Chronische Polyarthritis – Pathophysiologie und resultierende Therapieformen


Die chronische Polyarthritis (CP) ist eine systemische Autoimmunerkrankung, die bevorzugt die Gelenke und periartikuläre Strukturen wie Sehnenscheiden und Schleimbeutel befällt. Sie gilt als multifaktorielle Erkrankung, bei der Belastungen aus der Umwelt in Verbindung mit einer genetischen Prädisposition einen Prozess in Gang setzen, der in einer fehlgeleiteten Aktivität des Immunsystems resultiert. Epidemiologische Untersuchungen belegen, dass die wiederholte Irritation des Immunsystems durch exogene Noxen mit einem erhöhten Krankheitsrisiko einhergeht. So wurden Rauchen oder Silicabelastung als Risikofaktoren identifiziert. 


Zelluläre Interaktionen

Bei vielen chronisch-entzündlichen Erkrankungen wird den gewebebildenden Zellen entscheidende Bedeutung für das pathologische Geschehen beigemessen. Bei der CP sind es die synovialen Fibroblasten, die zur Pathogenese beitragen; sie nehmen die Signale des Immunsystems auf und bilden ihrerseits Faktoren, die das Einwandern von Immunzellen in die Synovialmembran bewirken und eine lokale Entzündungsreaktion begünstigen. Die Komponenten des angeborenen und adaptiven Schenkels des Immunsystems: Monozyten/Makrophagen, T- und B-Lymphozyten, Plasmazellen, Mastzellen, Granulozyten und Komplementfaktoren akkumulieren im Gewebe und entfalten ihre entzündliche Aktivität. Die Wechselwirkung zwischen Immunzellen und synovialen Fibroblasten bedingt überdies tiefgreifende Veränderungen der synovialen Gewebearchitektur; es kommt zur Hyperplasie der synovialen Intima und zur Ausbildung einer aggressiven, vorwiegend mesenchymalen Zellmasse (Pannus), die dem Gelenkknorpel anhaftet, diesen invadiert und zerstört. Die Bildung des charakteristischen Pannus geht mit einer verstärkten Osteoklastogenese einher. Unbehandelt resultiert dieser Prozess in bleibenden strukturellen Schäden an den Gelenken (Knochenerosionen, Knorpeldestruktion), Sehnen und Bändern und führt zum Verlust der Gelenkfunktion.

Proinflammatorische Zytokine

Die vielfältige Interaktion der am Entzündungsgeschehen beteiligten zellulären Elemente wird ganz wesentlich von Zytokinen bestimmt. Der Tumornekrosefaktor (TNF) nimmt dabei eine prominente, übergeordnete Stellung ein. Er ist in der rheumatoiden Synovitis reichlich vorhanden und wird hauptsächlich von synovialen Makrophagen und Mastzellen gebildet. Er hat als pleiotropes Zytokin zahlreiche Effekte. Sequenzielle histologische Untersuchungen von Synovialgeweben von Patienten mit CP, die mit TNF-Antagonisten behandelt wurden, zeigen eine dramatische Abnahme des entzündlichen Infiltrates. Dieser Effekt steht im Einklang mit der bekannten Funktion des TNF bei der Aktivierung des Gefäßendothels. Unter dem Einfluss des TNF kommt es zu einer verstärkten Expression von Adhäsionsmolekülen auf der Oberfläche der Endothelzellen, die das Auswandern von Leukozyten aus dem Gefäßsystem begünstigt.

Der TNF moduliert aber auch die Funktion der Zellen des adaptiven Immunsystems. In-vitro-Experimente belegen einen direkten Einfluss des TNF auf das Wachstum und die Differenzierung von spezialisierten T- und B-Lymphozyten. Dementsprechend wird nach längerer Therapie mit einem TNF-Antagonisten häufig eine Abnahme der Auto-Antikörperspiegel, der Rheumafaktoren (RF) und der Antikörper gegen citrullinierte Proteine (ACPA) beobachtet.

Für die Gelenkdestruktion von besonderer Bedeutung ist die Wirkung des TNF auf die gewebebildenden Zellen; er bestimmt ganz wesentlich die mesenchymale Gewebereaktion. Die TNF-vermittelte Proliferation der synovialen Fibroblasten geht mit einer verstärkten Bildung von Proteasen (Kollagenase, Stromelysin) einher und trägt so zum Gewebeumbau und zur Knorpeldestruktion bei. Aber auch die Osteoklastogenese und die Aktivität der Osteoklasten werden vom TNF beeinflusst; er verschiebt das Verhältnis zwischen Osteoprotegerin (OPG) und RANK-Liganden zugunsten einer verstärkten Osteolyse. OPG hemmt die Osteoklastogenese, wohingegen der RANK-Ligand die Osteoklastogenese fördert. Die Bedeutung des TNF für die Entwicklung von Knochenerosionen wird durch die Beobachtung untermauert, dass bei Patienten, die klinisch kaum von TNF-Antagonisten profitieren, dennoch das Fortschreiten der Knochendestruktion verlangsamt ist.

Entgegen früheren Annahmen sind die synovialen Fibroblasten nicht nur für die Gelenkdestruktion von Bedeutung; sie sind aktiv in den entzündlichen Prozess eingebunden und bestimmen die Entwicklung und Aufrechterhaltung der Synovitis. Die Stimulation der Fibroblasten mit TNF oder Interleukin 1 (IL-1) bewirkt eine vermehrte Bildung von Wachstumsfaktoren, welche die Aktivierung und Differenzierung von Immunzellen anregen; sie produzieren vor allem große Mengen des Zytokins Interleukin 6 (IL-6), das hauptsächlich von den synovialen Fibroblasten gebildet wird. IL-6 entfaltet vielfältige Wirkungen auf Zellen des Immunsystems und vermittelt somit das Zusammenspiel von synovialer Gewebereaktion und der Aktivität der Immunzellen im lokalen entzündlichen Prozess. Ursprünglich wurde IL-6 als Differenzierungsfaktor für B-Zellen beschrieben; es steuert aber auch die Motilität der Monozyten und wirkt auf die Osteoklastogenese. Neuere Untersuchungen belegen eine Bedeutung des IL-6 für die Entwicklung von Th-17-Zellen, spezialisierte T-Zellen, die durch die Bildung des Zytokins Interleukin 17 gekennzeichnet sind. IL-17 wiederum stimuliert die synovialen Fibroblasten, sodass die Interaktion von T-Zellen und Fibroblasten in eine verstärkte Entzündungsreaktion mündet. Die Wirksamkeit des IL-6-Rezeptorblockers Tocilizumab bestätigt die Bedeutung des IL-6 für die Pathogenese der CP.

T- und B-Lymphozyten

Die CP wird als immunologische Systemerkrankung aufgefasst; viele mit der Krankheit assoziierte Phänomene sprechen für eine Fehlsteuerung des adaptiven Immunsystems. Die Assoziation der Erkrankung mit dem genetischen Merkmal MHC-II DR4 lässt auf eine Beteiligung der T-Lymphozyten im Krankheitsgeschehen schließen. Auf der Oberfläche von Antigen-präsentierenden Zellen vermitteln MHC-II-Moleküle gemeinsam mit costimulatorischen Molekülen die antigenspezifische Aktivierung von T-Lymphozyten. Das entzündliche Infiltrat der betroffenen Gelenke besteht überdies hauptsächlich aus T-Lymphozyten (etwa 50 %), die einen aktivierten Phänotyp aufweisen. Den Mechanismen der T-Zell-Aktivierung wurde daher erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt und führte zur Entwicklung des Co-Stimulationsblockers Abatacept, der in der klinischen Praxis eine vergleichbar gute Wirksamkeit wie die übrigen Biologika zeigt. Die gesteigerte Aktivität der T-Zellen dürfte auch für die Aktivität und Differenzierung der B-Lymphozyten und die Auto-Antikörperproduktion von Bedeutung sein. Der Rheumafaktor und die ACPA werden von Plasmazellen gebildet, die in der entzündeten Synovialmembran angereichert sind und unter dem Einfluss der T-Zellen aus B-Zellen hervorgehen. B-Lymphozyten sind jedoch auch zur Antigen-Präsentation befähigt und produzieren proinflammatorische Zytokine, sodass dieser Zellpopulation vielfältige Bedeutung zukommt. Die Depletion der B-Zellen mittels Rituximab, einem Antikörper gegen das Oberflächenmolekül CD20 auf B-Zellen, hat sich dementsprechend als wirksames therapeutisches Prinzip zur Behandlung der CP etabliert.

Neue Ansätze

Trotz der beachtlichen Erfolge profitieren nur etwa 70 % der Patienten von den gezielten Biologika-Therapien. Neue Therapieansätze sind daher gefordert. Es ist zu hoffen, dass das zunehmende Verständnis für die molekularen und zellulären Mechanismen der Gelenkentzündung Entwicklungen hervorbringt, die auch den Patienten zugutekommen, die bis­-lang kaum einer Therapie zugänglich waren. Neuere Strategien zielen auf eine spezifische Hemmung der Signalübertragung ab. Mediatoren der Entzündung entfalten ihre Effekte über Rezeptoren auf der Zelloberfläche, die an intrazelluläre Signaltransduktionswege gekoppelt sind. Über Aktivierung dieser Signalkaskaden kommt es zu Änderungen der Zellmorphologie, der Zellmotilität, des zellulären Proteinumsatzes, des Genexpressionsmusters und des Zellwachstums. Für die Immunpathogenese der CP bedeutende Zytokinrezeptoren sind vielfach mit Januskinasen (JAKs) assoziiert. Dementsprechend zeigte der JAK-Inhibitor Tofacitinib gute therapeutische Wirksamkeit und wird in naher Zukunft für die Therapie der CP zur Verfügung stehen.

Die CP geht mit einer erhöhten Mortalität einher. Insbesondere wegen kardiovaskulärer Komplikationen ist die Lebenserwartung von Patienten, die an einer CP leiden, im Vergleich zu Gesunden um etwa 10 Jahre verkürzt. Der systemische Charakter der Erkrankung begünstigt entzündliche Prozesse in der Gefäßwand und verursacht frühzeitige atherosklerotische Veränderungen am Gefäßsystem. Es bleibt abzuwarten, ob die Biologika-Therapien auch in dieser Hinsicht einen günstigen Effekt zeigen.

 

FACT-BOX

Mit einer Prävalenz von etwa 1 % ist die chronische Polyarthritis die häufigste chronisch-entzündliche Gelenkerkrankung. Die Entschlüsselung molekularer Mechanismen der synovialen Entzündung führte zur Entwicklung von Medikamenten, die gezielt in den Krankheitsprozess eingreifen. Diese Biologika haben die therapeutischen Strategien revolutioniert und die Optionen zur Behandlung von Patienten mit chronischer Polyarthritis wesentlich erweitert.