„Das Personal ist das Entscheidende“

Neuer Klinikvorstand für Innere Medizin an der Medizinischen Universität Graz
UNIVERSUM INNERE MEDIZIN: Sie sind seit 1. 1. 2021 Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin der Medizinischen Universität Graz, welche Ziele haben Sie in Ihrer neuen Funktion?

Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz: Es gibt konstante Aufgaben, die organisatorisch in meine Kompetenzen fallen, also die Notfallaufnahme, die Intensive Care Unit (ICU) und die Tagesklinik, und dann gibt es natürlich koordinative Aufgaben, um Abteilungen der UKIM bei Strukturmaßnahmen zu unterstützen, und das Schnittstellenmanagement zwischen den Abteilungen, in den Kliniken, aber auch nach außen. Letztendlich ist es auch meine Aufgabe, Ideengeber an der Inneren Medizin zu sein, Leute für meine Ideen zu begeistern und diese gemeinsam umzusetzen.
Die Notfallaufnahme, die derzeit eine internistisch-neurologische Notfallaufnahme ist, soll innerhalb der nächsten 4–5 Jahre in eine zentrale Notfallaufnahme überführt werden. Im Rahmen von COVID-19 ist klar geworden, dass die Intensivkapazitäten zu gering sind und dass man diese weiter ausbauen wird müssen. Geschultes Personal ist dabei das Entscheidende. Es wird also nicht nur die Aufgabe sein, das baulich zu verändern, sondern auch mehr Ärzte und Pflegepersonal in dieser Richtung auszubilden. Und man sieht durch die Pandemie, dass viele Dinge online oder virtuell gemacht werden können, was aber für alle Beteiligten zu einer dramatischen Arbeitsverdichtung führt. Das darf nicht dazu führen, die Zeit für den Patienten zu vernachlässigen.

Sie sind auch Stellvertretender Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Innere Medizin (ÖGIM). Welche Aktivitäten plant die ÖGIM zur Weiterentwicklung der Inneren Medizin?

Zentral für die ÖGIM sind die Fortbildung und die Ausbildung der jungen Kollegen. Wesentlich ist dabei die Jahrestagung, wo Kollege Thalhammer „Innere Medizin Compact“ initiiert hat und wir enge Verbindungen mit der DEGIM hatten – mit gegenseitigen Sitzungen auf den jeweiligen Kongressen. Das ist natürlich derzeit nicht möglich, aber die Internationalisierung der ÖGIM wird weiterhin wichtig sein.
Wir müssen außerdem versuchen, dem Ärztemangel in der Inneren Medizin und der Medizin insgesamt in den nächsten Jahren gegenzusteuern, auch in den Mangelfächern. Man hat den Eindruck, dass es das eine oder andere interne Fach gibt, das nicht so gerne belegt wird. Kardiologie und Gastroenterologie kann man auch im niedergelassenen Bereich gut anwenden, aber sonst wird es schwierig. Ein klinisches Profil für den Facharzt Allgemeine Innere Medizin zu entwerfen ist, glaube ich, ein ständiger „work in progress“.

Bei der Vorsorge zur frühzeitigen Erkennung einer chronischen Nierenerkrankung war die Steiermark mit dem Programm „niere.schützen“ ein Vorreiter in Österreich. Seit Jänner 2021 läuft „niere.schützen 2.0“. Was ist dabei neu?

Die Idee dahinter ist, dass wir jetzt versuchen, praktische Ärzte an Bord zu holen. Jeder von ihnen soll Patienten zwischen 40 und 65 Jahren mit einem Risikofaktor wie Hypertonie, Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankung oder dialysepflichtige Erkrankung in der Familie darauf screenen, ob ein Risiko besteht, eine kardiovaskuläre Erkrankung und/oder Nierenfunktionseinschränkung zu entwickeln. Nierenpatienten sind kardiovaskuläre Hochrisikopatienten, das wären also zwei Fliegen mit einer Klappe. Wenn wir Patienten mit Risikofaktoren beobachten und intensiviert behandeln, können wir vor kardiovaskulären Erkrankungen schützen bzw. die Dialyse ein paar Jahre aufschieben.

Wie kann die Zusammenarbeit zwischen Krankenhausärzten und niedergelassenen Internisten und Allgemeinmedizinern verbessert werden?

Verbessern kann man sie beispielsweise über die Ausbildung und indem man im Studium Ärzte ausbildet, die leitliniengerechte Medizin betreiben. Der niedergelassene Bereich braucht auch Zeit, das umzusetzen und nicht nur eine High-Throughput-Medizin zu machen, wo alles möglichst schnell und kosteneffizient gehen muss. Medizin ist kosteneffizient, wenn sie präventiv arbeiten kann, nur die Kosteneffizienz zeigt sich natürlich erst 20 Jahre später. Ein wesentlicher Bereich sind auch neue Modelle, in denen Kollegen aus verschiedenen Fächern in einer Gruppenpraxis zusammenarbeiten, oder familiengerechte Dienstzeitmodelle bei Praktikern.
Durch die Facharztprüfung ist schon ein Quantensprung im Wissen und Können erzielt worden. In Zukunft wird man wahrscheinlich – wie international üblich – alle fünf Jahre eine Rezertifizierung machen müssen. Aber eine Rezertifizierung heißt natürlich auch, dass es einen gewissen Aufwand gibt, der abgegolten werden muss.

Eines Ihrer jahrzehntelangen Forschungsthemen ist die Glomerulonephritis. Woher kommt diese Faszination?

Die Faszination kam durch die immunologische Ausbildung, die ich vor meiner ärztlichen erhalten habe. Im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes in den USA bin ich dann auf die Glomerulonephritis als Forschungsthema gestoßen. Damals sind gerade die ersten Mausmodelle aufgekommen, bei denen man einzelne Rezeptoren oder Strukturen „ausknocken“ konnte, und diese Technologien haben wir übernommen, um die Pathophysiologie von Glomerulonephritiden zu untersuchen. Mittlerweile habe ich mich aus dem Gebiet ein bisschen zurückgezogen und es meiner Kollegin, Professorin Eller, übergeben, die jetzt bei uns die experimentelle Schiene an der Klinik betreut und sehr erfolgreich wissenschaftliche Arbeiten publiziert.
Wer an einer Universitätsklinik arbeitet, braucht davor eine Grundlagenausbildung, das war bei mir eben die Immunologie. Das erleichtert einem das Verständnis der verschiedenen Erkrankungen, die man dann behandelt, sehr.

Sie waren über ein Erwin-Schrödinger-Stipendium an der Harvard Medical School in Boston. Wie steht Graz im internationalen Vergleich da, und wo gibt es etwas aufzuholen?

Jeder kann immer etwas aufholen. Die Forschungsmöglichkeiten in Graz wurden durch die Infrastruktur mit dem Zentrum für Medizinische Forschung (ZMF) und kurzen Wegen für die Kliniker zuletzt stark verbessert. Für ganz Österreich gilt, dass wir mehr Zeit für die Forschung brauchen. Es haben sich die Anforderungen für alle Bereiche deutlich erhöht, nicht nur in der Klinik, nicht nur in der Lehre, sondern eben auch in der Forschung. Dafür benötigen wir mehr Personal, um mehr Zeit für die Forschung und die Lehre zu haben, und das ist natürlich immer der teuerste Faktor. Aber darum wird man nicht herumkommen, wenn man sich international umsieht. Das Verhältnis zwischen Betten und Personal, das an der Medizinuniversität arbeitet, ist wesentlich schlechter als z. B. in Holland, Norwegen oder Schweden. Bei den Verantwortlichen muss ankommen, dass die Mediziner für eine ordentliche Forschung mehr Zeit benötigen. Die jungen Leute werden sich nicht um 18:00 Uhr ins Labor stellen und dann ihre Forschung machen, diese Zeiten sind vorbei.