Opioide bei Nichttumorschmerz – Hohe analgetische Potenz bei fehlender Organtoxizität

Opioide bei Nichttumorschmerz

Opioide sind ohne Zweifel die potentesten Analgetika. Sie binden an Rezeptoren, welche über körpereigene Liganden (Endorphine) sowohl die Schmerzleitung als auch -wahrnehmung kontrollieren.

Nebenwirkungen: Aufgrund dieser Rezeptorspezifität haben Opioide im Gegensatz zu entzündungshemmenden Analgetika auch bei längerer Anwendung keine organschädigenden Nebenwirkungen. Nebenwirkungen wie Sedierung, Vigilanzminderung und Atemdepression sind üblicherweise erst bei Überdosierung zu erwarten, während Obstipation auch bei sorgfältiger Dosisabstimmung unvermeidlich ist. Weitere Nebenwirkungen sind Übelkeit, welche bei vielen Patienten nach längerer Anwendung meist abklingt, und Juckreiz, welcher von den meisten Betroffenen zwar als störend, aber tolerabel angesehen wird. Nicht zuletzt sei auch darauf hingewiesen, dass Opioide bei längerer insbesondere intrathekaler Anwendung die Testosteronsynthese hemmen, was Libidostörung bis Libidoverlust zur Folge hat.1

Fehlmeinung Sucht: Neben der analgetischen Komponente wirken Opioide auch angstlösend und euphorisierend, was insbesondere bei rasch anflutenden Substanzen wie Heroin suchtauslösend sein kann, wobei Letzteres grundsätzlich aber für alle Opioide gilt. Der neurobiologische Hintergrund der Suchtinduktion liegt unter anderem in einer Hemmung der Adenylzyklase und einer vermehrten somatodendritischen Dopaminfreisetzung, diese Veränderungen sind ausschlaggebend dafür, dass ein plötzliches Absetzen exogener Opioidzufuhr Entzugssymptome auslöst, die ihrerseits wieder ein Verlangen nach weiterer Opioidzufuhr induzieren.2, 3 Diese unerwünschte Nebenwirkung ist seit Jahrhunderten bekannt und wurde politisch missbraucht, indem durch illegalen Opiumimport nach China durch Großbritannien die politische Stabilität Chinas erschüttert werden sollte und dadurch die „Opiumkriege 1839–1860“ ausgelöst wurden. Diese historische Tatsache und Tausende von medizinisch ungenügend nachversorgten Verwundeten der Weltkriege, welche nach längerer Opioidexposition ohne Rücksichtnahme auf Entzugssymptome und ohne weitere ärztliche Betreuung aus den Lazaretten entlassen und als „Morphinisten“ zugrunde gingen, hat eine Phobie gegen die Verschreibung und die Einnahme von Opioiden ausgelöst und unterstützt, welche bis heute anhält. Obwohl ausreichend Literatur vorliegt, welche das Suchtinduktionsrisiko bei medizinisch indizierter Anwendung von Opioiden als minimal nachweist4, existieren bis heute auch bei Schmerzexperten Vorbehalte gegen die Anwendung von Opioiden bei nichttumorbedingten Schmerzzuständen, welche vor allem den so genannten „Hausarzt“ in ein Opioid-Verordnungs-Dilemma bringen, wobei es sich dabei, wie die Literatur zeigt, keineswegs um ein ausschließlich regionales „österreichisches“ Problem handelt.5
Hinzu kommt, dass man Opioiden generell die Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen aberkannt hat, eine medizinische Meinung, welche mittlerweile mehr als ausreichend widerlegt wurde.6–8 In gleicher Weise ging man lange davon aus, das Lokalanästhetika9, Nonopioide, nichtsteroidale Antiinflammatoria10 und Ketamin11, nicht aber Opioide Schmerzengrammierung und Chronifizierung unterbinden, eine Meinung, welche mittlerweile ebenfalls ausreichend widerlegt ist.12

Nicht zuletzt wurde auch die immunmodulierende Wirkung von Opioiden lange Zeit als nachteilig akzentuiert, auch diese Fehlmeinung aber zwischenzeitlich nachdrücklich ausgeräumt.13 Was blieb, ist die teils versteckt, teils aber auch offen geäußerte Unterstellung, Ärzte im niedergelassenen Bereich würden hinsichtlich des indikationsgerechten Einsatzes von Opioiden nicht tiefgreifend genug ausgebildet sein, was sich für die mit dieser Medikamentengruppe behandelten Patienten nachteilig auswirke. Eine solche nachteilige Auswirkung müsste jedoch statistisch greifbar sein, da schwere unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamenten zumindest dann, wenn sie eine Hospitalisierung erfordern, statistisch erfasst werden. Eben solche Daten zeigen aber, dass Opioide in dieser Hinsicht eine absolut untergeordnete Rolle spielen und nach NSAR 30 %, Diuretika 27 %, Gerinnungshemmern 10,5 %, ACE-Hemmern 7,7 %, Anti­depressiva 6,9 %, Betablockern 6,5 % mit 6,15 % eine untergeordnete Risikogruppe darstellen – umso mehr, als die Datenerhebung dieser prospektiven Studie illegale, suchtbedingte Einnahmen nicht berücksichtigt hat, welche bei den sonstigen angeführten Substanzen ja sicher auszuschließen ist14.

Ist tumorbedingter Schmerz anders?

Auf der Suche nach Argumenten, Opioide nur bei tumorbedingten Schmerzen einzusetzen, ist zunächst zu hinterfragen, wo denn der Unterschied zwischen tumorbedingten und nicht tumorbedingten Schmerzen liegt. Bösartige Tumoren sind expansiv und destruktiv wachsende Zellstrukturen, welche je nach Lokalisation durch Kompression von Muskeln, Nerven, Hohlorganen, Blutgefäßen etc. eine Noxe auslösen, welche Schmerzen verursacht. Sehr häufig liegen diese Ursachen sogar kombiniert vor. Ebensolche Ursachen finden wir aber auch bei so genannten benignen Ursachen wie degenerativen Veränderungen des Bewegungs- und Stützapparates, chronischen inflammatorischen Prozessen (rheumatische Erkrankungen), kurativ nicht mehr zugänglichen Pathologien der Wirbelsäule oder arteriellen Verschlusskrankheiten, um nur einige häufige Schmerzentitäten anzuführen. Trotz unterschiedlicher Genese (Tumor, Degeneration, Trauma) unterscheidet weder die Noxe an sich noch die Nozizeption zwischen tumorbedingten und nicht tumorbedingten „Gewebsläsionen“. Als marginal bedeutender Unterschied bestimmter, tumorbegleitender Schmerzen soll jedoch der Korrektheit halber die tumorassoziierte (selten schmerzhafte) Neuropathie nicht unerwähnt bleiben. Kurzum, tumorbedingter Schmerz unterscheidet sich weder in Intensität noch hinsichtlich nozizeptiver Mechanismen von anderen Schmerzursachen und stellt daher keine spezielle Indikation für den exklusiven Einsatz von Opioiden dar.

Überlegungen zum Einsatz von Opioiden

Wie bereits einleitend erwähnt, sind Opioide sehr potente Analgetika, welche über die Steuerung von Ionenkanälen direkt hemmend in die Nozizeption eingreifen. Im Gegensatz zu Cyklooxygenasehemmern haben sie keine antiinflammatorische und antipyretische Wirkung. Der alleinige Einsatz von Opioiden bei Schmerzen mit entzündlicher Komponente erscheint damit nicht sinnvoll. Andererseits konnte nachgewiesen werden, dass Opioide und Cyklooxygenasehemmer hinsichtlich zentraler Analgesie synerg wirken.15 In ähnlicher Weise zeigt auch die Kombination von Opioiden mit dem Nonopioid Paracetamol analgetischen Synergismus. Die logische Folge war, diesem Umstand durch die Bereitstellung von entsprechenden Präparaten Rechnung zu tragen, und so sind nunmehr Kombinationen von Tramadol/Paracetamol, Oxycodon/Paracetamol, Hydrocodon/Paracetamol, Oxycodon/Ibuprofen im Umlauf und evidenzgeprüft16, davon allerdings nur Tramadol/Paracetamol in Österreich verfügbar (und nicht kassenfrei).
Hervorzuheben ist, dass in den Zulassungstexten sowohl für Cyclooxygenasehemmer als auch für Nonopioide ausdrücklich festgehalten ist, diese Substanzen nur so kurz wie möglich einzusetzen, um das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen wie gastrointestinaler Blutungen, renaler Insuffizienz oder Leberschäden möglichst niedrig zu halten. Was aber, wenn die Schmerzursache kurativ nicht zugänglich ist oder die Wartezeit für die operative Sanierung eines degenerativen Skelettschadens mehrere Monate überschreitet? Hier wird die Langzeitbehandlung mit Analgetika wohl unvermeidlich sein, wobei Opioide im Gegensatz zu den Cyclooxygenasehemmern und Nonopioiden eben keine organschädigende Nebenwirkung entfalten, daher schon aus diesem Grund insbesondere bei chronischen Schmerzen der Einsatz von Opioiden jedenfalls indiziert ist und dementsprechend auch empfohlen wird17. Eine weitere unumgängliche Indikation ist die Schmerzintensität, da Opioide im Gegensatz zu Cyclooxygenasehemmern und Nonopioiden keinen so genannten „ceiling effect“ aufweisen18. Allerdings gilt es auch beim Einsatz von Opioiden, die Dosis so zu wählen, dass unerwünschte Nebenwirkungen wenig bis gar nicht auftreten. Nachdem insbesondere bei Schmerzzuständen mit neuropathischem Hintergrund die zugrunde liegende Pathologie sehr komplex sein kann, gelingt es selten, mit einfachen Kombinationen von Opioiden mit Cyclooxygenasehemmern und/oder Nonopioiden eine ausreichende und nebenwirkungsfreie Analgesie zu erzielen. Hier ist zweifellos die zusätzliche Gabe von Koanalgetika wie Antidepressiva, Antikonvulsiva7, ja sogar Cannabinoiden19 und/oder transdermalen Lokalanästhetika bzw. Capsaicin gefragt20. Zudem ist auch die Wahl des jeweiligen Opioids von Bedeutung, da im Gegensatz zur traditionellen Anschauung einige Opioide neben der µ-Rezeptor-Wirkung auch χ-Rezeptor-Wirkung (Oxycodon, Buprenorphin), Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung (Tramadol, Tapentadol, Pethidin), Serotonin-Wiederaufnahmehemmung (Tramadol, Pethidin), NMDA-Rezeptor-Hemmung (Methadon) und Nociceptin-Rezeptor-Wirkung (Buprenorphin) aufweisen.
Opioide dürfen nach längerer Anwendung keineswegs abrupt abgesetzt werden, ein häufig begangener Fehler nach erfolgreichen kurativen Maßnahmen (z. B. Gelenkschirurgie, Wirbelsäulenchirurgie), durch welche die Schmerzursache beseitigt wurde. Die heftigen Entzugssymptome treten dabei oft erst nach Entlassung aus dem Krankenhaus auf und werden als solche häufig nicht erkannt. Hervorzuheben ist, dass auch nach scheinbar gelungener Entwöhnung auch Spätentzugssymptome bis 6 Wochen nach Absetzen des Opioids auftreten können. Die Patienten müssen also explizit auf diese Möglichkeit hingewiesen werden. Auf die mögliche Beeinträchtigung der Sexualfunktion bei Langzeitverabreichung von Opioiden wurde bereits weiter oben hingewiesen.

ZUSAMMENFASSUNG: Opioide sind auch bei nichttumorbedingten Schmerzen indiziert21 und sind aus dem Armentarium des Arztes nicht wegzudenken. Die Vorteile der Opioide liegen in der hohen analgetischen Potenz und der fehlenden Organtoxizität. Wie bei allen Medikamenten ist auch bei Opioiden ein umfassendes Wissen über Wirkungen Nebenwirkungen und Wechselwirkungen erforderlich, um diese wichtigen Analgetika zielgerichtet und für den Patienten folgenfrei einzusetzen. Wie zahllose Studien zeigen konnten, ist das Risiko von Suchtentwicklung bei medizinischer Begleitung der Patienten äußert gering22, besonders dann, wenn Patienten vor dem Therapiebeginn auf Suchtrisiko „gescreent“23 werden. Trotz der guten analgetischen Wirkung empfiehlt es sich, Opioide grundsätzlich in Kombinationsregimen eizusetzen18, um optimale Wirksamkeit bei minimalen Nebenwirkungen zu erzielen. Die oft zitierte Atemdepression als gefährliche Nebenwirkung von Opioiden ist bei sinnvoller Anwendung in Kombinationsregimen und gewissenhafter ärztlicher Begleitung sicher kein Thema. Wie in internationalen und nationalen Empfehlungen immer hervorgehoben wird, sollte die Opioidverschreibung nur durch den für die Therapie verantwortlichen Arzt erfolgen und gewissenhaft kontrolliert werden21. Wie bei allen anderen Gelegenheiten gilt auch hier: Die Gefahr liegt nicht im Instrument, sondern in dem, der es handhabt.

 

1 Roberts L.J. et al., Clin J Pain 2002; 18 (3):144-148
2 Childers S.R. et al., in: The Neurobiology of Drug and Alcohol Addiction, Kalivas WS, H. (ed.), Vol. 654. New York Academy of Sciences. NY, 1992; 20-33
3 Shippenberg T. et al., in: The Neurobiology of Drug and Alcohol Addiction, Kalivas WS, H. (ed.). New York Academy of Sciences. NY, 1992; 347-356
4 Ballantyne J.C., LaForge K.S., Pain 2007; 129 (3):235-255
5 Bendtsen P. et al., Pain 1999; 82 (1):89-96
6 Sindrup S.H. et al., Pain 1999; 83 (1):85-90
7 Finnerup N.B. et al., Med Gen Med 2007; 9 (2):36
8 Finnerup N.B. et al., Pain 2010; 150 (3):573-581
9 Treede R.D. et al., Prog Neurobiol 1992; 38 (4):397-421
10 McCormack K., Pain 1994; 59 (1):9-43
11 Klein T. et al., Neuropharmacology 2007; 52 (2):655-661
12 Dellemijn P.L., Eur J Pain 2001; 5 (3):333-339
13 Rittner H.L. et al., Curr Opin Anaesthesiol 2010; 23 (5):588-592
14 Pirmohamed M. et al., BMJ 2004; 329 (7456):15-19
15 Vaughan C.W. et al., Nature 1997; 390 (6660):611-614
16 Litkowski L.J. et al., Clin Ther 2005; 27 (4):418-429
17 Kalso E. et al., Eur J Pain 2003; 7 (5):381-386
18 Khan M.I. et al., Am J Hosp Palliat Care 2011; 28 (5):378-383
19 Vera G. et al., Pharmacol Biochem Behav 2012; 102 (2):335-343
20 Argoff C.E., Postgrad Med 2011; 123 (5):134-142
21 Kalso E. et al., Pain 2004; 112 (3):372-380
22 Sullivan M.D. et al., Pain 2010; 149 (2):345-353
23 Butler S.F. et al., Pain 2004; 112 (1-2):65-75