Müde, aber wach

Schlafstörungen gehören zu den häufigsten medizinischen Problemen und stehen in Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen. Rund 30 % der Bevölkerung leiden unter nichterholsamem Schlaf, und etwa 10 % erfüllen die Kriterien einer Insomnie.

Schlafdauer und Schlaflatenz

In Europa schlafen Erwachsene im Durchschnitt etwa 7 Stunden pro Nacht, wobei die normale Schlafdauer zwischen 5 und 9 Stunden liegt und genetisch prädisponiert ist. Die Einschlafzeit, also die sogenannte Schlaflatenz, beträgt in der Regel zwischen einigen und 30 Minuten. Etwa 20 % des Schlafes entfallen auf den Tiefschlaf, weitere 20 % auf den REM-Schlaf – die übrige Zeit verbringen wir in oberflächlichen Schlafphasen. Die reine Schlafdauer sagt jedoch wenig über die Schlafqualität oder das Erholungsempfinden aus. Entscheidend ist, ob man sich nach dem Schlaf erholt fühlt.

Schlafdruck und zirkadianer Rhythmus

Der Körper kann fehlenden Schlaf in gewissem Maße durch intensiveren Schlaf ausgleichen – ein wichtiger Hinweis, um Ängste vor den Folgen von Schlafmangel zu vermeiden. Schlaf ist ein dynamischer Prozess, der sich an innere und äußere Bedingungen anpasst. Nach dem sogenannten Zwei-Prozess-Modell wird der Schlaf einerseits durch den homöostatischen Schlafdruck und andererseits durch den zirkadianen Rhythmus gesteuert.

Der Schlafdruck steigt mit zunehmender Wachzeit an – je länger man wach ist, desto größer wird das Bedürfnis, zu schlafen. Während der Nacht, besonders im Tiefschlaf, wird dieser Druck wieder abgebaut. Deshalb muss man nach einer durchwachten Nacht nicht doppelt so lange schlafen, um sich zu erholen: Der Körper kompensiert die längere Wachzeit durch mehr Tiefschlaf. Der zweite Prozess, der zirkadiane Rhythmus, wird im Hypothalamus vom Nucleus suprachiasmaticus gesteuert. Dieses System reguliert den 24-Stunden-Rhythmus des Körpers und bleibt auch ohne äußere Zeitgeber wie Tageslicht weitgehend stabil. Das Zusammenspiel von Schlafdruck und zirkadianem System erklärt Phänomene wie Jetlag oder Schlafprobleme bei Schichtarbeit. Es zeigt, dass der Schlaf flexibel und anpassungsfähig ist und der Körper in der Lage bleibt, auch nach Schlafmangel wieder in ein Gleichgewicht zu finden.

Wann liegt eine Insomnie vor?

Leidet eine Person mehr als 3-mal/Woche über mindestens 3 Monate unter Ein- und Durchschlafstörungen oder Früherwachen UND zusätzlich unter einer eingeschränkten Tagesbefindlichkeit, liegt per definitionem eine chronische Insomnie vor. Ein übermäßiges Schlafbedürfnis von mehr als 9 Stunden wird hingegen als Hypersomnie bezeichnet.

Kurz dauernde Ein- und Durchschlafstörungen sind wahrscheinlich allen Menschen mehr oder weniger bekannt und haben keinen Krankheitswert. Gestörter Schlaf allein bedeutet also nicht Insomnie. Personen mit Insomnien haben andere Symptome als Menschen, die nur wenig schlafen. Während Gesunde mit gestörtem Schlaf typische Zeichen von Schlafmangel aufweisen, nämlich eine erhöhte Tagesschläfrigkeit und ein Nachlassen der Leistungsfähigkeit, sind Insomniepa-tient:innen unfähig, den verlorenen Schlaf tagsüber nachzuholen und dabei noch relativ leistungsfähig. Wir sprechen hier von einem typischen Hyperarousal, was sich durch chronische Anspannung auszeichnet, die sowohl vegetativ als auch kognitiv auftritt. Die Betroffenen klagen über das Gefühl, nicht abschalten zu können, und kommen nicht zur Ruhe. Es kommt zu starker Fokussierung auf die Schlafprobleme, und der Schlafmangel wird zur Hauptbeschwerde. Angst vor den Folgen, Konzentrationsstörungen und eine ständige Erschöpfung sind die Folgen. Oft kommt es zu depressiven Symptomen, Krankschreibungen und Hypnotikamissbrauch.

Kognitive Verhaltenstherapie bei Insomnie (KVT-I)

Therapeutisch gilt die KVT-I als Goldstandard der Behandlung. Sie ist einfach anzuwenden, sehr wirksam und ohne Nebenwirkungen – wird aber in der Praxis leider noch zu selten umgesetzt. Zentrale Elemente sind die „Schlafrestriktion“, wo mithilfe eines Schlaftagebuches über eine Woche die ungefähre Schlafdauer ermittelt wird. Anschließend wird die Bettzeit auf diesen Durchschnitt (idealerweise unter 7 Stunden) verkürzt, Tagschlaf sollte vermieden werden. Diese „Stimuluskontrolle“ beinhaltet, dass nur bei deutlicher Müdigkeit zu Bett gegangen wird, dieses ausschließlich zum Schlafen genutzt wird und bei länger als 15 Minuten dauernder Wachphase das Bett wieder zu verlassen und einer anderen Tätigkeit nachzugehen ist. Morgendlich soll täglich zur gleichen Zeit aufgestanden werden. Ergänzend sind diverse Entspannungsmethoden wie z. B. progressive Muskelentspannung, Meditationen etc. zu etablieren, um die innere Anspannung abends herunterzuregulieren.

Medikamentöse Therapie

Medikamente kommen nur kurzfristig zum Einsatz, meist zur Überbrückung bis zur Wirksamkeit der Verhaltenstherapie. Eine Behandlung sollte im Regelfall nicht länger als 4Wochen dauern. Das Medikament sollte keine morgendliche Benommenheit verursachen, das Unfallrisiko nicht erhöhen, nicht abhängig machen und keine unerwünschte Gewichtszunahme hervorrufen. Zu den wichtigsten Substanzgruppen zählen Z-Substanzen, Benzodiazepine, sedierende Antidepressiva und Antipsychotika, wobei keines dieser Medikamente oben genannte Kriterien voll erfüllt.

Aktuell wird in Österreich als zusätzliche Behandlungsoption Daridorexant etabliert. Es wirkt, indem es die Wirkung des wachheitsfördernden Hormons Orexin blockiert. Das Medikament verbessert sowohl das Ein- als auch das Durchschlafen und wirkt sich positiv auf die Tagesaktivität auf. Es wird von den Krankenkassen nur finanziert, wenn eine klinisch relevante Insomnie (ISI-Score > 15) vorliegt, KVT-I-Maßnahmen nicht ausreichend sind und die übliche Medikation nicht anschlägt, zu Nebenwirkungen führt oder eine Gefahr der Abhängigkeit besteht.

Die Insomnie stellt zwar eine weit verbreitete Belastung dar, kann aber mit dem richtigen Verständnis und einer konsequenten Therapie in den meisten Fällen erfolgreich behandelt und langfristig verbessert werden.