Bildgebung. Bemerkenswerterweise sind NOTES-Verfahren zugunsten minimal invasiver chirurgischer Methoden deutlich in den Hintergrund getreten, haben aber die Entwicklung der für interventionelle Endoskopien notwendigen Hilfssysteme nachhaltig beschleunigt.

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED): Klinisch dominierte auch in diesem Jahr wieder der Themenkreis der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Die neuen Erkenntnisse zur Pathophysiologie in Immunologie und Genetik der letzten Jahre fanden in diesem Jahr eher Konsolidierung in breiten und vertieften Studien. Ganz im Zentrum des Interesses steht auch hier die Interaktion des Mikrobioms mit dem intestinalen, vor allem dem angeborenen Immunsystem – ohne die Kommunität mit bahnbrechender Erkenntnis zu elektrisieren. Unverändert stark nachgefragt sind Symposien zum klinischen Management der Erkrankung, die unterstreichen, dass die erlebte Diskrepanz zwischen den Studienergebnissen und der Real-Life-Situation des klinischen Alltags einen hohen Diskussionsbedarf schafft. Mit Golimumab ist ein weiterer humaner TNF-Antagonist und mit Vedolizumab der erste Adhäsionsblocker in das therapeutische Armamentarium chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen aufgenommen worden.

Chronische Visrushepatitiden: Auf dem Gebiet der Therapie chronischer Visrushepatitiden standen die klinisch-wissenschaftlichen Beobachtungen zur Therapie mit den Protease­inhibitoren der ersten Generation im Vordergrund. Erkenntnisse zum Management der Nebenwirkungen wie die unproblematische Reduktion der Ribavirin-Dosis bei kritischem Hämoglobinabfall waren ebenso wichtig wie die Bestätigung der hohen Wirksamkeit mit ca. 80%iger Viruselimination, wie aus den Studien bekannt. Studien zu neuen, insbesondere interferonfreien Regimen waren kaum vertreten. Dies dürfte wohl Ausdruck der Tatsache sein, dass zwei Wochen später die Jahrestagung der Amerikanischen Vereinigung zur Leberforschung in Boston (AASLD) angesetzt war.

FAZIT: Die diesjährige Jubiläums-UEGW hat unterstrichen, dass die moderne Gastroenterologie aufgrund ihres hohen wissenschaftlichen Standards und ihrer enormen klinischen Breite das Paradigma der modernen inneren Medizin schlechthin ist. Leider wird die österreichische Gastroenterologie wissenschaftlich und klinisch international sehr viel stärker gewürdigt und geschätzt als im eigenen Land, indem von einem Großteil der Patienten die hohe fachspezifische Qualifikation der Kollegen kaum nachgefragt wird und entsprechend im Gesundheitssystem nicht adäquat gewürdigt wird.