Sicher zwischen Hypo und High

Der vorliegende Beitrag soll dazu beitragen, evidenzbasierte Empfehlungen für ein sicheres und effektives Sporttreiben bei Personen mit DM-1 zu vermitteln und deren Umsetzung in der klinischen Praxis unterstützen.

Sport als Ressource und Herausforderung zugleich

Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 (DM-1) profitieren von einem physisch aktiven Lebensstil in vergleichbarem Maße wie Personen ohne DM-1. Physische Aktivität und Sport sind unverzichtbare Bestandteile der modernen Therapie bei Diabetes mellitus Typ 1 (DM-1). Beide verbessern die Insulinsensitivität, senken das kardiovaskuläre Risiko insbesondere im Hinblick auf die Reduktion mikro- und makrovaskulärer Komplikationen und steigern die Lebensqualität und psychisches Wohlbefinden. Gleichzeitig ist Bewegung eine der größten Herausforderungen im Glukosemanagement: Jede Einheit beeinflusst den Metabolismus anders, je nach Intensität, Dauer, Tageszeit, Mahlzeiten und vor allem nach der gewählten Insulintherapie. Die aktuellen internationale Leitlinien der Europäischen Diabetesgesellschaft (EASD) und der Internationalen Gesellschaft für Diabetes bei Kindern und Jugendlichen (ISPAD) geben erstmals ein integriertes Konzept für das Management körperlicher Aktivität bei DM-1 vor. Sie betonen die Bedeutung eines strukturierten Vorgehens vor, während und nach dem Sport über alle Therapieformen hinweg, mit einem besonderen Fokus auf die zunehmende Rolle automatisierter Insulinabgabesysteme (AID).

Individuell angepasste Insulintherapie im Sport-Kontext

Körperliche Aktivität führt bei Menschen mit DM-1 zu komplexen physiologischen Veränderungen. Aerobe Belastungen wie Laufen oder Schwimmen senken den Glukosespiegel, während anaerobe oder hochintensive Intervalle einen transienten Anstieg verursachen können. Diese Dynamik macht eine individuelle Anpassung der Insulintherapie erforderlich. Kontinuierliche Glukosemesssysteme (CGM) sind dabei zu einem unverzichtbaren Hilfsmittel geworden, denn sie ermöglichen Trendanalysen, frühzeitige Warnungen und eine präzise Abstimmung von Kohlenhydratzufuhr und Insulindosierung.

Insulin-Pen-Therapie – Basisanpassung mit Flexibilität: Bei der Insulin-Pen-Therapie (MDI) ist der Handlungsspielraum eingeschränkt, da die Basalinsulinwirkung über viele Stunden anhält, aber dennoch können gezielte Anpassungen Hypoglykämien vermeiden:
Am Tag geplanter Aktivität kann das Basalinsulin um etwa 25 % reduziert werden. Wird innerhalb von 2 Stunden vor dem Sport eine Mahlzeit eingenommen, sollte der Bolus um 25–50 % reduziert werden. Während der Aktivität gilt: Glukose < 126 mg/dl ➔ 3–20 g Kohlenhydrate zuführen, abhängig vom Trendpfeil des CGM. Nach der Aktivität bleibt das Hypoglykämierisiko, insbesondere nachts, erhöht; engmaschige Glukosekontrolle und ein erhöhter Hypoglykämiealarmwert oder ein kleiner Spätimbiss (proteinreich) sind daher ratsam.

Insulinpumpentherapie – flexible Steuerung über temporäre Basalraten: Die Insulinpumpentherapie (CSII) bietet viel therapeutischen Spielraum. Empfohlen wird eine Reduktion der Basalrate um 50–80 %, beginnend 1–2 Stunden vor Aktivitätsbeginn. Bei längeren oder intensiven Belastungen kann die temporäre Basalratenabsenkung während der gesamten Aktivitätsdauer fortgeführt werden. In Kombination mit regelmäßigen Glukosemessungen (oder CGM) lässt sich der Stoffwechsel sehr gut stabil halten. Auch hier gilt: Kleine Kohlenhydratzufuhr bei sinkenden Werten ist essenziell, besonders bei längeren Ausdauereinheiten. Nach dem Sport sollte die Basalrate ggf. weiter reduziert bleiben, um die verzögerte Insulinwirkung und gesteigerte Insulinsensitivität durch die Aktivität auszugleichen.

Automatisierte Systeme (AID) im Mittelpunkt moderner Therapie: Der größte Fortschritt liegt in den automatisierten Insulinabgabesystemen (AID). Diese sogenannten Hybrid-Closed-Loop-Systeme kombinieren CGM-Daten mit einem Algorithmus, der die Insulinzufuhr über eine Insulinpumpe in Echtzeit anpasst. Sie haben die Versorgung mit signifikant längerer Zeit im Zielbereich (70–180 mg/dl) und weniger Hypoglykämien revolutioniert. Allerdings bleibt körperliche Aktivität eine partielle Herausforderung für jeden Algorithmus. Während das System laufend die Glukosekurve analysiert, kann es auf plötzliche Änderungen der Insulinsensitivität, wie sie durch Bewegung entstehen, nur verzögert reagieren. Deshalb sind manuelle Anpassungen weiterhin entscheidend.

Empfohlen wird, den „Sportmodus“ oder „temporären/persönlichen Glukosezielwert“ (meist 150 mg/dl) etwa 1–2 Stunden vor geplanter Aktivität zu aktivieren. Dadurch reduziert das System die Insulinzufuhr bereits präventiv. Während der Aktivität sollten Trendpfeile engmaschig kontrolliert werden, um frühzeitig Kohlenhydrate (3–20 g) nachzuführen. Nach dem Sport kann der erhöhte Glukosezielwert für mehrere Stunden beibehalten werden, um späte Hypoglykämien zu vermeiden. Für die Praxis bedeutet das: Ärzt:innen sollten die Funktionsweise des jeweils verwendeten Systems (z. B. Algorithmenlogik, Insulin-on-Board-Berechnung, CGM-Latenz) kennen, um gemeinsam mit den Patient:innen individuelle Strategien zu entwickeln.

Conclusio

Das Therapiemanagement muss sich im Kontext von physischen Aktivitäten an 3 Phasen orientieren:

  • Vor der Aktivität: Insulindosisreduktion bzw. Sportmodus aktivieren.
  • Während der Aktivität: CGM-Trends beobachten, Kohlenhydrate nach Bedarf zuführen.
  • Nach der Aktivität: Bei Bedarf Insulindosis vorübergehend weiter reduziert halten, Hypoglykämiekontrolle fortsetzen.

Alle Therapieformen – MDI, CSII und AID – verdienen Berücksichtigung. Der Fokus sollte jedoch auf den AID-Systemen liegen, da sie das modernste und sicherste Werkzeug im Alltag darstellen. Dies bedeutet für Ärzt:innen: aktiv nach Bewegung fragen, Gerätefunktionen kennen, patientenindividuelle Strategien erarbeiten und Bewegung als festen, sicheren Bestandteil moderner Diabetesbetreuung fördern.