Chronischer Hypoparathyreoidismus: eine „Zwei-Hormon-Mangel-Erkrankung“

Die fehlende Produktion bzw. Sekretion des Parathormons aus der Parathyreoidea ist selten angeboren (genetisch) und am häufigsten erworben, meistens als Nebenwirkung einer Thyreoidektomie oder Neck Dissection. Die Symptome variieren je nach Schweregrad der Erkrankung und führen zu einer Verminderung der Lebensqualität und meistens auch zu typischen neuromuskulären Symptomen, die durch die Hypokalzämie erklärbar sind (Parästhesien, Muskelschwäche, Tetanien). Immer mehr zeigen sich jedoch auch „atypische“ Beschwerden. Die Standardtherapie besteht in der Substitution von Kalzium und nativem und aktivem Vitamin D. Sie zielt auf eine Normalisierung des Kalziumspiegels und Besserung der klinischen Symptome ab. Bei unzureichendem Erfolg wird das fehlende Hormon durch das rekombinante humane Parathormon ersetzt, das einmal täglich subkutan selbst verabreicht wird.

Mögliche Ursachen

Die häufigste Ursache ist eine Entfernung oder Schädigung (zum Beispiel Ischämie) mehrerer Nebenschilddrüsen während oder nach einer Schilddrüsenoperation. Der postoperative Hypoparathyreoidismus betrifft zumeist Frauen, wird oft unmittelbar nach der Operation diagnostiziert und kann auch transient (bis einige Monate postoperativ) sein. Gelegentlich tritt der Hypoparathyreoidismus aber auch erst Jahre nach der Operation auf, daher empfehlen sich nach einer Schilddrüsen- oder sonstigen großen Halsoperation, wie zum Beispiel bei HNO-Malignomen, regel-mäßige (zumindest jährliche) Kalzium-Kontrollen. Andere Ursachen des erworbenen Hypoparathyreoidismus sind autoimmune und Speichererkrankungen (Tab. 1).
Eine eigene ätiologische Entität ist der Pseudohypoparathyreoidismus: eine vererbte Erkrankung, welche durch Parathormon-Resistenz in den Zielorganen und daher Hypokalzämie trotz erhöhtem Parathormon charakterisiert ist.

 

 

Diagnose und Klinik

Für die Diagnose des Hypoparathyreoidismus sind gesenkte Konzentrationen von ionisiertem Kalzium und albuminkorrigiertem Kalzium sowie ein hierfür unangemessen niedriges PTH notwendig (dieses kann aber auch im Normbereich liegen!). Die Phosphatspiegel sind erhöht oder im oberen Normbereich, während die Konzentration von 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D oft gesenkt ist oder im unteren Normbereich liegt (Tab. 2). Zusätzlich sollten auch Kreatinin und Magnesium bestimmt werden.

 

 

Klinisch bewirken die niedrigen Kalziumkonzentrationen eine Steigerung der neuromuskulären Erregbarkeit, die zu Taubheitsgefühl, Parästhesien, Spasmen und Muskelkrämpfen bis zu Tetanien führt. Betroffen sind aber fast alle Organsysteme, und Komplikationen inkludieren Katarakte, Myopathien, Nephrokalzinose, Nephrolithiasis, eingeschränkte kognitive Fähigkeiten, neuropsychiatrische Symptome wie Depressio, Kalzifikationen der Basalganglien, Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz und oft stark eingeschränkte Leistungsfähigkeit. Die Patienten berichten häufig auch über sowohl physische als auch psychische Probleme, die zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität führen. Die Mortalitätsrate bei Patienten mit postoperativem Hypoparathyreoidismus ist etwa zweifach erhöht. Der Schweregrad des postoperativen Hypoparathyreoidismus ist vermutlich in erster Linie von der Anzahl geschädigter Nebenschilddrüsen abhängig, was sich in der PTH-Konzentration widerspiegelt, aber aufgrund der fehlenden Validierung der gängigen PTH-Assays im sehr niedrigen Bereich ungenau ist.

Therapeutische Optionen

Als Standardtherapie empfiehlt sich Kalzium in der Dosierung von 20–30 mg/kg pro Tag (max. 1.500 mg verteilt über den Tag auf Einzeldosen von maximal 500 mg) und ein aktives Vitamin-D-Präparat, entweder Calcitriol (Rocaltrol®) 20–40 ng/kg pro Tag, oder Alfacalcidol-Tropfen (Etalpha „Leo“) 50 ng/kg pro Tag. In Sonderfällen kann auch Dihydrotachysterol (A.T.-10®-Tropfen, Import aus Deutschland) versucht werden, bei manchen Patienten zeigt sich durch die lange Halbwertszeit eine sehr stabile Einstellung.
Wichtiger, aber unterschätzter Bestandteil der Therapie ist eine phosphatarme Ernährung oder das Einsetzen von Phosphatbindern. Auch eine häufig vorliegende Hypomagnesiämie sollte substituiert werden. Der Schweregrad der Erkrankung ist höchst unterschiedlich: Manche Patienten sind unter Substitution mit Kalzium und Vitamin D sehr gut kontrolliert und führen ein normales Leben, andere können nie normale Kalziumspiegel erreichen, da das Fehlen von Parathormon eine deutliche Hyperkalzurie verursacht. In diesen Situationen können Thiaziddiuretika eingesetzt werden, da sie die Kalzium-Rückresorption im distalen Nephron erhöhen und dadurch sowohl die Hypokalzämie als auch die Hyperkalzurie therapieren. Leider werden die diuretische Wirkung und Blutdrucksenkung von vielen Patienten nicht vertragen, manchmal kann aber auch eine sehr niedrig dosierte Gabe eines Thiaziddiuretikums (z. B. Hydrochlorothiazid 12,5 mg täglich oder 2-mal täglich) schon hilfreich sein.

 

PTH-Wirkung in der Kalzium-Regulation
Eine Reduktion des Serumkalziums führt über den Calcium-sensing-Rezeptor (CaSR) zur vermehrten Produktion und anschließend zur Sezernierung von Parathormon (PTH). Dieser steigert den Kalziumspiegel durch 1) Stimulierung der Kalziumfreisetzung aus dem Knochen, 2) Steigerung der Kalziumrückresorption in der Niere und 3) Stimulierung der 25-OH-Vitamin-D-Hydroxylierung, das heißt der Produktion von aktivem 1,25-Dihydroxyvitamin D, welches dann die Kalziumaufnahme über den Darm fördert. Daher führt ein Mangel an PTH auch zu einer Verminderung von aktivem Vitamin D, und Hypoparathyreoidismus ist als „Zwei-Hormon-Mangel-Erkrankung“ zu sehen.

 

Therapieziele

Ziel der Therapie ist ein albuminkorrigiertes Kalzium im unteren Normbereich sowie die Besserung der hypokalzämiebedingten Symptome. Parallel dazu sollten Weichteilverkalkungen/Steinbildungen vermieden bzw. die Kalzium-Exkretion im 24-h-Harn im niedrigen/normalen Bereich gehalten werden (Tab. 2).
Für Patienten, die diese Ziele unter Standardtherapie nicht erreichen, bietet sich das rekombinante humane Parathormon Natpar® an (rhPTH 1-84), welches seit 2017 in Europa zugelassen ist. Dieses wird einmal täglich subkutan appliziert. Wegen des raschen Ansprechens sollte bereits zum Zeitpunkt der ersten Injektion die aktive Vitamin-D3-Dosis um 50 % reduziert werden und das Serumkalzium unter 2,25 mmol/l liegen, um Hyperkalzämien zu vermeiden. Nach Therapiebeginn sollte der Kalziumspiegel anfangs zumindest wöchentlich, idealerweise 12 Stunden nach Gabe, kontrolliert werden; bei stabiler Einstellung genügen nach der Einstellungsphase Kontrollen alle 3 Monate. Sowohl die Studienlage als auch die persönlichen Erfahrungen bestätigen, dass für viele schwer einstellbare Patienten nur die Substitution des fehlenden Hormons zu einer deutlichen Besserung der klinischen Symptome und zur Verbesserung der Lebensqualität führt.

 


 

Wissenswertes für die Praxis

  • Der chronische Hypoparathyreoidismus ist eine seltene endokrine Erkrankung. Hauptursache ist das Fehlen des Parathormons mit konsekutiver Hypokalzämie.
  • Der Schweregrad der Erkrankung ist höchst unterschiedlich, viele Patienten leiden an chronischen Beschwerden und berichten über eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität.
  • Die Standardtherapie besteht in der Substitution von Kalzium und aktivem Vitamin D;
  • Wichtiger, aber unterschätzter Bestandteil der Therapie ist eine phosphatarme Ernährung oder das Einsetzen von Phosphatbindern
  • Für schwer einstellbare Patienten können die klinischen und biochemischen Ziele nur nach Verabreichung des fehlenden Hormons (rekombinantes humanes Parathormon) erreicht werden.