50 Jahre ÖGAM – wir gratulieren!

Zur Geschichte der ÖGAM

Schon vor dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich in den USA ein zunehmender Trend hin zum Spezialistentum ab, Allgemeinmediziner wurden aus den Krankenhäusern verdrängt, Jungärzte strebten Facharztausbildungen an – dem versuchten die Gründerväter der Allgemeinmedizin entgegenzutreten. Die allererste „Academy of General practice“ wurde Ende der 1940er Jahre in den USA gegründet, es folgten Kanada und England (1952 „Royal College of General Practitioners“). Auch im deutschsprachigen Raum fanden sich engagierte Allgemeinmediziner zusammen: 1959 erfolgte die Gründung der „Gesellschaft für praktisch angewandte Medizin“ (College of Medical Practice, später Societas Internationalis Medicinae Generalis, SIMG) unter Mitwirkung von Dr. Braun aus Brunn an der Wild und engagierten Kollegen aus der damaligen BRD, DDR und der Schweiz. Die ersten Weltkongresse der wissenschaftlichen Colleges und Gesellschaften fanden 1964 in Montreal, 1966 in Salzburg und 1968 in New Delhi statt.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wurde die Österreichische Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM) im November 1966 in Innsbruck gegründet, ihr erster Präsident war DDr. Geiger (Tirol), Vizepräsidenten Dr. Heller (Kärnten) und Dr. Winter (Steiermark). Von Anfang an war geplant, sich neben Betonung der Wissenschaftlichkeit auch für eine praxisgerechte Fortbildung, eine moderne Praxisführung, die Lehrpraxis, die Praxisfamulatur und die Lehre der Allgemeinmedizin an den Universitäten einzusetzen. Es gab eine enge Zusammenarbeit zwischen SIMG und ÖGAM, die jährlichen Kongresse der SIMG fanden bis 1992 in Klagenfurt unter Mitwirkung der ÖGAM statt.

Einzige österreichischewissenschaftliche Vereinigungfür Allgemeinmedizin

Nach einigen Jahren mit wenig Aktivität gelang es 1975 OMR Dr. Heller, die ÖGAM als einzige österreichische wissenschaftliche Vereinigung für Allgemeinmedizin wiederzubeleben. Neben seinem Lehrauftrag für Allgemeinmedizin an der Universität Graz richtete er Famulatur-Lehrpraxen für Studenten ein und führte die Lehrpraxis für Allgemeinmediziner ein. In Wien waren schon Dr. Tutsch und Dr. Tönies sehr engagiert tätig, es konnte ein Lehrauftrag für Allgemeinmedizin geschaffen werden. Allmählich wurden in anderen Bundesländern Landesgesellschaften unter dem Dach der ÖGAM gegründet (Wien, OÖ, NÖ, Burgenland). 1969 fand der erste Kongress der STAFAM unter der Leitung von OMR Dr. A. v. Chizzola, später unter Dr. Fiala in Graz statt, der sich mittlerweile zum größten Allgemeinmedizinkongress Österreichs entwickelt hat. Im Juni 1990 wurde die ÖGAM durch den unerwarteten Tod des Präsidenten OMR Dr. Gottfried Heller erschüttert. Der damalige Vizepräsident Dr. Tutsch, langjähriger Weggefährte Dr. Hellers, übernahm bis Herbst 1991 die Führung.
Auf Dr. Wutzl als Präsident folgte 1993 Dr. Erwin Rebhandl, OÖ. Er blieb bis 2010 ein sehr aktiver Präsident der ÖGAM und modernisierte sie, mit neuen Statuten erhielt die ÖGAM eine den heutigen Verhältnissen angepasste Struktur. Mit Dr. Reinhold Glehr, ÖGAM-Präsident 2010 bis 2015, konnte die Gesellschaft in vielen Arbeitsgruppen an der Gesundheitsreform und Ausbildungsreform mitwirken, gesetzliche Grundlagen für neue Organisationsmodelle wurden geschaffen, das Konzept „Das Team rund um den Hausarzt“ wurde inhaltlich von der ÖGAM mitentwickelt, die Codierung mit ICPC2 wurde für die Allgemeinmedizin festgelegt. Seit 2015 ist Dr. Christoph Dachs aus Hallein neuer aktiver Präsident der ÖGAM.

Expertise in wesentlichengesundheitspolitischen Themen

Die ÖGAM arbeitet in zahlreichen internationalen Gremien aktiv mit. Nach der Vereinigung von WONCA Europe und SIMG im Jahr 1995 trat die ÖGAM der WONCA bei und ist in den WONCA-Gremien und -Arbeitsgruppen wie EURACT, EGPRN, EQUIP, EURIPA und EUROPREV aktiv vertreten.
Ein wichtiger Meilenstein in der ÖGAM-Geschichte war der 6. Europäische Kongress für Allgemein- und Familienmedizin (WONCA-Europe 2000 VIENNA) in der Hofburg in Wien. Zu dieser Konferenz kamen über 2.200 Teilnehmer aus aller Welt nach Wien, sie hatte großen Einfluss auf die weitere positive Entwicklung der Allgemeinmedizin in Österreich. Die ÖGAM wurde als Partner in gesundheitspolitischen Fragen zunehmend anerkannt und zu wesentlichen gesundheitspolitischen Themen um ihre Expertise gefragt.
Im Jahr 2012 konnte der WONCA-Europe-Kongress noch einmal in Wien, diesmal im Austria-Center mit nunmehr 3.000 Teilnehmern, veranstaltet werden. Neuerlich wurde diese Tagung ein wichtiges Signal an die Gesundheitspolitik. Ärztliche Kunst im Zusammenspiel mit der Wissenschaft war das Generalthema.
Seit 16 Jahren veranstaltet die ÖGAM ihre einwöchige Wintertagung im Jänner am Arlberg. Der besondere Rahmen ermöglicht alljährlich zukunftsweisende Diskurse über die Entwicklung der Allgemeinmedizin.
Das finnische Projekt „EBM-Guidelines für Allgemeinmedizin“ wurde von einem Team unter der Leitung von Dr. Rabady für österreichische Verhältnisse umgesetzt. Mehr als 1.000 Artikel wurden aus dem Englischen übersetzt, laufend reviewt und für Österreich adaptiert. Es gibt das Buch seit 2005 (mittlerweile in 6. Auflage), die elektronische Version seit 2006.

Assoziierte Organisationen

Die JAMÖ (Junge Allgemeinmedizin Österreich, Young GP in Austria) wurde als assoziierte Organisation der ÖGAM 2006 gegründet. Die ÖGPAM, die Österreichische Gesellschaft für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin in der Allgemeinmedizin, die aus einer Arbeitsgruppe der ÖGAM hervorgegangen ist, wurde 2013 als Zweigverein gegründet, um den besonderen Stellenwert der Psychosomatik in der Allgemeinmedizin zu betonen.
Die universitäre Verankerung und die postpromotionelle allgemeinmedizinische Lehrpraxis sind seit Beginn Schwerpunkte der Arbeit. Prof. Manfred Maier hatte bis zu seiner Pensionierung 2016 den Lehrstuhl für Allgemeinmedizin an der MedUni Wien inne. 2006 wurde Prof. Andreas Sönnichsen mit dem Lehrstuhl der PMU Salzburg betraut, den 2012 Frau Prof. Maria Flamm übernahm. 2015 wurde Prof. Dr. Andrea Siebenhofer mit der Leitung des neu gegründeten Instituts für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung der MedUni Graz betraut.
Die ÖGAM hat unermüdlich auf die Wichtigkeit der praxisnahen Ausbildung für junge Allgemeinmediziner hingewiesen. Im neuen Ausbildungsgesetz für Ärzte ist nun die verpflichtende sechsmonatige Lehrpraxisausbildung festgeschrieben, die in den nächsten Jahren auf 12 Monate verlängert werden soll. 2016 wurde dazu ein Konzept zur Ausbildung von Lehrpraxisleitern entwickelt, das derzeit in Zusammenarbeit mit den Landesärztekammern umgesetzt wird.
Die ÖGAM ist in unzähligen Gremien und Arbeitsgruppen auf Bundesebene und Landesebene vertreten, sowohl in gesundheitspolitischen Belangen als auch in fachlichen Diskussionen zu medizinischen Themen wie Schmerz, Diabetes u.ä.
Die ÖGAM ist in den 50 Jahren ihres Bestehens von einer kleinen Gruppe engagierter Pioniere zu einem unübersehbaren Player im österreichischen Gesundheitswesen gewachsen. Ihre Bedeutung ist gerade in einer Umbruchzeit, wie sie derzeit vorliegt, unverändert groß, um den Patientinnen und Patienten Österreichs eine gute, soziale und solidarische, wohnortnahe medizinische Grundversorgung für die Zukunft zu sichern.