COVID-19-Pandemie 2020: Ein Rückblick aus hausärztlicher Sicht

Das Corona-Virus SARS-CoV-2 hat uns alle überrascht. Wir waren plötzlich mit einer neuen Situation konfrontiert, die wir alle in dieser Form in unserer Praxiszeit noch nicht erlebt hatten. Es gab mit dem „Lockdown“ am 16. März wenig klare Anweisungen und viel Spekulation, und wir alle wussten nicht, wie sich das Virus verhalten wird bzw. wir uns dem Virus gegenüber verhalten sollten. Erste Horrormeldungen kamen aus Italien und danach aus Frankreich und Spanien, Militärlastwagen mit Särgen und Massenbegräbnisse ohne Angehörige wurden uns als Bilder frei Haus geliefert. Das hat zu berechtigten Ängsten bei einem großen Teil der Bevölkerung geführt. Die Politik ging damals ebenfalls von hohen Infektionszahlen und massiven Todesfällen aus und hat auch dementsprechend – aus meiner Sicht sehr vernünftig – reagiert.

Wir Hausärztinnen und Hausärzte mussten sehr rasch unsere Ordinationen und Ordinationsabläufe umstellen, um den Spagat zwischen Selbst- und Fremdschutz und optimaler Patientenversorgung zu schaffen. Das ist uns zum Großteil gut und mit viel Engagement gelungen. Eine große Herausforderung war, rechtzeitig und in großem Umfang Schutzausrüstung zu bekommen. Schuldzuweisungen von mancher Seite, wir hätten die Verpflichtung gehabt, ausreichend Schutzmaßnahmen in den Praxen vorzuhalten, mutet eigenartig an in einer Zeit, in der auch in Krankenhäusern und anderen öffentlichen Institutionen viel zu wenig vorhanden war und wir auch nicht die Möglichkeit hatten, akut welche zu besorgen. Dennoch gab es von Seiten der Allgemeinmedizin große Anstrengungen, zu Schutzausrüstung zu kommen, und diese hatte zum Teil auch großen Erfolg, nicht zuletzt auf Grund großzügiger Spenden von Firmen und Initiativen von Privatpersonen. Im Moment scheint österreichweit genug Schutzausrüstung vorhanden zu sein, sodass wir für eine weitere Welle einer möglichen Pandemie deutlich besser gerüstet sind.
Wir sind stolz, dass über 90 % der Allgemeinmedizin-Praxen in Österreich über die Hochzeit der Pandemie geöffnet hatten, einige mussten aus Quarantäne-Gründen die Ordination partiell zusperren.

Es hat sich gezeigt, wie wichtig die Rolle einer gut funktionierenden Hausarztmedizin in solchen Zeiten ist. Wir hatten nicht nur mit möglichen Corona-Patienten zu tun, es gab daneben auch noch das normale Spektrum der Hausarztmedizin abzudecken wie „normale Infekte“ und vor allem die weitere Betreuung der chronisch Kranken, die genauso wichtig ist. In dieser Zeit gab es für uns sogar erschwerte Bedingungen, da der Zugang zum Krankenhaus und den Spezialisten nur schwer oder in manchen Fällen überhaupt nicht möglich war. So mussten wir selbst viele Entscheidungen treffen. Wir haben gelernt, die Patientenströme durch Terminvergabe und gute Aufklärung zu lenken, sie im Vorfeld zu triagieren. Wir haben uns ein stückweit der Telemedizin genähert, haben vieles im Vorfeld am Telefon geklärt und dies mit Unterstützung der Krankenkassen auch abrechnen können. Viele von uns sind weiter Visiten gefahren, wenn auch vorsichtig und mit den notwendigen Schutzmaßnahmen. Das hat auch gut geklappt, und in unseren Reihen gab es wenig Infizierte – bis auf den tragischen Tod eines Kollegen aus Niederösterreich, den wir sehr bedauern.

Trotzdem müssen wir auch über negative Auswirkungen nachdenken, dürfen Manöverkritik üben. Manchmal waren wir auch zu restriktiv mit dem Fernhalten des Patienten. Ich habe Patienten erlebt, die positiv getestet von keinem Arzt mehr angeschaut wurden und die mit relativer Dyspnoe nach 6 Wochen weder beim Lungenfacharzt, beim Hausarzt noch in der Klink angeschaut wurden. Das sollte in Zukunft nicht passieren. Wir haben zu wenig verlässliche Zahlen über mögliche Kollateralschäden, das gehört auf alle Fälle angeschaut und aufgearbeitet. Dabei sollten wir nicht nur auf die physischen Faktoren achten, sondern auch der gesamte psychosoziale Bereich gehört miteinbezogen.
Die Politik und die Verantwortlichen des Gesundheitssystems täten gut daran, das Hausarztsystem zu stärken, da es nicht nur in Pandemiezeiten eine wesentliche Stütze des Gesundheitssystems darstellt. Das haben wir in diesen Zeiten auch auf exzellente Weise zeigen können.
Wir als ÖGAM bemühen uns sehr, die wichtige Rolle der Hausarztmedizin hervorzuheben, und wir haben auch für eine nächste mögliche Welle der Pandemie ein Konzept für die Hausarztmedizin entwickelt, mit klaren Forderungen an Politik und Krankenkasse. Wenn diese umgesetzt werden, sind wir überzeugt, dass wir auch die nächste Krise gut bewältigen werden.
Wir danken allen Hausärztinnen und Hausärzten, für das tolle Engagement, das ihr während der 1. Welle der Pandemie geleistet und damit die Bedeutung der Hausarztmedizin aufgezeigt habt.