„Die Entwicklung wird sich weiter beschleunigen“

Sie leiten seit gut zwei Jahren die Universitätsklinik für Innere Medizin V in Innsbruck, das onkologische Zentrum in West-Österreich. Wie positionieren Sie Ihre Abteilung?

Neben der Kernaufgabe unserer Abteilung, Spitzenmedizin für die Tiroler Bevölkerung im Bereich der Hämatologie und internistischen Onkologie anzubieten, bauen wir ein Wissenschaftsprogramm mit besonderem Fokus auf Lungenkrebs und myeloproliferative Erkrankungen auf und forcieren die Netzwerkbildung im Westen Österreichs. Wir haben eine exzellente Zusammenarbeit mit den lokalen Krankenhäusern in Tirol und Vorarlberg und versuchen, uns hier durch Vernetzung noch stärker zu positionieren, um international kompetitiv klinische Studien an den Standort zu bekommen und den PatientInnen innovative Medizin anbieten zu können. Im wissenschaftlichen Bereich liegt ein sehr starker Fokus auf Tumor-Micro-Environment. Wir haben in den letzten 24 Monaten viele Technologieplattformen etabliert, die uns helfen, das Tumormilieu hochauflösend abzubilden. Hier liegt unser Schwerpunkt vor allem auf der Erforschung des Lungenkarzinoms, das der Krebs mit der weltweit höchsten Sterblichkeitsrate ist. Erwähnen möchte ich die Kollegen Andreas Pircher, Georg Pall und Florian Kocher, die im Rahmen des klinisch-wissenschaftlichen Lungenprogramms hoch aktiv sind und ohne die der bisherige Aufbau nicht gelungen wäre. Natürlich setzen wir aber auch zelluläre immunonkologische Therapieverfahren, wie beispielsweise CAR-T-Zellen, ein. Bei der CAR-T-Zell-Therapie arbeiten wir derzeit in enger Kooperation gemeinsam mit dem Institut für Transfusionsmedizin unter dem gemeinsamen Dach des ICCT daran, die Eigenherstellung von CAR-T-Zellen zu ermöglichen, um sie in frühen klinischen Studien einsetzen zu können, aber auch um mit Firmenpartnern innovative Projekte anzuschieben, wie z. B. auch den frühen Einsatz von CAR-NK-Zellen. Wir hoffen, dass wir uns weiter mit verschärftem Profil national und international positionieren können.

In welchen Indikationen wird die CAR-T-Zell-Therapie in Innsbruck als Teil der klinischen Versorgung angeboten, in welchen wird sie im Rahmen klinischer Studien evaluiert?

Die CAR-T-Zell-Therapie wird in Innsbruck als Teil der klinischen Versorgung für hochmaligne Lymphome und in naher Zukunft auch für das Mantelzelllymphom und für das multiple Myelom angeboten. Weiters planen wir ein Protokoll für ZNS-Lymphome. Darüber hinaus haben wir eine Reihe an klinischen Studienprotokollen bei hämatologischen Neoplasien aktiv rekrutierend oder in Planung. Wir sind auch zuversichtlich, dass wir klinische Studien im Bereich der AML bekommen. Wir versuchen also, bei Erkrankungen mit immer noch hoher Mortalität an der Weiterentwicklung moderner Therapien aktiv mitzuarbeiten und damit vor allem PatientInnen in der Großregion früh Zugang zu innovativen Therapien „von morgen“ zu verschaffen.

Die letzten Jahre sind in der Onkologie von enormen Entwicklungen geprägt. Wo liegt insgesamt die Herausforderung „from bench to bedside“?

Der Schritt „from bench to bedside“ ist immer schwierig. Hier sei als berühmtes Beispiel der österreichische Hämatologe und Onkologe Prof. Christoph Huber, der Gründer von BioNTech, zitiert. In einem Interview erläuterte er, dass er im Rahmen seiner wissenschaftlichen Forschungen als Klinikchef in Mainz realisiert hatte, dass man die klinische Umsetzung von Erfindungen nur dann effizient umsetzen kann, wenn man wissenschaftsgetriebe Firmen gründet. Aus einem solchen „Mindset“ ist letztlich der Coronaimpfstoff entstanden, wobei ich mir neben diesem großartigen Erfolg europäischer Forschung vor allem herbeisehne, dass die mRNA-basierten Impfstrategien auch in der Krebstherapie aufgehen. Die ersten klinischen Ergebnisse hier sehen sehr vielversprechend aus. Es sind also ganz außergewöhnliche und nur wenige Köpfe, die in der Lage sind, Therapien „from bench to bedside“ in einer Linie von der Wissenschaft bis zur Zulassung umzusetzen. Diese Eigenschaften, nämlich Wissenschafter und gleichzeitig Firmengründer und Entrepreneur zu sein, das können nur die wenigsten. Ich sehe aber trotzdem die Akademia als essenziellen Partner der Industrie in der Erforschung der Pathogenese und Behandlung von Erkrankungen. Das ist auch das Salz in der Suppe universitärer Arbeit. Wir sind auch mit einer Reihe von Industriepartnern in Forschungsprojekten aktiv. Ein Beispiel ist das VASCage-Projekt, in dem wir uns gemeinsam mit Prof. Stefan Kiechl, dem Chef der hiesigen Neurologie und international anerkannter Schlaganfallforscher, mit der Bedeutung klonaler Hämatopoese, Entzündung und der Schlaganfallpathogenese auseinandersetzen. Hier gibt es viele Möglichkeiten, um „from bench to bedside“ oder auch „from bedside to bench“ Forschung zu betreiben, um Zusammenhänge besser verstehen, neue Pathomechanismen zu beschreiben und die PatientInnenselektion für zukünftige Studien besser definieren zu können. Ein anderes Beispiel ist eine Kooperation im Rahmen der adjuvanten Lungenkrebstherapie, wo wir den Effekt einer Kombinationstherapie aus antiangiogenen Substanzen und Checkpointantikörpern auf das Tumormilieu hochauflösend untersuchen.

Wenn Sie den Blick in die Zukunft wagen: Welche Entwicklungen erwarten Sie für die nächsten Jahre?

In den nächsten Jahren wird – durch die immer tiefere Charakterisierung von Tumoren – die Personalisierung von Therapien weiter voranschreiten. Lungenkrebs von heute ist nicht mehr der Lungenkrebs von vor 10 Jahren, er ist in viele „Kuchenstücke“ zerfallen, die sich genetisch anders darstellen und auch unterschiedlich therapiert werden. Diese Entwicklung wird rasant weitergehen. Letztendlich setzen wir sehr viel Hoffnung in die neuen Immuntherapeutika, nicht zuletzt auch in die Impfstrategien. Es gibt wie oben genannt sehr vielversprechende Daten von BioNTech und auch anderen Firmen, die zeigen, wie man mit Impfungen individualisiert Krebs erfolgreich behandeln kann. Ich glaube zudem, dass sich in den nächsten Jahren sehr viel im Bereich des Tumormetabolismus tun wird. Hier bestehen bisher nur wenige therapeutische Ansätze, wobei die metabolische Neuausrichtung des Tumors und seines Milieus einen essenziellen Schritt der Tumorprogression darstellt. Zudem blicken wir ja bereits auf eine unglaubliche Entwicklung seit der Jahrtausendwende zurück, was „targeted therapies“, Immunonkologika etc. betrifft. Die rasant wachsenden Technologieentwicklungen werden sich daher immer weiter beschleunigen, um sich dann darin niederzuschlagen, dass sich die Überlebenswahrscheinlichkeiten der Patientinnen und Patienten mit Krebs weiter kontinuierlich verbessern.

Wie beurteilen Sie die Verfügbarkeit von modernen Therapien in Österreich?

Ich würde sagen, die Verfügbarkeit ist gut. Zu betonen ist vor allem die unkomplizierte Möglichkeit eines Off-Label-Einsatzes von Medikamenten. Hier sei auf das zumindest in der Onkologie etablierte Modell verwiesen, das über die Herstellerfirmen einen relativ einfachen Zugang zu Off-Label-Therapien ermöglicht, die dann in der Folge nach entsprechendem – klinischem oder bildgebendem – Nachweis des Nutzens auch von der Sozialversicherung finanziert werden. Sorge bereitet uns jedoch, dass zunehmend über verschiedene „Filterboards“ versucht wird, den Zugang zu innovativen Therapien zu reglementieren. Ich glaube, dass man sich stattdessen überlegen muss, wie und über welche Modelle die Finanzierung für innovative Therapien, die ja in der Regel immer teurer werden, sicherzustellen ist. Es muss uns etwas wert sein, in diesen Bereich der innovativen Medizin zu investieren!

Zunehmend wird auch in Österreich über gerechten Zugang zu Therapien diskutiert und vor Rationierung gewarnt – oft noch unter vorgehaltener Hand …

In einem hochentwickelten Gesundheitssystem wie dem unseren – mit exzellenten Outcomedaten auch im Benchmarking mit anderen europäischen Ländern – müssen wir daran arbeiten, dass es weiterhin den Zugang zu wirksamen Therapien gibt und dass nicht „Instrumente“ genutzt werden, die am Schluss schädlich für die PatientInnen sind. Denn um die geht es! Jeder, der krank wird, will die im Moment beste verfügbare Medizin bekommen. Man muss daher sehr vorsichtig sein, damit dieses hohe Gut der Verfügbarkeit wirksamer Medikamente gesichert wird. Hier geht es auch darum, Ärztinnen und Ärzte, die diese Medikamente anwenden, qualitativ hochwertig auszubilden. Denn nur der/die exzellent ausgebildete Experte/Expertin kann kostenintensive Medikamente sinnhaft einsetzen. Daher ist die Ausbildung und Nachwuchsförderung ein Kerninstument, um Qualität im Gesundheitssystem zu sichern, auch Qualität im Ressourcenumgang. Sehr kritisch sehe ich, wenn Regelmechanismen eingeführt werden, wo NichtexpertInnen oder sogar NichtmedizinerInnen darüber (mit-)entscheiden, welche Therapien (auch im Einzelfall) wie bewertet werden sollen.

Bei den einzelnen Krankenhausträgern gibt es ja schon solche „Instrumente“ oder „Boards“. Passiert damit nicht de facto schon eine gewisse länderspezifische Rationierung?

In Tirol haben wir keine Reglementierung in dieser Form. Aber in anderen Regionen ist das anders geregelt. Hier müssen wir uns entschieden für eine transparente Regelung und auch Gerechtigkeit hinsichtlich des Zugangs zu Medikamenten einsetzen. Ich sehe es als unsere Aufgabe als Hämatoonkologen der großen Kliniken, wie Salzburg, Graz, Wien, Linz und Innsbruck, gemeinsam die Stimme gegenüber der Politik zu erheben, um hier transparente und sehr stark medizinisch und nicht ausschließlich ökonomisch getriebene Regelsysteme einzusetzen. Natürlich ist es aber essenziell, darüber nachzudenken, wie man Therapienutzen definiert. Dieser Diskurs muss aber unter Einbindung der medizinischen ExpertInnen geführt werden, wie auch die Diskussion, mit welchen zukunftsgerichteten Finanzierungsmodellen der Zugang zu innovativen hochpreisigen Therapien sichergestellt werden kann.

Vielen Dank für das Gespräch!