In den letzten Wochen und Monaten stand die Gesundheitsversorgung im Fokus der Medien. Neben dem seit Jahren diskutierten Mangel an Hausärzt:innen – besonders in ländlichen Regionen – prägen derzeit hitzige Debatten um die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) und die Rolle der Wahlärzt:innen das Bild. Schlagworte wie „Lenkung“, „Steuerung“ und „Patientenwege“ beschäftigen auch die ÖGAM.
Kritiker:innen werfen der ÖGK vor, zu wenig Anreize für Kassenstellen zu schaffen und viel Geld „versenkt zu haben“, zeitgleich wandern weiterhin Ärzt:innen in den Wahlarztbereich ab – Ressourcen, die im solidarischen System fehlen. Für viele Patient:innen bedeutet das höhere Kosten oder – je nach Fach und Ort – längere Wartezeiten, für das System den Verlust wohnortnaher, leistbarer Versorgung. Dabei ist klar: Menschen haben ein Recht auf eine solidarische, qualitativ hochwertige und wohnortnahe medizinische Betreuung im Sinne einer hausärztlichen Versorgung. Gleichzeitig sorgt die Einführung des neuen Facharztes für Allgemein- und Familienmedizin für Diskussionen: Die ÖGAM sieht darin eine überfällige Aufwertung des Berufs, Stimmen in manchen Bundesländern warnen (unbelegt) vor Versorgungslücken durch längere Ausbildungszeiten. Politisch ist man sich einig, dass die Allgemeinmedizin gestärkt werden muss. Der Blick nach vorne gelingt nur langsam.
Auch wenn detaillierte Inhalte der neuen Ausbildungsordnung noch nicht festgelegt sind, die Fachzusammensetzung ist klar. Und hier gilt sicher: Die deutlich längere Zeit in Lehrpraxen – langfristig 24 Monate – wird angehende Ärzt:innen praxisnäher und gezielter auf den Berufsalltag vorbereiten. Das Lernen direkt in der Allgemeinpraxis stärkt nicht nur das Verständnis für komplexe Versorgungsrealitäten, sondern kann vielleicht sogar kurzfristig das System entlasten, weil Auszubildende aktiv im System mitwirken, mit ihrem Lernort im solidarischen System versorgen sie mit. Abhängig von ihren bisherigen Ausbildungsorten – Universität wie Krankenhaus– sind Skills und Wissen bei den Jungärzt:innen heterogen ausgeprägt. Sicherzustellen, dass sie ein unterstützendes Umfeld mit gutem Lernklima haben, ihnen aber auch Verantwortung für die Erfüllung von Lehrzielen zu übertragen wären wichtige Neuerungen in der Ausbildung. Entscheidend wird so oder so die Qualität der unterschiedlichen Ausbildungsabschnitte sein: Ist sie hoch, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich Jungmediziner:innen gut gerüstet fühlen und sich früher niederlassen – statt, wie bisher oft, den Schritt in die eigene Praxis durch lange Phasen der Vertretungstätigkeit oder diverse Anstellungen in anderem Setting hinauszuschieben.
Die neue Ausbildungsstruktur und auch die neuen Arbeitsformen sind mehr als ein formaler Schritt – sie bieten die Möglichkeit, die Allgemeinmedizin aus der Rolle eines primär intramural eingebundenen Fachs herauszulösen und im extramuralen Bereich zur tragenden Säule zu machen. Durch längere und intensivere Praxisphasen entsteht eine Generation von Ärzt:innen, die in Prävention, Langzeitbetreuung und wohnortnaher Versorgung stark verankert ist. Damit kann die hausärztliche Primärversorgung einen entscheidenden Beitrag leisten, die Spitalslast zu senken und Versorgungslücken zu schließen. Dieser Wandel ist nicht nur wünschenswert, sondern notwendig, um das Recht der Menschen auf eine wohnortnahe hausärztliche Versorgung zu sichern. Gelingt er, wandelt sich das Fach vom reaktiven Systemerhalter zum proaktiven Systemretter – und damit zu einem Schlüssel für die Zukunft des österreichischen Gesundheitssystems.