Genderaspekte bei der Harninkontinenz

In Österreich leiden rund 1 Million Menschen an Harninkontinenz, davon 850.000 Frauen und 150.000 Männer. Die Häufigkeit von Harninkontinenz ist in jedem Lebensalter für Frauen größer als für Männer. In der Altersgruppe 70+ sind jede 3. Frau und jeder 6. Mann betroffen. Für das Jahr 2035 werden rund 1,8 Millionen Betroffene in Österreich prognostiziert.
Die Harninkontinenz ist weniger eine Krankheit als viel eher ein Symptom mit vielfältigen möglichen Ursachen. Zugrunde liegende Störungen anatomischer und neurologischer Funktionen führen zur Unterscheidung verschiedener Inkontinenztypen bzw. -formen, woraus sich zum Teil auch unterschiedliche therapeutische Möglichkeiten ableiten.

Inkontinenzformen: Besonders häufige Formen der Harninkontinenz sind die Drang- und Belas­tungsinkontinenz sowie eine Mischform der beiden (Tab. 1). Weitere Formen der Harninkontinenz sind die neurogene Harninkontinenz, Inkontinenz bei chronischer Retention und extrasphinktäre Inkontinenz. Eine in der Praxis sinnvolle Kategorie ist die als temporär bezeichnete Inkontinenz. Diese Art der Inkontinenz findet sich vor allem bei Älteren häufig. Gründe für eine vorübergehende Harninkontinenz lassen sich durch das Wort DIAPPERS zusammenfassen. Es steht für Delirium, HarnwegInfektion, Atrophe (mit Rückbildung der Schleimhaut verbundene) Harnröhrenentzündung/Scheidenentzündung, Psychogene Gründe, Pharmakotherapie, Exzessive Harnausscheidung, Restricted Mobilität und Stuhlmassen im Enddarm.

 

 

Warum sind Frauen häufiger betroffen?

Bei Männern ist die Dranginkontinenz in jedem Lebensalter die vorherrschende Inkontinenzform. Bei Frauen ist die Belastungsinkontinenz die häufigste Form der Blasenschwäche und weitaus öfter anzutreffen als bei Männern. Vor allem bei Frauen unter 50 Jahren ist eine reine Dranginkontinenz seltener als eine reine Belastungsinkontinenz.
Es gilt bei der Frau besondere Aspekte zu berücksichtigen. Zum einen ist das weibliche Becken aus evolutionsbiologischen Gründen größer, der muskuläre und bindegewebige Abschluss des Beckens nach unten ist demnach mechanisch vulnerabler. Die Muskelschichten des Beckenbodens sind zudem dünner als beim Mann. Jede Geburt bedeutet eine hohe Belastung mit potenzieller Schädigung der nervalen, bindegewebigen und muskulären Strukturen des Beckenausgangs. Dementsprechend sind bei der Frau Senkungen des Beckenbodens und der Beckenorgane häufiger. Bei älteren Frauen ist auch eine zunehmende intrinsische Sphinkterschwäche durch altersbedingte Degeneration quergestreifter Sphinkterfasern zu berücksichtigen.
Hinsichtlich der Dranginkontinenz der Frau können chronisch rezidivierende Harnweginfekte, Östrogenmangel und Detrusorüberaktivität ursächlich sein. Die Drangkontinenz kann auch Teil des so genannten Syndroms der überaktiven Blase (Overactive Bladder – OAB) sein, welches wiederum durch schwer unterdrückbaren Harndrang charakterisiert ist. In Österreich zählt die überaktive Blase etwa 830.000 Betroffene, davon 540.000 Frauen und 290.000 Männer.
Mit zunehmendem Lebensalter wird die Drang­inkontinenz auch bei Frauen die vorherrschende Inkontinenzform und wird bei vorher schon bestehender Belastungsinkontinenz dann zu einer Mischinkontinenz. Aktuelle Daten aus der populationsbasierten VITA-Studie mit geriatrischen Probanden (Alter: 85 Jahre ± 1 Jahr) zeigten, dass deutlich mehr Frauen von einer Harninkontinenz betroffen sind, dabei die Mischinkontinenz bei den weiblichen Probanden am häufigsten auftritt und bei Männern die Dranginkontinenz die vorherrschende Inkontinenzform darstellt.1

Geschlechtsspezifische Risikofaktoren

Hinsichtlich der Risikofaktoren für Harninkontinenz gibt es einige wichtige geschlechtsspezifische (Tab. 2). Bei Frauen konnte gezeigt werden, dass eine Adipositas aufgrund der Strapazierung des Beckengewebes einen Risikofaktor für Inkontinenz darstellt.
Medizinische Eingriffe etwa können, auch wenn sie korrekt indiziert und erfolgreich durchgeführt werden, als Nebenwirkung eine Harninkontinenz zur Folge haben. Im Jahr 2000 konnte in einer systematischen Metaanalyse gezeigt werden, dass durch eine Hysterektomie tatsächlich von einer deutlichen Risikoerhöhung für das (spätere) Auftreten einer Inkontinenz ausgegangen werden muss.2 Beim Mann kann eine Erkrankung der Prostata zur Inkontinenz führen oder aber auch eine Therapie wie z. B. eine radikale Prostatektomie. Das Alter gilt für beide Geschlechter als Risikofaktor, wenngleich viele mit dem Altern verbundene Risikofaktoren zumindest teilweise vermeidbar wären.

 

1 Wehrberger C. et al., BJU Int 2012 (in press)
2 Brown J.S. et al., Lancet 2000; 356:535-539