Editorial 10/19

Dynamische Entwicklung der Gastroenterologie & Hepatologie

20 Jahre UNIVERSUM INNERE MEDIZIN – ein guter Zeitpunkt, um auch die Entwicklungen der letzten 20 Jahre auf dem Gebiet der Gastroenterologie und Hepatologie Revue passieren zu lassen. Die Entdeckung des Bakteriums Helicobacter pylori hat die pathogenetischen Konzepte, die diagnostischen Möglichkeiten sowie die Therapieoptionen zahlreicher Erkrankungen des oberen Verdauungstraktes wie der gastroduodenalen Ulkuskrankheit, des Magenkarzinoms und MALT-Lymphoms und auch einiger extragastrointestinaler Erkrankungen revolutioniert. In den letzten Jahren kam es jedoch zu einer deutlichen Zunahme von gegen Clarithromycin und/oder Levofloxacin resistenten Helicobacter-Stämmen. Diese zunehmende Resistenzrate ist bei der Wahl des Eradikationsschemas zu berücksichtigen.

Die Protonenpumpenhemmer (PPI) haben einen Siegeszug um die ganze Welt angetreten. Viel ist über die Nebenwirkungen der PPI geschrieben worden. Heute werden PPI wahrscheinlich viel zu leichtfertig und zu oft verordnet, sie sind fast schon Lifestyle-Medikamente geworden. Bei klarer Indikationsstellung überwiegt der Nutzen einer PPI-Therapie eindeutig, wie bei gastroösophagealer Refluxkrankheit, peptischem Geschwür, Helicobacter-Eradikation und Magenschutz bei NSAR-Einnahme und Vorliegen von Risikofaktoren.

Ein weiterer großer Durchbruch ist in der antiviralen Therapie gelungen, ist doch knapp 30 Jahre nach Entdeckung des Hepatitis-C-Virus die chronische Hepatitis C bei fast allen Patienten in 8–12 Wochen heilbar – und zwar praktisch ohne Nebenwirkungen. Eine zentrale Frage ist, wie wir alle Hepatitis-C-Fälle identifizieren (nach wie vor eine beträchtliche Dunkelziffer), damit alle Patienten von den neuen Therapieoptionen profitieren können. Die Hepatitis B und D stellt uns noch vor größere Herausforderungen, die Hepatitis E gewinnt als Zoonose zunehmend an Bedeutung. In der Therapie der Hepatitis B gelingt mit den derzeit verfügbaren Medikamenten eine sichere und effektive Suppression der Virusreplikation, und wir stehen auch hier kurz vor Durchbrüchen in der Therapie, die vielleicht schon in nicht allzu ferner Zukunft eine dauerhafte Heilung erlauben werden.

Auch das Behandlungsarmamentarium der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) hat sich durch Biologika-Therapien (Anti-TNFTherapien wie Infliximab, Adalimumab, Golimumab; Integrinblocker wie Vedolizumab; Anti-IL-12- und IL-23-Antikörper wie Ustekinumab) und oral verabreichbare „small molecules“ (z. B. JAK-Inhibitoren wie Tofacitinib) dramatisch verbessert. Ein weiterer innovativer Ansatz ist die mesenchymale Stammzelltherapie von Analfisteln. Auch hier sind bereits weitere immunmodulatorische Ansätze absehbar, die Entwicklungspipeline für neue CED-Therapeutika ist sehr gut bestückt.

Die gastrointestinale Endoskopie hat im Bereich der diagnostischen und interventionellen Endoskopie eine rasante Entwicklung genommen, die nicht nur durch den technologischen Fortschritt in der Qualität der Endoskope und Bilder, sondern auch durch innovative interdisziplinäre Therapiekonzepte geprägt ist. Die reale Chromoendoskopie wurde von der virtuellen Chromoendoskopie abgelöst, die endoskopische Submukosadissektion gewinnt als Resektionsverfahren beim Magenfrühkarzinom und zunehmend auch im Ösophagus und Kolorektum unter Wahrung der onkologischen Qualitätsansprüche an eine R0-Resektion an Bedeutung. Die ul­traschallgeführte (EUS) Feinnadelaspiration dient zur Differenzierung unklarer Pankreasläsionen, die Vakuumtherapie stellt eine effiziente Wundbehandlung bei z. B. postoperativen Anastomosenproblemen und Fisteln mit Abszessen dar. EUS-gesteuerte Eingriffe an den Gallenwegen und neue interventionelle Verfahren wie die perorale endoskopische Myotomie (POEM) des Ösophagus und des Magens (G-POEM) gewinnen ebenfalls an Bedeutung. Wichtig für die Entwicklung der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie und damit auch für die der Endoskopie war zweifelsfrei der im Jahr 1998 unter der Präsidentschaft von o. Univ.-Prof. Dr. Günter J. Krejs in Wien stattfindende weltgrößte Gastroenterologen-Kongress (11th World Congress of Gastroenterology): Prof. Krejs gilt zu Recht auch als einer der Gründungsväter der heutigen UEG und wurde unter anderem dafür auch mit dem UEG Lifetime Achievement Award 2016 ausgezeichnet.

Abschließend haben wir für Sie noch die Highlights der diesjährigen United European Gastroenterology Week zusammengefasst. Insgesamt war neben dem „hot topic“ Mikrobiom auch ein Anstieg in den Präsentationen zum kolorektalen Karzinom, Pankreaskarzinom, zu den CED, zur Fettlebererkrankung und zum hepatozellulären Karzinom sowie in der Endoskopie zu verzeichnen. Unter anderem ist die Polypektomie mittels kalter Schlinge weiter auf dem Vormarsch. Die Vorsorgekoloskopie ist nach wie vor ein Dauerbrenner, trotz der vergleichsweise geringen absoluten Inzidenzraten steigen die relativen Inzidenzraten junger Patienten mit kolorektalem Karzinom stark an und wird zunehmend ein Thema.

Insgesamt zeigt diese Zusammenstellung eindrucksvoll die dynamische Entwicklung der Gastroenterologie und Hepatologie, die sich aufgrund der beträchtlichen Fortschritte in der Diagnostik, individuellen Prognoseerstellung und Therapie immunologischer, virologischer, metabolischer und onkologischer Erkrankungen bereits zu einer wichtigen Domaine der personalisierten Medizin entwickelt hat.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen und Anregungen zum Nachdenken bei der Lektüre dieses Focus!