Das erosive Potenzial verschiedener Getränke, Speisen und Medikamente – ein Vademecum

Einleitung

Dentale Erosionen stellen insbesondere in den Industrieländern aufgrund geänderter Lebensumstände ein zunehmendes Problem dar (LUSSI & CARVALHO 2014, SCHLUETER & LUKA 2018). Zahnerosion bedeutet per definitionem chemisch verursachter Zahnhartsubstanzverlust ohne Beteiligung von Mikroorganismen (PINDBORG 1970). Heute wird zwischen Zahnerosion und erosivem Zahnhartsubstanzverlust unterschieden. Unter Zahnerosion wird eine durch Säure verursachte Demineralisation der Zahnhartsubstanz verstanden. Wird diese Oberfläche nun durch mechanische Interaktion abradiert, spricht man von erosivem Zahnhartsubstanzverlust, „erosive tooth wear“ (SHELLIS et al. 2011). Es kann aber bei übermäßigem Kontakt mit Säure auch ohne mechanische Belastung ein Zahnhartsubstanzverlust auftreten, welcher definitionsgemäß der Zahnerosion angehört. Dies kann zum Beispiel im Rahmen einer beruflichen Exposition oder bei gehäuftem Erbrechen der Fall sein (SCHLUETER & TVEIT 2014).

Die Trink- und Ernährungsgewohnheiten haben sich in den letzten Jahrzehnten geändert, der Konsum von sauren Lebensmitteln und Getränken gehört vielerorts zum Alltag. Aufgrund dieser veränderten Trink- und Essgewohnheiten stellen Erosionen und erosiver Zahnhartsubstanzverlust ein immer größer werdendes Problem dar und deren Prophylaxe gewinnt an Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass eine substanzielle Wieder-Erhärtung des demineralisierten Schmelzes durch im Speichel gelöste Mineralsalze Tage bis Monate braucht, um abrasiven Prozessen wie Zahnreinigung oder Kontakt von Zunge und Wange zu den Zähnen zu widerstehen. Bezüglich der mechanischen Zahnreinigung sollte daher von der Empfehlung Abstand genommen werden, nach dem Essen mindestens 30 Minuten mit dem Zähneputzen zu warten. (BARTLETT et al. 2013, LUSSI et al. 2014, O’TOOLE et al. 2017, STEIGER-RONAY et al. 2018). „Wartezeiten vor dem Zähneputzen sind nicht von Nutzen“, heißt es treffend auch in den Zahnpflege- und Verhaltensempfehlungen für Patienten mit Essstörungen der Universitäten Bern und Zürich sowie des Kompetenzzentrums Adipositas, Essverhalten und Psyche (www.zzm.uzh.ch/de/patienten/downloads).

Nach Erbrechen oder Reflux kann man den Mund sofort mit Wasser spülen, um die Magensäure zu verdünnen und deren erosiven Effekt zu mindern (LUSSI et al. 2012b). Die Ursache des Erbrechens sollte mit Hilfe von Fachkollegen schnellstmöglich diagnostiziert und behandelt werden. Neben veränderten Ernährungsgewohnheiten, Reflux oder häufigem Erbrechen gibt es noch viele andere wichtige Risiko- sowie schützende Faktoren, die unbedingt zu beachten sind. Die Abbildung zeigt die verschiedenen Faktoren sowohl auf der Patienten- als auch auf der Ernährungsseite, die ein erosives Geschehen fördern oder hemmen können (LUSSI et al. 2005).

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, eine Übersicht der Erosivität respektive des erosiven Potenzials von insgesamt 116 Getränken und Speisen zu geben. Ferner werden auch die Eigenschaften verschiedener häufig konsumierter Medikamente aufgeführt. Die vorliegenden Daten beruhen zum einen Teil auf den Resultaten früherer Untersuchungen (LUSSI et al. 2012a, LUSSI & CARVALHO 2015), zum anderen Teil auf neuen Untersuchungen mit weiteren Produkten, deren erosive Eigenschaften bislang noch nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurden. Es werden bei den Produkten detaillierte Angaben der verschiedenen gemessenen und berechneten physikalischen und chemischen Parameter gegeben, und zusätzlich wird eine zusammenfassende Beurteilung des erosiven Potenziales aufgeführt. Es ist geplant, diese Tabelle mit weiteren Produkten zu ergänzen und periodisch zu publizieren.

Material und Methoden

Herstellung der Schmelzprobekörper

Aus einem Pool von extrahierten Zähnen wurden 1.020 kariesfreie Prämolaren und 300 Milchzähne ohne Risse an den bukkalen Hälften mit Hilfe eines Stereomikroskops ausgewählt. Nachdem die Kronen von den Wurzeln getrennt waren, wurden die bukkalen Seiten unter Wasserkühlung auf einer LaboPol-21-Poliermaschine (Struers, Ballerup, Dänemark) so geschliffen, dass im Zentrum der freiliegenden Fläche exakt 200 μm Schmelz abgetragen wurde. Die Oberflächen wurden bis zu einer Körnung von 3 μm poliert und danach bis zum Versuch in einer Aufbewahrungslösung gelagert. Direkt vor Versuchsbeginn wurden die Probekörper einer Endpolitur mit der Körnung 1 μm während 1 Minute unterzogen (LaboPol-6, DP-Mol Polishing Cloth, DP-Stick HQ, Struers, Kopenhagen, Dänemark). Das Prozedere entsprach dem der bereits im Jahr 2012 publizierten Untersuchung (LUSSI et al. 2012a).

Härtemessung

Die Bestimmung der oberflächlichen Mikrohärte erfolgte mit der Härtemessung nach Vickers. Diese Methode ist neben der Härtemessung nach Knoop in der zahnärztlichen Forschung etabliert. Die Ausgangshärte der verschiedenen Schmelzprobekörper variiert von Zahn zu Zahn. Um den Vergleich einfach zu ermöglichen, werden in dieser Arbeit die Resultate in Prozent bezogen auf die Ausgangshärte dargestellt. Das Vorgehen bei der Härtemessung war wie folgt: Ein Vickers-Diamant wurde 15 Sekunden mit einer Kraft von 50 mN (Fischerscope HM 2000 XYp; Helmut Fischer, Hünenberg, Schweiz) auf die Schmelzoberfläche gepresst und dann die Vickers-Härte automatisch aufgrund der Eindringtiefe berechnet. Es wurden bei jedem Messschritt 6 Abdrücke ausgemessen und daraus wurde der Mittelwert berechnet. Dieser Wert wurde für die weiteren Berechnungen verwendet. Dieses Prozedere wurde verwendet, um die Variationen der Schmelzhärte zu berücksichtigen. Pro Produkt wurden jeweils 10 Probekörper gemessen.
Wir haben in dieser Zusammenstellung sowohl bleibende Zähne als auch Milchzähne integriert. Die Frage, ob Milchzähne anfälliger auf erosive Demineralisation als bleibende Zähne sind, wird in der Literatur widersprüchlich diskutiert (CARVALHO et al. 2014). Wir konnten in einer vor kurzem publizierten Untersuchung zeigen, dass im experimentellen Modell, das auch hier verwendet wurde, kein Unterschied zwischen bleibenden und Milchzähnen bestand (LUSSI & CARVALHO 2015). Auch in einer anderen Untersuchung mit ähnlichem Design und je 108 Milch- sowie 108 bleibenden Zähnen wurde mit einer einzigen Ausnahme kein Unterschied in der Anfälligkeit auf Erosionen von bleibenden und von Milchzähnen festgestellt (CARVALHO et al. 2017). Trotzdem haben wir in der Tabelle vermerkt, ob die Messung an einem Milch- oder einem bleibenden Zahn vorgenommen wurde.

Versuchsablauf

Von immer derselben gesunden Person ohne offene kariöse Läsionen mit normaler Speichelfließrate (stimulierte Fließrate 2.3 ml/min) wurde paraffinwachsstimulierter Speichel (Fluka; Sigma-Aldrich Chemie GmbH, München, Deutschland) unmittelbar vor der Messung gesammelt. Der Speichel wurde jeweils um dieselbe Uhrzeit morgens in einem eisgekühlten Behälter gesammelt. Eine Stunde vor einer Speichelentnahme wurde nichts mehr gegessen und wurden keine koffeinhaltigen Getränke getrunken. Die Probekörper wurden dann für 3 Stunden in diesen frisch gesammelten Speichel eingetaucht, um eine Pellikel zu bilden. Die Einwilligung für die Speichelsammlung wurde nach Aufklärung und in Übereinstimmung mit dem von der Kantonalen Ethischen Kommission (KEK) genehmigten Protokoll eingeholt. Nach der Bildung der Pellikel wurden die Probekörper jeweils in die entsprechende Lösung unter ständiger Bewegung (95 U/min) bei 30 °C (Schüttelbad Salvis; Renggli AG, Rotkreuz, Schweiz) gegeben. Es wurde immer 10 ml (oder g) Lösung pro Probekörper benutzt. Nach 2 Minuten wurden die Probekörper der Lösung entnommen und Härtemessungen durchgeführt.

Getestete Substanzen und Medikamente

In der vorliegenden Studie wurden 116 beliebte Getränke, Speisen und Medikamente einbezogen (Tabelle). Zur besseren Übersicht wurden die Produkte in Gruppen eingeteilt:

Gruppe 1: Mineralwässer
Gruppe 2: Softdrinks, Erfrischungsgetränke, Limonaden
Gruppe 3: Energiegetränke, Sportgetränke
Gruppe 4: Früchte, Säfte, Smoothies
Gruppe 5: Milchprodukte
Gruppe 6: Tee, Eistee, Kaffee
Gruppe 7: alkoholische Getränke
Gruppe 8: Medikamente
Gruppe 9: Kinderartikel
Gruppe 10: Verschiedenes

Kohlensäurehaltige Getränke wurden durch Rühren entgast, weil die Blasen eine korrekte Durchführung der Experimente nicht gestatten. Früchte wurden unmittelbar vor Beginn des Experiments zerkleinert/gepresst, und der Saft wurde durch ein Sieb gefiltert. Tabletten und Pulver wurden in Wasser nach Herstellerangaben aufgelöst. Süßwaren wurden in deionisiertem Wasser (5,2 g in 10 ml) bei 45 °C unter Rühren aufgelöst und für das Experiment wieder abgekühlt. Kaugummi wurde während 5 Minuten im Mörser in deionisiertem Wasser gemahlen (2 g in 10 ml) und die resultierende Flüssigkeit im Experiment verwendet.

Klassifizierung des erosiven Potenzials

Die chemischen Analysen (pH, Pufferkapazität, titrierbare Säure, Fluorid, Kalzium- und Phosphatkonzentrationen) entsprachen denen aus der 2012 publizierten Untersuchung (LUSSI et al. 2012a). Der Grad der Über- respektive Untersättigung bezüglich Hydroxylapatit (HAP) wurde mit einem Computerprogramm berechnet (LUSSI et al. 2012a).

Um in der Tabelle zusätzlich einen raschen Überblick des erosiven Potenzials der verschiedenen Produkte zu gewinnen, wurden sie in 3 Gruppen eingeteilt. Ein Produkt wurde als nichterosiv klassiert (Grad 0: â), sofern nach 2 Minuten eine Härtezunahme oder eine Härteabnahme von bis zu 2 % beobachtet wurde. Es wird so der wichtigen Funktion des Speichels Rechnung getragen, der eine Anhebung des pH-Wertes bewirkt, die hier nicht simuliert werden konnte. Als erosiv (Grad 1: è) wurden jene Produkte bezeichnet, die nach zwei Minuten bis zu 15 % Härteverlust zeigten. Eine Härteabnahme von mehr als 15 % nach zwei Minuten wurde als deutlich erosiv (Grad 2: èè) klassifiziert. Einschränkend muss angemerkt werden, dass diese Einteilung die vielen anderen Faktoren nicht berücksichtigt, die – wie oben schon beschrieben – für eine Gesamtbeurteilung der Erosivität einbezogen werden müssen.

Ergebnisse

Die Tabelle zeigt das abgeschätzte erosive Potenzial sowie chemische und physikalisch-chemische Parameter verschiedener Getränke, Speisen und Medikamente.
Zahn (B = bleibende Zähne; M = Milchzähne), pH-Wert, Änderung der Härte nach 2 Minuten Inkubation, erosives Potenzial, titrierbare Säure, Kalzium, inorganisches Phosphor, Fluoridgehalt, Sättigungsgrad in Bezug auf Hydroxylapatit sind aufgeführt. Interessante Ergebnisse werden unten diskutiert.

Diskussion

Die Entstehung von Zahnerosionen wird fälschlicherweise oftmals nur einem niedrigen pH-Wert von konsumierten Getränken und Speisen zugeschrieben. Diese Fehleinschätzung ist bedingt durch die allgemein bekannten kritischen pH-Werte von Karies in Schmelz und Dentin. Im Unterschied zur Karies, bei der es einen definierten kritischen pH-Wert von 5,3 bis 5,5 für Schmelz gibt, kann man dem Auftreten von Zahnerosionen aber keinen definierten pH-Wert zuordnen (LUSSI et al. 2012a). Der kritische pH-Wert ist definiert als derjenige pH-Wert einer Flüssigkeit, bei dem sich die Zahnhartsubstanz im chemischen Gleichgewicht mit dieser sie umgebenden Flüssigkeit befindet. Bei diesem pH-Wert ist die Flüssigkeit bezüglich des Zahnes gesättigt, und es kommt insgesamt weder zu einer Auflösung des Zahnes noch zur Bildung neuer Kristalle. Dieser kritische pH-Wert berechnet sich aus den Konzentrationen (eigentlich den Aktivitäten) der gelösten Stoffe in der Flüssigkeit. Bei Karies ist diese Flüssigkeit die „Plaque-Flüssigkeit“, welche für eine bestimmte Person immer etwa gleich zusammengesetzt ist, also immer die gleichen Konzentrationen an gelösten Stoffen enthält. Deshalb gibt es bei Karies einen kritischen pH-Wert, der immer etwa gleich bleibt.

Im Falle von Zahnerosionen enthalten die den Zahn umgebenden Flüssigkeiten aber unterschiedlichste Konzentrationen an gelösten Stoffen, weshalb kein bestimmter kritischer pH-Wert definiert werden kann. Der entscheidende Faktor, ob es zur Demineralisation kommt, ist also insgesamt nicht der pH-Wert selbst, sondern der Sättigungsgrad an gelösten Stoffen in der mit den Zähnen in Kontakt tretenden Flüssigkeit beim jeweiligen pH-Wert. Ist der Gehalt an bestimmten gelösten Stoffen in der Flüssigkeit zu klein, ist diese untersättigt und es wird ein Gleichgewicht angestrebt, wobei es zur Demineralisierung der Zahnhartsubstanz kommt. Dieser Prozess schreitet so lange voran, bis das Gleichgewicht erreicht und die Flüssigkeit gesättigt ist. Ist der Gehalt an denselben gelösten Stoffen in der Flüssigkeit jedoch groß, ist diese bereits gesättigt oder gar übersättigt, kommt es nie zu einer Demineralisierung. Ob eine Flüssigkeit bezüglich der Zahnhartsubstanz gesättigt ist oder nicht, wird insbesondere durch den Kalziumgehalt und, in kleinerem Maße, durch den Gehalt an Phosphat und Fluorid der Getränke und Speisen beim jeweiligen pH-Wert bestimmt. Bei einem niedrigen pH-Wert ist es daher möglich, dass hohe Konzentrationen dieser Stoffe einer Erosion entgegenwirken, da die Flüssigkeit dadurch bezüglich der Zahnhartsubstanz ge- oder sogar übersättigt ist. Fehlen diese Stoffe jedoch oder sind nur geringe Konzentrationen davon vorhanden, kann es andererseits bereits bei einem höheren pH-Wert zur erosiven Demineralisation der Zahnhartsubstanz kommen, da die Flüssigkeit dann bezüglich der Zahnhartsubstanz untersättigt ist (SHELLIS et al. 2014).

Den Einfluss des Sättigungsgrades von Mineralien wie Kalzium, Phosphat und Fluorid in Speisen und Getränken auf die Zahnhartsubstanz macht man sich in der Prophylaxe zu Nutze. So kann beispielsweise das hohe erosive Potenzial von Orangensaft (pH-Wert von circa 4, Tabelle), durch Zugabe von Kalzium aufgehoben werden (HUGHES et al. 1999, WEGEHAUPT et al. 2011). Joghurt andererseits, welches naturgemäß mit einem niedrigen pH-Wert versehen ist, weist aufgrund seines hohen Kalzium-(und Phosphat-)gehaltes kein erosives Potenzial auf (Tabelle). Das erosive Potenzial von Salatsauce oder von Fruchtsalat kann mit Beimischung von Joghurt minimiert werden.

Weitere ernährungsseitige Faktoren, welche die Erosion beeinflussen

Alle getesteten Biere (pH-Wert zwischen 4,1 und 4,4) sind sauer, rufen aber keine Erosionen hervor. Cynar weist ebenfalls einen tiefen pH-Wert von 4 auf, verursacht aber keine erosive Veränderung der Zahnhartsubstanz. Beide zuletzt genannten Getränke haben weder einen hohen Kalzium- noch einen hohen Phosphatgehalt. Es müssen also andere Faktoren, höchstwahrscheinlich Proteine, eine wichtige schützende Wirkung aufweisen, indem sie zum Beispiel die Pellikel modifizieren.

Eine Fluoridanreicherung von Speisen und Getränken zur Vermeidung von Zahnerosionen erscheint hingegen aufgrund der möglichen Nebenwirkungen von Fluorid bei der für einen Schutz benötigten hohen Konzentration als nicht sinnvoll (LUSSI et al. 2019). Verdünnung mit Wasser reduziert die H+-Konzentration und damit das erosive Potenzial.

Neben dem Sättigungsgrad gibt es noch weitere die Erosion beeinflussende Faktoren. Weist eine Substanz beispielsweise eine hohe Pufferkapazität auf, dauert es länger, bis sie durch den Speichel neutralisiert werden kann (SHELLIS et al. 2013). Die Adhäsionseigenschaften beeinflussen die Erosivität insofern, als dass stärker adhärierende Substanzen eine längere Kontaktzeit an den Zähnen haben und dadurch länger erosiv wirken können. Mehrere Untersuchungen (JAGER et al. 2012, AYKUT-YETKINER et al. 2013, AYKUT-YETKINER et al. 2014) zeigten, dass eine hohe Viskosität schützend wirkt, weil der Nachschub von H+-Ionen an der Grenzfläche zum Zahn beeinträchtigt ist (siehe Tabelle, zum Beispiel Hannah Brain Licker). Diese Eigenschaft muss in Zusammenhang mit anderen die Erosion fördernden Parametern wie pH-Wert oder Pufferkapazität gesehen werden (CARVALHO et al. 2017). Auch die Temperatur von Getränken und Speisen muss beachtet werden, da sie sowohl einen Einfluss auf den Sättigungsgrad hat als auch generell auf die chemische Reaktionsgeschwindigkeit, was bei höheren Temperaturen zu einer schnelleren erosiven Auflösung der Zähne führen kann (WEST et al. 2000, EISENBURGER & ADDY 2003, BARBOUR et al. 2006).

Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist die Kontaktzeit der erosionsfördernden Substanz mit der Zahnoberfläche sowie die Trinkweise (schluckweise versus in einem Zug trinken) und die generelle Anfälligkeit auf Erosionen. Der Unterschied in der Anfälligkeit auf erosiven Zahnhartsubstanzverlust kann nach unseren Untersuchungen eine genetische Komponente aufweisen (ALARAUDANJOKI et al. 2019), aber auch mit der Speichelzusammensetzung (z. B. Proteingehalt) zusammenhängen. Beispielsweise ist die genaue Zusammensetzung von Mineralionen und Proteinen im Speichel entscheidend für den Schutz vor Erosionen (BAUMANN et al. 2016), und klare Unterschiede des Erosionsschutzes zwischen Kinder- und Erwachsenenspeichel wurden gezeigt (CARVALHO et al. 2016a). In einer weiteren Studie erreichte bei Patienten ohne Erosionen der pH-Wert an den Zahnoberflächen 3–5 Minuten nach Konsum von Orangensaft wieder unbedenkliche Werte, während dies bei Patienten mit Erosionen erst nach 5–7 Minuten der Fall war (LUSSI et al. 2012b). In dieser Untersuchung haben alle Probanden unter Aufsicht auf die gleiche Art und Weise getrunken, und es bestanden keine wesentlichen Unterschiede in den gemessenen Speichelparametern (Fließrate, Pufferkapazität bis pH 7). Das Proteom und der Proteingehalt wurden leider nicht gemessen. Diese Arbeit zeigte auch, dass Spülen nach Konsum von Saurem ein gutes Mittel ist, um den pH-Wert auf der Zahnoberfläche zu erhöhen. Eine übersättigte Substanz kann, wie oben erwähnt, nie Erosionen verursachen; deutlich untersättigte immer. Substanzen (z. B. Joghurt mit Waldbeeren, Tabelle), die nur leicht untersättigt sind, verursachen klinisch keine messbare Erosion, da sie an der Grenze zur Zahnoberfläche durch den lokalen minimen Demineralisationsprozess neutralisiert und mit Kalzium vom Zahn lokal angereichert werden. Dies ist beim Umspülen der Zähne mit erosiven Getränken nicht der Fall. Insofern kann auch erklärt werden, warum bestimmte Trinkgewohnheiten, wie zum Beispiel das Umspülen der Zähne, erosionsfördernd sind (JOHANSSON et al. 2004, ATTIN et al. 2013).

Patientenseitige Faktoren, welche die Erosion beeinflussen

Neben den erwähnten Faktoren auf der Ernährungsseite sind Faktoren auf der Patientenseite im Entstehungsprozess der Zahnerosion von Bedeutung (Abbildung). Ess- und Trinkgewohnheiten, die Zusammensetzung des Speichels, dessen Fließrate und Pufferkapazität, die Pellikelbildung sowie diese Faktoren beeinflussende Medikamenteneinnahme sind im Zusammenhang mit Zahnerosionen wichtig. Medikamente können entweder durch ihren niedrigen pH-Wert direkt erosionsauslösend sein oder aber indirekt auch durch ihre nicht immer gewollte Wirkung auf die Speichelfließrate und Zusammensetzung. Zu erwähnen sind insbesondere Beruhigungsmittel, Antiemetika, Antihistaminika und Anti-Parkinson-Medikamente (LUSSI et al. 2012a) sowie Brausetabletten mit niedrigem pH-Wert (WEGEHAUPT et al. 2016). Andererseits gibt es auch saure Brausetabletten (Berocca, siehe Tabelle), die wegen ihres hohen Kalziumgehalts keine Erosionen verursachen.
Anamnestisch manchmal schwierig, aber für die Diagnostik wichtig, ist auch die Abklärung bezüglich eines möglichen Alkoholmissbrauchs, welcher häufig mit Reflux vergesellschaftet ist. Weitere zu beachtende Einflüsse sind ein vorhandener gastroösophagealer Reflux sowie psychische Erkrankungen wie Bulimie und Anorexie (LUSSI et al. 2009).

 

 

Es ist zu beachten, dass Patienten mit schon vorhandenen erosiv/abrasiven Zahnhartsubstanzdefekten anfälliger für weitere Erosionsprozesse sind (CARVALHO et al. 2016b). Dies gilt auch für Kinder, denn schon vorhandene erosiv/abrasive Veränderungen auf den Milchzähnen sind ein guter Indikator für diese Zahnhartsubstanzdefekte an bleibenden Zähne (GANSS et al. 2001, HARDING et al. 2010). Wie üblich, sollte auch hier frühzeitig eine individuell professionelle Beratung stattfinden und nach einer für die jeweiligen Patienten optimierten Prophylaxemöglichkeit gesucht werden. Hilfreich für eine systematische Analyse ist die Abklärung der in der Abbildung dargestellten Einflussfaktoren.
Die Referenzen können im Swiss Dental Journal eingesehen werden (SWISS DENTAL JOURNAL SSO 2019; VOL 129).

Zusammenfassung

Zahnerosionen weisen eine steigende Prävalenz auf. Aufgrund der irreversiblen Zerstörung und voranschreitenden Progression kann die Lebensqualität betroffener Personen beeinflusst und Restaurationen können erforderlich werden. Frühprophylaxe ist daher wichtig. In Beratungsgesprächen mit dem Fachpersonal kommt immer wieder die Frage nach der Erosivität verschiedener Getränke und Speisen auf, spielen sie doch eine wichtige, vom Patienten kontrollierbare Rolle bei der Entstehung von Erosionen.

Es bestehen beträchtliche Unterschiede im erosiven Potenzial der getesteten Substanzen. So gibt es saure Produkte, die keine Erosionen verursachen, und solche mit höherem pH-Wert, die ein größeres erosives Potenzial aufweisen. Die Erosivität der aufgeführten Substanzen stellt nur einen Faktor in einem multifaktoriellen Geschehen dar. Aus diesem Grund ist die hier präsentierte Tabelle lediglich ein Hilfsmittel auf dem manchmal schwierigen Weg zu einer korrekten Diagnose.

 

 

Diese Arbeit erscheint auch im Swiss Dental Journal (SDJ) der Schweizerischen Zahnärztegesellschaft, Bern (SSO)