ECCMID 2012 – Neues Problemfeld: multiresistente Gramnegative

Obwohl auch zu den Themen resistente Kokken, C.-difficile-Infektionen und invasive Mykosen in Hinblick auf Therapeutika wenig Neues zu berichten war, wurden diese Themen durch das „Engagement“ der Pharmaindustrie belebt. Schwerpunkt in Hinblick auf Epidemiologie, Prävention und Therapie waren aber sicher die Infektionen durch gramnegative Erreger.

Multiresistente Erreger haben auch Österreich erreicht: Das Poster 1634 präsentiert die Daten der Grazer Hygienegruppe (H. Galler et al.), die 11 Proben aus Kläranlagen genommen und auf das Vorkommen multiresistenter Erreger untersucht haben. Die Resultate sind ernüchternd: in 100 % der Proben lassen sich E. coli mit Resistenz gegen Cephalosporine aller Art (sog. ESBL-Bildner) nachweisen, in 90 % ESBL-bildende Klebsiellen, in 30 % Vancomycin- resistente Enterokokken und in 1 von 5 Proben Methicillin-resistente Staphylokokken (sog. MRSA), halb Spital-MRSA (HA-MRSA), halb ambulante MRSA (CA-MRSA).

Langzeitbesiedelung mit ESBl-Bildnern: Im Gegensatz zu den Patienten, die mit MRSA besiedelt oder infiziert sind, gibt es ja bis heute keine Möglichkeit, mit ESBL-bildenden Keimen besiedelte Patienten zu dekontaminieren: im Poster 1673 berichtete L. Papst über Langzeituntersuchungen bei Patienten, an denen ESBL-Bildner nachgewiesen waren; von 33 Patienten konnten die Erreger nach 6 (!) Monaten immer noch bei der Hälfte, nach 1 Jahr bei jedem Dritten nachgewiesen werden. 40 % der Langzeitbesiedelten hatten einen transurethralen Dauerkatheter, 30 % eine PEGSonde und weitere 30 % chronische Wunden. Gerade dieses Besiedeltsein über lange Zeit macht es so schwierig, für diese Patienten adäquate Hygienemaßnahmen zu definieren; verkompliziert wird die Angelegenheit durch den sich immer weiter erstreckenden Kreis der ESBL-Verdächtigen, da ja Hygienemaßnahmen am besten präventiv zu ergreifen sind. Neben denjenigen, an denen schon einmal ESBLBildner nachgewiesen wurden, zählen auch Familienmitglieder von ESBL-Patienten und – eine tatsächlich unüberschaubar große Gruppe von Menschen – Leute nach Auslandsreisen in „Endemiegebiete“ (Mittelmeer-Anrainerstaaten wie Griechenland und Türkei, Ferner Osten wie Indien, Pakistan) zu den potenziell mit ESBL-Bildnern Besiedelten (J. R. Zahar, Meet-the-Expert- Sitzung). Den wahrscheinlich wesentlichsten Unterschied – und davon werden dann die notwendigen Hygienemaßnahmen abhängen – machen die unterschiedlichen Erregerprofile: ESBL-bildender E. coli findet sich in einer Konzentration von 109/g im Stuhl, Klebsiellen mit 104. E. coli kann als endogener Keim gesehen werden und ist für außerhalb des Spitals erworbene gramnegative Infektionen hauptverantwortlich, während Klebsiellen im Spital leicht übertragbar sind und daher typischerweise für Spitalsinfektionen verantwortlich sind. Keimquelle bei Infektionen durch E. coli ist daher der eigene Gastrointestinaltrakt, während Klebsiellen zumeist vom Bettnachbar stammen; ein Grund mehr, Patienten mit ESBL-bildenden Klebsiellen im Einzelzimmer abzusondern.

Renaissance der Aminoglykoside?
Das Aufkommen der Infektionen durch letztlich „omniresistent“ gewordene Gramnegative hat andererseits das Interesse an Antiinfektiva wiedererweckt, die z. T. vor Jahren aus dem Gebrauch genommen wurden (Polymyxine) oder einfach „aus der Mode gekommen sind“ (Aminoglykoside). W. A. Craig, Pharmakologe, hat sich die Mühe gemacht, den aktuellen Wissensstand zum Thema Aminoglykoside aufzuarbeiten. Wesentliche Parameter für die Effizienz einer Aminoglykosidtherapie sind der Spitzenspiegel (> 8–10 μg/ml) oder die Dosis in 24 Stunden (AUC > 110-Fache) im Vergleich zur Hemmkonzentration. Damit ergibt sich als wesentliche Indikation die Behandlung von Harnweginfektionen, Infektionen anderer Lokalisation sollten keine Indikation für Aminoglykoside mehr sein, weil eben diese PK/PD-Werte außerhalb des Harntraktes nicht erreichbar sind. In der Behandlung von Infektionen des Harntrakts sind Aminoglykoside als Monotherapeutika anderen Antiinfektiva ebenbürtig (Vidal et al., JAC 2007; 60:247), in anderen Indikationen unterlegen. Inwieweit Aminoglykoside einen Stellenwert als „erweitertes Spektrum“ in der Kombinationstherapie haben, ist umstritten. Richtig ist sicherlich, dass bei Patienten mit „omniresistenten“ Erregern Aminoglykoside oft die einzig verfügbaren Wirksubstanzen sein können (Kumar et al., Crit Care Med 2010 – 33 % der Erreger nicht im Wirkspektrum bei Monotherapie, dagegen nur 8 % falsch bei Kombination mit Aminoglykosiden). Im Gegensatz zu den Polymyxinen – Colistin – sind die PK/PD-Informationen über Aminoglykoside bekannt und Spiegelbestimmungen können helfen, die Therapie zu steuern. Auch auf die Frage, ob man Aminoglykoside 1-mal oder 3-mal täglich verabreicht, zeichnet sich eine Antwort ab: in Hinblick auf die klinische Wirksamkeit lässt sich kein signifikanter Unterschied nachweisen, die Toxizität der Einmalgabe ist allerdings geringer; dieser Unterschied beschränkt sich allerdings auf die ersten 5–7 Therapietage, Aminoglykoside sollten daher – wenn möglich – nicht länger gegeben werden. Inwieweit tatsächlich eine Renaissance der Aminoglykoside zu erwarten ist, bleibt offen.

Neue Bedeutung für Colistin: Die gegen fast alle Antiinfektiva resistent gewordenen Spitalskeime Pseudomonas und Acinetobacter haben einem Antibiotikum, Colistin, zu neuer Bedeutung verholfen. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang nicht nur die rezenten PK-Daten dieser Substanz, sondern auch die publizierten Kombinationen mit dieser Substanz: Colistin zusammen mit Fosfomycin, Minocyclin, Rifampicin wie auch die Kombination von Betalaktamen wie Cefepim und Piperacillin/ Tazobactam, Ertapenem und Doripenem/ Imipenem/Meropenem (!) und als Novität: Colistin mit Vancomycin oder Daptomycin! Der Umstand, dass Antiinfektiva wie Vancomycin, die nach herkömmlichem Verständnis eigentlich nur gegen grampositiven Erreger wirksam sein sollten, in Kombination mit Colistin jetzt eine Option zur Therapie von resistenten Nonfermentern sein sollen, ist sicher interessant.

Gibt es überhaupt keine therapeutischen Novitäten? CXA-201 wird ein Cephalosporin mit erhöhter Pseudomonas-Aktivität sein, allerdings auch nicht ESBL-stabil (d. h. = Ceftazidim plus ein paar Resistente). Darüber hinaus sind es Laktamase-Hemmer, für die sich die Industrie interessiert: Avibactam, Monosulfactam, MK-7655 etc.

Unnötiger Antibiotikaeinsatz im niedergelassenen Bereich als Resistenzmotor: Abgesehen vom Umstand einer steigenden Inzidenz von Cephalosporin- (Cefuroxim, Cefixim, Cefpodoxim) und Chinolon-resistenten (Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin) Enterobakterien ist die Frage, inwieweit die antiinfektive Therapie im niedergelassenen Bereich diese Entwicklung begünstigt, sicher interessant. Eine Studie, die in Griechenland, dem Land mit dem europaweit höchsten Verbrauch an Antibiotika im niedergelassenen Bereich, durchgeführt wurde, ging der Frage der Verordnungsgewohnheiten nach (I. Kasarolis). Im Jahr 2009 wurde von 1.200 niedergelassenen Ärzten, 2/3 davon Internisten, klinische Szenarien beurteilt: bei einem 45-jährigen Mann mit Halsweh und Husten hätte immerhin jeder 5. Arzt ein Antibiotikum, typischerweise ein Makrolid für 5–7 Tage verordnet; bei einer 38-jährigen Frau mit „Eiterstippchen“ auf den Tonsillen bereits 40 %. Bei einem Patienten mit Rhinitis, Cephalea und Husten würden nur 50 % der Befragten ein Antibiotikum prinzipiell ablehnen und über 90 % würden bei einem Patienten mit exazerbierter chronischer Bronchitis auf jeden Fall ein Antibiotikum empfehlen. Die Hälfte der Ärzte erklärte, bei der Diagnose Pneumonie immer 2 Antibiotika, typischerweise ein Makrolid in Kombination mit Amoxicillin/Clavulansäure, zu verordnen. Fazit der Autoren war, dass auch triviale Symptomatik, wie Rhinitis oder Husten zur Verordnung von Antibiotika führt, wobei 90 % der Ärzte angaben, sich von den Patienten zur Antibiotikagabe gedrängt zu fühlen.
Einen anderen Ansatz wählte eine Arbeitsgruppe um Cortoos P. Sie erhoben die gesetzlichen Vorschriften zum Krankenstand in den europäischen Ländern. Sie gingen der Hypothese nach, dass in Ländern, in denen der Erkrankte am ersten Tag des Krankenstandes einen Arzt zum Erhalt einer Bestätigung aufsuchen muss, entsprechend höhere Raten an Antibiotikagaben die Folge sind, und konnten tatsächlich eine derartige Korrelation nachweisen.
Zusammenfassend ist anzunehmen, dass die Idee des „antibiotic stewardship“, die sich in vielen Spitälern durch Etablierung von Antibiotika- beauftragten Ärzten bereits durchgesetzt hat, sich auch im niedergelassenen Bereich als notwendig erweisen wird. Erziehung der Patienten, Fortbildung, Therapie nach Guidelines sowie Audits beim Verordner werden die wichtigsten Maßnahmen zur Reduktion unnötiger Antibiotikagaben werden.