Editorial

Sehr geehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen!

 

Anlässlich der inhaltlichen Zusammenstellung des Sonderheftes „Biologika-Therapien“ habe ich als Chefredakteur von UNIVERSUM INNERE MEDIZIN in die Vergangenheit geblickt, mir aber auch einige Gedanken bezüglich zukünftiger therapeutischer Optionen gemacht.

Wie alles begann …

Im Jahre 1988 wurde der monoklonale Antikörper Infliximab, welcher die biologische Aktivität von Tumor-Nekrose-Faktor Alpha (TNF-α) hemmt, erstmals zur Behandlung der aktiven rheumatoiden Arthritis (RA) zugelassen. Einige Jahre später folgte die Zulassung zur Behandlung des schweren aktiven Morbus Crohn, wenn mit anderen damals verfügbaren Therapien keine adäquate Therapiekontrolle erzielbar war. Die Behandlung mit Infliximab durfte nur unter der Leitung und Kontrolle eines spezialisierten Arztes erfolgen, der in der Diagnose und der Behandlung der RA bzw. entzündlicher Darmerkrankungen speziell erfahren war. Besonders problematisch erschien in den ersten Jahren des Einsatzes von Infliximab die Reaktivierung von latenter Tuberkulose, da TNF-α augenscheinlich für das Aufrechterhalten hemmender Granulome mitentscheidend war. Aus medizinischer Sicht sorgte man sich weiters um anaphylaktische Reaktionen, um die Entwicklung hemmender Antikörper und um ein potenziell erhöhtes Malignom-Risiko.

Hauptlimitierend für den Einsatz dieses ersten Antikörpers für durchaus nicht seltene Krankheitsbilder war aber der Preis, der anfänglich – und auch für weitere viele Jahre – bei Jahrestherapiekosten von über 10.000 Euro pro Patient lag. Als ich im Jahr 2007 intensiver mit der Rheumatologie befasst wurde, waren zu diesem Zeitpunkt neben dem intravenösen Präparat Infliximab zwei weitere TNF-α-Blocker als subkutane Applikationsformen verfügbar, zwei weitere subkutane TNF-α-Blocker standen unmittelbar vor Zulassung, zudem der anfangs nur intravenös zu verabreichende Co-Stimulationshemmer Abatacept und das aus der Onkologie übernommene Rituximab, welches hemmend auf B-Zellen wirkt. Zu erwähnen ist zudem der IL-1-Blocker Anakinra (der bei RA nur mäßig wirkte) sowie das im Jahre 2008 zugelassene Tocilizumab, ein Blocker von IL-6 in der Indikation RA. Seit 2008 wurden zwar mit Ausnahme des IL-6-Blockers Sarilumab keine neuen monoklonalen Antikörper zur Behandlung der RA zugelassen, aber die therapeutische Revolution verlagerte sich zunehmend in den Bereich der Psoriasisarthritis und axialen Spondylarthropathie (inklusive Morbus Bechterew), wo mittels Hemmung von IL-17, IL-12 und IL-23 durch unterschiedliche monoklonale Autoantikörper eindrucksvolle therapeutische Effekte erzielt werden können.

… und wie es weitergehen könnte

Wie sieht nun die mögliche Zukunft der sogenannten Biologika-Therapien aus?

Am Beispiel der Rheumatologie ist abzulesen, dass sich die Kosten für diese Therapieform durch den Patentablauf und durch den Markteintritt von „Biosimilars“ bei manchen Indikationen mehr als halbiert haben. Insbesondere der Patentablauf von Infliximab, Adalimumab und Etanercept, welche zuvor weltweit zu den umsatzstärksten Präparaten der Zulassungsinhaber zählten, hat diesbezüglich einen ökonomischen „Erdrutsch“ ausgelöst. Die Kosten für diese „Goldstandards“ in der immunologischen Therapie sind zumindest in Österreich auf unter 5.000 Euro pro Patient und Jahr gefallen. Nach Erstverschreibung durch einen jeweils spezialisierten Facharzt bzw. ein spezialisiertes Zentrum können diese Substanzen aus der „Grünen Box“ von Allgemeinmedizinern uneingeschränkt weiterverordnet werden, was den Zugang für Patienten im Alltag deutlich erleichtert, aber die Motivation für regelmäßige rheumatologische Kontrollen zur Überprüfung der Effektivität (Stichwort: „Treat-to-Target“) und Sicherheit sinken lässt.

Auch mögliche Neuentwicklungen von Biologika gegen andere spezifische Ziele in der RA-Therapie werden sich an diesem doch deutlich gesenkten Preisniveau orientieren müssen. Allerdings erscheint der klare Nachweis der therapeutischen Überlegenheit eines neu zu entwickelnden Antikörpers gegenüber der etablierten Konkurrenz – zumindest im Bereich der RA – schwierig. Zudem haben sich in den letzten Jahren auch sogenannte zielgerichtete synthetische Disease-modifying anti-rheumatic drugs (tsDMARDs) mit entsprechenden Zulassungen etabliert (z. B. im Bereich der Rheumatologie die Januskinase-Inhibitoren), die als „small molecules“ in Tablettenform oral eingenommen werden und deutlich geringere Kosten bezüglich Produktion und Logistik nach sich ziehen, wodurch sie sich quasi gleich nach Markteinführung auf dem Preisniveau biosimilarer Biologika-Präparate positionieren konnten. Laut vorliegenden Head-to-Head-Studien ist die Effektivität zumindest gleichwertig, in Teilanalysen sogar stärker als jene der „Goldstandard“-Biologika. Die Langzeit-Sicherheit ist aber noch weniger klar und möglicherweise präparatespezifisch unterschiedlich (Stichwort: Thromboseneigung und Neoplasie-Erhöhung). Ein pathophysiologischer bzw. pharmakologischer Nachteil dieser Januskinase-Inhibitoren mag dabei sein, dass sie nie so „punktgenau“ wie ein monoklonaler Antikörper das therapeutische Ziel treffen (Näheres dazu im Beitrag von Kollegen Scheinecker).

Auch in der Gefäßmedizin kommen bezüglich Lipidsenkung spezielle monoklonale Antikörper zum Einsatz, welche das PCSK9-Enzym in der Leber hemmen und somit zu einer Reduktion der LDL-Cholesterin-Konzentration um 50 bis 60 % des jeweiligen Ausgangswertes führen (auch zusätzlich zu einer ausgeschöpften oralen lipostatischen Therapie). Die besonderen Einsatzgebiete werden im vorliegenden Sonderheft von Kollegen Auer brillant dargestellt. Nachdem der Rechtsstreit um das Patent zwischen den Firmen Amgen und Sanofi per Gerichtsbeschluss beendet wurde und somit in Zukunft sowohl der PCSK9-Inhibitor Evolocumab als auch Alirocumab am Markt zur Verfügung stehen werden, bleibt ihre Zukunft unklar, da Ende 2020 das Präparat Inclisiran (Novartis) in der EU zugelassen wurde. Diese Substanz verwirklicht ein neues Therapieprinzip: mittels „RNA-Silencing“ wird die Produktion von PCSK9 in der Leber temporär ausgeschaltet, die Wirkstärke ist vergleichbar mit der von monoklonalen PCSK9-Antikörpern. Dabei muss die Therapie nach der zweiten Spritze (ab dem dritten Monat) nur halbjährlich subkutan durch einen Angehörigen der Gesundheitsberufe verabreicht werden, und das Präparat wird aufgrund der günstigeren Herstellung und Logistik die derzeitige Preissituation der Antikörpertherapie unterbieten. Kardiovaskuläre Endpunkt- und Sicherheitsstudien mit dieser Substanz sind derzeit noch im Laufen.

Abschließend möchte ich noch bei der vaskulären Medizin verweilen, wo durch den Einsatz antiinflammatorischer Wirkprinzipien kardiovaskuläre Ereignisse bei Hochrisikopatienten reduziert werden konnten. Ich verweise dabei auf den Beitrag von Kollegin Rech und Kollegen Rainer in diesem Sonderheft. Besonders heiß diskutiert wurde die CANTOS-Studie mit dem IL-1-Blocker Canakinumab, der derzeit bei bestimmten familiären Fiebersyndromen (Autoinflammationssyndrome) und bei der therapierefraktären Gicht zugelassen ist. Aufgrund kolportierter Jahrestherapiekosten von bis zu 100.000 Euro und mehr ist der therapeutische Einsatz auf selektierte Patienten reduziert. Ob der Zulassungsinhaber Novartis tatsächlich noch eine kardiovaskuläre Zulassung für Canakinumab anstrebt, ist aus meiner Sicht zweifelhaft, da jüngst publizierte Studien mit Colchicin als antiinflammatorischer Therapie vergleichbare kardiovaskuläre protektive Effekte gezeigt haben. Eine Indikation bzw. Zulassung für Colchicin für den kardiovaskulären Einsatz besteht derzeit (noch) nicht, die dafür auflaufenden Kosten wären bei einem nicht patentgeschützten Präparat aber überschaubar.

Weitere spannende therapeutische Einsatzfelder für monoklonale Antikörper bestehen in den Bereichen Asthma bronchiale (Kollege Renner und Kollege Pohl), chronisch entzündliche Darmerkrankungen (Kollege Haas), Migräne (Kollege Wöber) und Osteologie (Kollege Muschitz). Es wird also spannend, was die nächsten 20 Jahre „Biologika“ in der Medizin noch bringen werden (oder auch nicht).

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß bei der Lektüre dieses Sonderheftes und verbleibe mit freundlichen Grüßen