Das Von-Willebrand-Syndrom (VWS) gilt als die häufigste angeborene Blutgerinnungsstörung und wird durch einen Mangel oder qualitativen Defekt des Von-Willebrand-Faktors (VWF) verursacht. Da Faktor VIII (FVIII) im Plasma durch das VWF-Protein stabilisiert wird, können Patient:innen mit VWS auch erniedrigte FVIII-Werte haben.
Patient:innen mit VWS präsentieren sich vor allem mit Schleimhautblutungen, Menorrhagie, Hämatomneigung und Blutungen nach Operationen oder Geburten. Bei Patient:innen mit der schwersten Form des VWS, einem kompletten Fehlen des VWF (Typ 3), kann es auch zu spontanen Gelenkblutungen kommen. Zur Erfassung einer ausführlichen und strukturierten Blutungsanamnese wird die Verwendung des Bleeding-Assessment-Tools der International Society on Thrombosis and Haemostasis (ISTH-BAT) zur Dokumentation des Blutungsphänotyps bei einem möglichen VWS empfohlen. In vielen Fällen besteht eine positive Familienanamnese, da die meisten Subtypen des VWS autosomal-dominant vererbt werden.
Die Untersuchung auf das Vorliegen eines VWS sollte bei allen Patient:innen mit einer klinisch relevanten Blutungsneigung erfolgen. Eine solche liegt generell bei einem ISTH-BAT oberhalb des Grenzwertes (≥ 6 bei Frauen, ≥ 4 bei Männern) vor. Bei Verwandten von VWS-Patient:innen und in spezialisierten Einrichtungen (z. B. Gerinnungsambulanz) soll aufgrund einer höheren Vortestwahrscheinlichkeit eine VWS-Diagnostik unabhängig vom ISTH-BAT erfolgen. Zur initialen Abklärung ist dann neben einem großen Blutbild und den Globaltests der Gerinnung eine Bestimmung von VWF-Antigen (VWF:Ag), VWF-Aktivität (VWF:Act; repräsentiert die Interaktion des VWF mit dem thrombozytären GP-Ib-Rezeptor) und der FVIII-Aktivität empfohlen.
Obwohl VWF-Spiegel instabil sind und stark variieren, ist eine wiederholte Bestimmung zur Diagnosesicherung des VWS laut den aktuellen Guidelines nicht zwingend erforderlich. Allerdings können verschiedene Einflussfaktoren dazu führen, dass ein VWS nicht erkannt wird. Sowohl unsere Daten aus einer prospektiven Kohortenstudie zu Patient:innen mit milder Blutungsneigung als auch Daten anderer Forschungsgruppen legen die Notwendigkeit von wiederholten Messungen zur richtigen Abklärung eines VWS nahe. Insbesondere bei VWF-Werten < 80 IU/dl könnten wiederhole Bestimmungen der VWF-Spiegel erforderlich sein.
Die Kenntnis von Schwierigkeiten und Limitationen ist entscheidend, da bei einem großen Teil der Patient:innen mit milder bis moderater Blutungsneigung keine Diagnose gestellt werden kann (Bleeding Disorder of unknown Cause, BDUC). Die Diagnose des VWS kann durch verschiedene Faktoren erschwert werden, die zu einer Erhöhung der VWF-Werte führen. Daher sollten diese Faktoren nach Möglichkeit zum Zeitpunkt der Blutabnahme vermieden bzw. berücksichtigt werden:
Bei Verdacht auf ein Von-Willebrand-Syndrom sollten andere Ursachen für Blutungsneigungen abgeklärt werden. Wichtige Differenzialdiagnosen sind milde Hämophilien (Faktor-VIII/IX-Mangel), angeborene Thrombozytenfunktionsstörungen, das seltene thrombozytäre VWS (Platelet-Type von Willebrand Disease, PT-VWD), erworbener VWF-Mangel bei älteren Patient:innen oder Vorerkrankungen sowie andere Koagulopathien und systemische Erkrankungen mit Einfluss auf die Hämostase. Die gezielte Laboranalyse, einschließlich VWF-Antigen und -Aktivität sowie Multimeranalyse und Faktorbestimmungen, ist entscheidend zur sicheren Abgrenzung.
Das Ziel der Therapie ist die Korrektur des primären (VWF-bedingten) und sekundären (Faktor-VIII-bedingten) Hämostasedefektes. Die Wahl der Behandlung richtet sich nach dem VWS-Typ, der Schwere und Lokalisation der Blutung sowie nach der Notwendigkeit einer Blutungsprophylaxe (z. B. bei Operationen, Geburten oder ausgeprägter Blutungsneigung). Zu den verfügbaren Therapieoptionen zählen Desmopressin (DDAVP), plasmatische oder rekombinante VWF-Konzentrate sowie kombinierte VWF/FVIII-Präparate. Ergänzend können Tranexamsäure und lokale Hämostyptika eingesetzt werden.
Bei Patient:innen mit VWS Typ 3 oder häufigen schweren Blutungen kann eine regelmäßige Prophylaxe mit VWF-Konzentrat (in der Regel 1–2-mal pro Woche) zur Anwendung kommen, um das Blutungsrisiko zu verringern.