Herausforderung: atopische Dermatitis bei Kindern

Wie häufig ist die atopische Dermatitis bei Kindern?

Beatrix Volc-Platzer: Die Neurodermitis ist die häufigste chronische Hautkrankheit des frühen Kindes- und Jugendalters mit einer Inzidenz von 10 bis über 20 Prozent, je nach geografischer Lage und Genauigkeit epidemiologischer Studien. Heute ist auch bei Erwachsenen eine Zunahme der Neurodermitis-Prävalenz mit bis zu 10 Prozent festzustellen. Dabei sind es bei Erwachsenen meist nicht seit der Kindheit bestehende Ekzeme, sondern Rezidive nach Phasen jahrelanger Symptomfreiheit, was sich mit einer gezielten Anamnese gut nachvollziehen lässt.

Wie ist die Ausprägung bei Kindern im Vergleich zu Erwachsenen? Was weiß man über den Langzeitverlauf?

Die Ausprägung der Neurodermitis ist je nach Lebensalter unterschiedlich. Bei Kindern überwiegen mildere und moderate, bei Erwachsenen chronische und therapierefraktäre Verlaufsformen. Bei 50–80 Prozent der Betroffenen kommt es im Lauf des Lebens zu einer IgE-vermittelten Sensibilisierung, mit Symptomen einer allergischen Rhinokonjunktivitis, eines allergischen Asthmas oder einer Lebensmittelallergie. Die Erkrankung beginnt üblicherweise ab dem dritten Lebensmonat und persistiert – in wechselnden Erscheinungsformen – bei jedem zweiten Patienten bis in das Erwachsenenalter. Diese juckende und chronisch entzündliche Hautkrankheit führt, neben einem schwer einzuschätzenden Einfluss auf Entwicklung und Psyche des betroffenen Kindes, zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität aller Betroffenen und „last, but not least“ der Eltern, Geschwister und anderer Bezugspersonen.

Sind Kinder schwierigere Patienten? Wo liegen die Herausforderungen in der Behandlung von Kindern?

Es gibt kein problematisches Kind, es gibt nur eine problematische Haut. Einiges ist für uns Dermatologen bei Kindern mit atopischer Dermatitis – im Unterschied zu Erwachsenen – jedoch besonders zu beachten. So findet das Arzt-Patienten-Gespräch mit mindestens zwei verschiedenen Personen, Kind und Eltern, statt. Die unterschiedliche Physiologie der kindlichen Haut ist mit Störung von Barrierefunktion und Immunsystem gepaart. Die defekte Hautbarriere ermöglicht einen „atopic march“ mit Sensibilisierung über die ­Haut. Morphologie und Verteilung der atopischen Dermatitis bei Kleinkindern umfassen ein Spektrum an klinischen Besonderheiten und verschiedene Differen­zialdiagnosen kommen in Frage. Besonderes Augenmerk verdienen Triggerfaktoren einerseits und eine korrekte topische dermatologische Therapie, auch mit Medikamenten im Off-Label-Bereich, andererseits. Quälender Juckreiz, vor allem in der Nacht, und die daraus resultierende Schlaflosigkeit des Kindes mit atopischer Dermatitis und zwangsläufig auch der Eltern ist eines der Hauptprobleme. Diesem ist nur mit einer gezielten, individuell auf den Hautzustand abgestimmten Therapie und begleitenden Maßnahmen abzuhelfen.

Was ist im Krankheitsmanagement entscheidend?

Die Neurodermitis ist zwar bis jetzt nicht heilbar, aber wir können heute ein erfolgreiches Krankheitsmanagement betreiben. Dazu gehört, dass Symptome von Krankheitsschüben früh erkannt und behandelt werden, durch konsequente blande Pflege und Lokaltherapie der mitunter quälende Juckreiz gelindert oder sogar unterdrückt wird und Rezidive mittels der ­„proaktiven Therapie“ mit Calcineurininhibitoren reduziert oder verhindert werden. In den aktuellen internationalen ­Guidelines wird ein mehrstufiges Therapieregime empfohlen.

Wie sieht dieses mehrstufige Therapieregime aus?

Dieses umfasst (1) die Wiederherstellung der Hautbarriere mit blanden fettreichen Pflegeprodukten, sogenannten „Emollienzien“, (2) die Vermeidung individueller Triggerfaktoren und (3) eine antiinflammatorische Lokaltherapie mit Kortikosteroiden und Calcineurininhibitoren. In schweren, therapierefraktären Fällen stehen bei Erwachsenen zusätzlich Phototherapie und systemische Immunsuppressiva sowie Biologika – diese schon ab dem Alter von 12 Jahren – zur Verfügung.

Wie kann die Barrierefunktion der Haut am besten aufrechterhalten beziehungsweise wiederhergestellt werden? Was ist bei der Hautpflege zu beachten?

Das hervorstechende Merkmale von Neurodermitis-Patienten ist die trockene Haut. Diese Trockenheit der Haut und die wissenschaftlich belegte zentrale Rolle der Epidermis-Fehlfunktion bei Neurodermitis unterstreichen die Notwendigkeit, die Hautbarriere wiederherzustellen. Indifferente Basispflege mit häufig und reichlich angewendeten Emollienzien, welche die Haut „weich machen“ und den gesteigerten transepidermalen Wasserverlust hemmen, ist daher die erste tragende Säule der Therapie. Befeuchtende Zusätze wie Glycerin und Milchsäure sowie bei Erwachsenen auch Harnstoff können zusätzlich Feuchtigkeit in der Epidermis binden. Noch ist unklar, ob die in neueren Produkten enthaltenen Ceramide und essenziellen Fettsäuren traditionellen Zusätzen überlegen sind. Bei nässenden Ekzemen werden ­gerne Antiseptika oder Antibiotika als Zusätze verwendet; es gibt allerdings keinen Beweis, dass dadurch generell die Wirksamkeit verbessert wird.

Was ist bei der Hautpflege zu beachten?

Wichtig ist die regelmäßige Anwendung. Sämtliche Emollienzien sollten zweimal täglich verwendet werden, vor allem unmittelbar nach dem Baden oder Duschen. Der Stellenwert von Badezusätzen ist unklar, sie sollten jedenfalls pH-neutral sein oder einen niedrigen pH-Wert haben sowie seifen- und duftstofffrei sein. Entscheidend ist die phasengerechte Zusammensetzung der Pflegeprodukte. Cremen mit mittlerem Fettgehalt sind für größere Flächen und subakute Stadien, lipidreiche Salben für trockene, lichenifizierte Stellen und Lotionen mit einem hohen Wasseranteil zum Kühlen akut entzündlicher, nässender Ekzeme am besten geeignet.

Wie erfolgt die antiinflammatorische Lokaltherapie?

Die klassische antiinflammatorische Therapie besteht in der Anwendung topischer Kortikosteroide, und zwar über einen ausreichend langen Zeitraum, gefolgt von Calcineurininhibitoren als proaktive Therapie zur Schubprävention. In Europa unterscheiden wir generell 4 Stärkeklassen der Kortikosteroide, wobei im Gesicht, in den Beugen und vor allem bei Kindern – mit Ausnahme von Kurzzeittherapien – niedrigpotente zu bevorzugen sind. Die Calcineurininhibitoren ­Tacrolimus und Pimecrolimus werden prinzipiell als Zweitlinientherapie bei Kurzzeit- und intermittierender Behandlung eingesetzt. Bei Kindern, vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern, können Calcineurininhibitoren in sogenannten „Risikolokalisationen“ auch als Erstlinientherapie verwendet werden, also z. B. im Gesicht und am Kopf sowie im Genitalbereich.

Wie beurteilen Sie die Bedeutung von ­Calcineurininhibitoren?

Randomisierte kontrollierte Studien, die in systematischen Übersichtsarbeiten zusammengefasst sind, haben sowohl die gute Wirksamkeit als auch Sicherheit der Calcineurininhibitoren belegt. Tacrolimus ist mit mittelstarken Kortikosteroiden vergleichbar, Pimecrolimus mit schwächeren. Bedauerlicherweise wurde für die topischen Calcineurininhibitoren aufgrund des theoretischen Risikos der Tumorentstehung eine Black-Box-Warnung durch die amerikanische Gesundheitsbehörde herausgegeben, für die es zwar bis heute keine wissenschaftliche Evidenz gibt, die aber immer noch als „dunkler Schatten“ über der Therapie hängt.

In welchem zeitlichen Abstand sollen Pflege und topische Therapien angewendet werden?

Entscheidend ist die Reihenfolge des Auftragens. Derzeit gilt, zunächst Emollienzien und nach 20 Minuten Kortikosteroide oder Calcineurininhibitoren aufzutragen beziehungsweise zu einer anderen Tageszeit, um eine Verdünnung oder eine weitere Verteilung zu verhindern. Im Anschluss an die Behandlung akuter Ekzeme hat sich für jene Körperstellen, an denen es gehäuft zu Rezidiven kommt, die „proaktive Therapie“ mit Calcineurininhibitoren oder Kortikosteroiden entweder zweimal wöchentlich oder als „Wochenende-Stoßtherapie“ bewährt.

Welche Therapieoptionen kommen bei Versagen der topischen Therapie zur Anwendung?

Bei Versagen der Lokaltherapie steht als nächste Stufe die Phototherapie zur Verfügung. Diese sollte bei Kindern jedoch nur bei strenger Indikationsstellung ange­wendet und generell nicht mit topischen oder systemischen Calcineurininhibitoren kombiniert werden. Die nächste Stufe bilden bei Erwachsenen systemische Immunsuppressiva wie Cyclosporin A, das für die Kurzzeittherapie der schweren, therapierefraktären Neurodermitis ab 18 Jahren zugelassen ist, oder Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil oder Methotrexat, Letztere aber „off-label“. Systemische Kortikosteroide haben ein schlechtes Nutzen-Risiko-Profil und sollten daher nicht verwendet werden. Systemische Antibiotika sind bei Zeichen von Superinfektion und bei schweren Krankheitsschüben indiziert, bei denen die physiologische bakterielle Besiedelung einer Kolonisation mit Staphylococcus aureus gewichen ist. Weitere systemische Therapien inkludieren Aciclovir bei Eczema herpeticatum und Azol-Antimykotika über ein bis zwei Monate für die „head-neck-shoulder dermatitis“ durch Malassezia furfur. Mittlerweile wurde mit dem monoklonalen Antikörper Dupilumab, der gegen den IL-4-Rezeptor gerichtet ist, das erste Biologikum zur Behandlung der Neurodermitis ab 12 Jahren zugelassen.

Welchen Stellenwert haben Antihistaminika?

Orale H1-Antihistaminika haben sich als nicht allzu wirksam erwiesen und werden für Kinder von den pädiatrischen Fachgesellschaften nicht (mehr) empfohlen.

Sie haben die Vermeidung von Triggerfaktoren angesprochen. Welche Rolle kommt der Vermeidung von Triggerfaktoren zu beziehungsweise welche Rolle der Prävention insgesamt?

Auch wenn es derzeit – noch – keine erfolgreiche Primärprävention gibt, sind Vermeidung von Triggerfaktoren wie starkes Schwitzen, Vermeidung von Allergenen, gegebenenfalls Immunmodulation, vor allem aber eine konsequente tägliche Basispflege die besten Strategien. Studien haben belegt, dass eine tägliche Anwendung von Emollienzien von Geburt an das Risiko für die Entwicklung einer atopischen Entzündung um bis zu 50 Prozent senkt. In diesem Zusammenhang kann die strukturierte Information in Form von Patienten- beziehungsweise Elternschulungen einen entscheidenden Beitrag leisten und sollte in breitem Umfang angeboten werden.

Welchen Stellenwert hat die Neurodermitis-Schulung?

Die Neurodermitis-Schulung ist eine kaum mehr aus dem professionellen Umgang mit der Erkrankung wegzudenkende Möglichkeit für das Selbstmanagement der Krankheit und ihrer Symptome durch die Patienten und die Eltern. Diese Schulung ist nicht nur für Dermatologen und Kinderärzte eines der wirksamsten Tools der Tertiärprävention, sondern hat darüber hinaus für unsere Gesellschaft einen entscheidenden gesundheitspolitischen undökonomischen Wert. Leider ist es (noch) nicht gelungen, eine flächendeckende Refundierung durch die Krankenkassen in ganz Österreich zu erreichen, während diese in Deutschland schon seit Jahren gewährleistet ist. Bedauerlicherweise sind Therapieversager nach wie vor häufig, vor allem durch die unzureichende Adhärenz zur Lokaltherapie, genährt durch irrationale Ängste vor potenten Nebenwirkungen topischer Kortikosteroide, durch unbequeme und nicht den individuellen Bedürfnissen des Patienten angepasste Therapieregimes, aber auch durch unzureichende Information und Aufklärung. Es kostet viel Zeit, Patienten mit Neurodermitis beziehungsweise Eltern betroffener Kinder über Krankheitsmechanismen und Behandlungsmöglichkeiten zu informieren. Die Zeit ist jedoch gut investiert, erspart sie doch mittelfristig den Betroffenen viele Irrwege und Zeit und verbessert die durch die Krankheit stark beeinträchtigte Lebensqualität. Strukturierte Trainingsprogramme wie die Neurodermitis-Schulung nach dem Curriculum der deutschen AGNES („Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung“) sind dabei sehr hilfreich. Neben medizinischen Informationen enthalten sie ein breites Spektrum an Lern- und interventionellen Möglichkeiten wie verhaltenstherapeutische Maßnahmen.

Wir danken für das Gespräch!

Interview: Susanne Hinger