Das Verständnis gastrointestinaler Tumoren hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten teilweise grundlegend verändert. Während bei einigen Krebsarten weiterhin die Chemotherapie im Vordergrund steht, nehmen Biologika und genetische Diagnostik in der Onkologie zunehmend Platz ein. UNIVERSUM INNERE MEDIZIN sprach mit Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Gerald Prager (Klinische Abteilung für Onkologie, Universitätsklinik für Innere Medizin I, Medizinische Universität Wien) über die Entwicklungen in der gastrointestinalen Onkologie.
Bevor Biologika in die Tumortherapie Eingang gefunden haben, waren aggressive Chemotherapien vorherrschend, die nach dem Prinzip „one fits all“ verabreicht wurden. In den letzten Jahren hat eine Entwicklung in Richtung maßgeschneiderte Therapie eingesetzt.
Eine Vorreiterrolle für biologische Therapien nahm zweifelsohne das Management des metastasierten Kolorektalkarzinoms (mCRC) ein. Hier ist an erster Stelle die Antikörpertherapie gegen den Angiogenesefaktor VEGF mit Bevacizumab in der Erstlinie zu nennen. In der Zweitlinientherapie kommen neben Bevacizumab auch Aflibercept und Ramucirumab hinzu. Darüber hinaus stehen für die Behandlung in der Drittlinie der Tyrosinkinase-Inhibitor Regorafenib zur Verfügung, der ebenso die Angiogenese beeinflusst.
Eine weitere Strategie greift unmittelbar den EGF-Rezeptor auf Tumorzellen an. In Kombination mit Chemotherapie zeigen sich die Anti-EGFR-Antikörper (Cetuximab, Panitumumab) v. a. bei metastasierten Tumoren mit linksseitigem Primum als überlegen aktiv. Allerdings muss das Vorliegen eines in ca. der Hälfte der Fälle bestehenden Resistenzmechanismus durch eine RAS-Mutation im Tumor zunächst ausgeschlossen werden.
Lokalisation des Primärtumors: Eine interessante Beobachtung ist auch, dass – wie oben kurz erwähnt – die Lokalisation des Primärtumors (links- oder rechtsseitig) für Prognose und Therapie einen wichtigen Faktor darstellt. So hat der Ursprung des Tumors auch einen Einfluss auf das Ansprechen auf eine Therapie gegen den EGF-Rezeptor.
Nähere Subtypisierung des mCRC: Das CRC ist biologisch sehr gut erforscht, auch im Bereich der Tumor-Subtypisierung. Bekannt sind v. a. RAS-, BRAF-Mutationen, aber auch die Mikrosatelliten-Instabilität (MSI) und seltene Veränderungen wie HER-Amplifikation und NTRK-Fusionen, gegen die es mittlerweile auch zielgerichtete Therapien gibt. Lag die Prognose des metastasierten CRC in den 90er-Jahren noch bei durchschnittlich 9 Monaten, überleben Betroffene heute durchschnittlich mehr als 30 Monate.
Echte Meilensteine in der Behandlung der gastrointestinalen Tumoren waren die Einführung biologischer Therapien gegen Angiogenese sowie den EGF-Rezeptor und auch die Erkenntnis, dass die Mismatch-Repair-(MMR-)Defizienz der zuverlässigste Biomarker für Immuntherapien, unabhängig vom Tumorursprung, ist und als tumoragnostischer Marker bewiesen werden konnte. Eine wichtige Rolle spielt auch das Tumor-Microenvironment, also die unmittelbare Tumorumgebung. Sie ist in therapeutische Überlegungen miteinzubeziehen, um so die Effektivität der Chemotherapie zu steigern.
Durch molekularpathologische Testverfahren lassen sich molekulare Aberrationen identifizieren und unter Umständen als Therapieziel definieren. Doch nicht jede Mutation, die ein Karzinom hervorbringt, stellt ein geeignetes therapeutisches Ziel dar. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass verschiedene Tumorentitäten mit derselben molekularpathologischen Aberration (z. B. BRAF) unterschiedlich auf die gleichen Therapeutika reagieren können.
Auch bei anderen Tumorentitäten spielen Tumorbiologie und Immuntherapie eine zunehmend große Rolle. Darauf wird in der Folge eingegangen.
Letztlich zeigte aber auch das neue Fluoropyrimidin Trifluridin/Tipiracil als orales Chemotherapeutikum, dass innovatives Medikamentendesign in Zeiten der Biologikatherapien wirksam und gut verträglich sein kann.
Für Patienten mit Magenkarzinom gibt es mittlerweile drei Therapielinien, wobei die Chemotherapie nach wie vor die wirksamste Option darstellt. Allerdings weisen rezente Daten darauf hin, dass eine alleinige Immuntherapie, zumindest bei Patienten, die PD-L1 („programmed cell death ligand 1“) exprimieren, zu ähnlich guten Ergebnissen führt. In der Zweitlinie ist die Anti-VEGF-R2-Therapie mittels Ramucirumab schon länger etabliert, entweder allein oder bei Taxan-naiven Patienten in Kombination mit Taxanen. Ein neuer Drittlinien-Standard ist die Kombination Trifluridin/Tipiracil, wie rezent die Phase-III-Studie TAGS zeigte. In den USA ist diese Therapie bereits zugelassen und in Europa demnächst zu erwarten. Die gestiegene Lebenserwartung macht sich beim Magenkarzinom vor allem dadurch bemerkbar, dass immer mehr Patienten eine Drittlinientherapie erhalten bzw. überhaupt erleben.
Das metastasierte Pankreaskarzinom weist weiterhin eine schlechte Prognose auf. Das mittlere Überleben liegt mittlerweile bei 12 Monaten. Das erscheint kurz, ist aber eine Vervierfachung der Überlebenszeit von nichttherapierten Patienten. Mittlerweile stehen zumindest zwei Standardtherapielinien und auch eine Drittlinienoption zur Verfügung. In aktuellen Studien gewinnt die Berücksichtigung des Tumor-Microenvironments in der Therapie an Bedeutung. Auch hier werden molekulare Subtypisierungen vorgenommen; so konnten bei BRCA-Mutationen bereits erfolgreich PARP-Inhibitoren zum Einsatz gebracht werden.
Beim Gallengangskarzinom oder cholangiozellulären Karzinom finden sich gehäuft BRAF-Mutationen, aber auch Tumoren mit Mikrosatelliteninstabilität sowie NTRK- und FGFR-Fusionen. Aktuell laufende Studien haben teilweise bereits bewiesen, dass auch hier eine zielgerichtete Therapie sinnvoll ist. Das bedeutet, dass beim nichtresektablen Cholangiokarzinom ein molekulares Profil erstellt werden soll, um ggf. BRCA-Aberrationen und MSI nachzuweisen. Diese Mutationen haben klinische Relevanz, denn beim Vorliegen einer BRCA-Mutation können z. B. PARP-Inhibitoren therapeutisch eingesetzt werden.
Beim hepatozellulären Karzinom (HCC) gab es sehr vielversprechende Arbeiten zur Immuntherapie, allerdings haben sich die Erwartungen nicht in vollem Umfang erfüllt. Dennoch stehen mittlerweile 4 verschiedene Tyrosinkinasehemmer und der Antikörper Ramucirumab für eine Subgruppe von Patienten zur Verfügung.
Die Erfolge, die die Weiterentwicklung der Krebstherapie mit sich bringt, sind auch messbar. So zeigen die Daten von EUROCARE-5, dass Österreich europaweit unter den Ländern mit der höchsten 5- und 10-Jahres-Lebenserwartung bei Krebserkrankungen ist. Der Zugang zu innovativen Therapien muss weiterhin gewährleistet sein, um diese erfreuliche Situation beibehalten zu können.
Tumoren „heiß“ machen: Eine spannende Entwicklung zeichnet sich in rezenten Studien ab, die zeigen, dass durch den Einsatz bestimmter Tyrosinkinasehemmer sogar immunkalte, MMR-stabile Tumoren „heiß“ und damit einer Immuntherapie zugänglich gemacht werden können. Somit schafft man eine weitere Therapiemöglichkeit.
Mithilfe sogenannter Liquid Biopsies kann Tumor-DNA aus verschiedenen Körperflüssigkeiten wie Serum, Plasma, aber theoretisch auch aus dem Urin gewonnen werden. Der Nachweis dieser Tumorbestandteile dient nicht nur der eigentlichen Tumordiagnostik, für die in der Regel Gewebsbiopsien vorhanden sind, sondern soll v. a. zur Verlaufskontrolle, entweder in der Nachsorge oder während systemischer Therapien, herangezogen werden. Einige Studien weisen bereits darauf hin, dass Sensitivität und Spezifität dieser Verfahren sehr hoch und mitunter der klassischen Biopsie sogar überlegen sind. In weiterer Folge
könnten solche Verfahren auch das Nachsorgeregime verändern und theoretisch den Patienten Strahlenbelastung ersparen (z. B. als Ersatz für das CT).