Das bringt Türkis-Grün für die Ärzte

„Rudolf Anschober hat sich den Ruf erarbeitet, konsequent und hartnäckig für den sozialen Gedanken in der Gesundheitspolitik einzutreten. Sein soziales Engagement und seine unbestreitbare Kompetenz zeichnen ihn aus“, sagte Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, zur neuen türkis-grünen Regierung. Nachsatz: Es mangelt nicht an Aufgaben. Zu diesen gehören für Szekeres unbesetzte Kassenstellen, überlastete Spitäler und eklatante Lücken beim Personal bei einer gleichzeitig steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung; Maßnahmen, um den Arztberuf attraktiver zu machen, österreichweit 1.300 neue Kassenstellen für Einzel- und Gruppenpraxen, besserer Schutz der Ärzteschaft vor Gewalt und nicht zuletzt mehr Geld im Gesundheitssystem. „Die lange angekündigte Patientenmilliarde muss endlich fließen“, sagt Szekeres.

Finanzierung bleibt unklar

Gerade die offenen Finanzierungsfragen sind einer der Kritikpunkte am Regierungspakt. Für Ärztekammer-Vizepräsident MR Johannes Steinhart ist das Abkommen „ein Programm, das zum Teil Forderungen der Ärztevertretung aufgreift, zum Teil Potenzial für politische Kontroversen beinhaltet und häufig keinen Mut zu Konkretisierungen erkennen lässt“. Die Bevölkerung habe ein Anrecht auf ein klares Bekenntnis, dass die künftige Regierung bereit ist, zusätzliches Geld in die Gesundheitsversorgung zu investieren, und auf Informationen, um welche Beträge es sich dabei handelt. Für die Ärztekammerspitzten ist klar: Österreich müsste bei den Gesundheitsausgaben anteilig mit Deutschland gleichziehen.

Keine neuen Selbstbehalte

Insgesamt bringt Türkis-Grün aber durchaus einige interessante Punkte: neben der Weiterentwicklung der E-Card, dem Ausbau der Primärversorgung, der Stärkung der wohnortnahen Versorgung durch Kassenärzte, der Erweiterung der Vertragsarztmodelle, einer Facharztoffensive, Landarztstipendien, der Stärkung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe, der Evaluierung der Zugangsbestimmungen zum Medizinstudium ist die Einführung eines Facharztes für Allgemeinmedizin geplant. Impfungen sollen forciert werden – es wird aber keine Impfpflicht geben. Auch der Punkt „Keine Ausweitung von Selbstbehalten für Arztbesuche im ASVG“ hat es ins Programm geschafft. Dafür soll es für alle Patienten Einschreibmodelle mit Anreizsystemen geben. Vor oder in den Spitälern sollen allgemeinmedizinische Akutordinationen zur vorgelagerten Versorgung etabliert werden. Im Bereich der Sozialversicherung gibt es ein Bekenntnis der Regierung zum Prinzip der Selbstver-waltung, in die umstrittene Kassenreform der ÖVP/FPÖ-Regierung scheint man aber nicht eingreifen zu wollen.

Gesundheit als Querschnittsprogramm

Gesundheit kommt im Regierungsprogramm, aber auch in den Bereichen Umweltpolitik, Integration, Armut, Pensionen, Pflege und Frauen vor. „Durch eine ambitionierte Umweltpolitik sichern wir Lebensqualität und ermöglichen damit Gesundheit, gute Ernährung, Wohlstand, einen zukunftsfähigen Standort und eine lebenswerte Welt für nachfolgende Generationen“, heißt es etwa. Im Bereich der Integration spricht man sich für eine Stärkung der Diversitätskompetenz im Gesundheitssystem sowie Health Literacy von Frauen und der Sensibilisierung in Bereichen der Frauengesundheit einschließlich der psychischen Gesundheit (wie Fluchttraumata, sexualisierte Gewalt) aus. Besonderes Augenmerk legt die neue Bundesregierung auch auf die Bekämpfung von Kinderarmut. „Kein Kind darf in Österreich zurückgelassen werden.“ Der Mutter-Kind-Pass soll zum Eltern-Kind-Pass bis zum 18. Lebensjahr weiterentwickelt werden. Auch die Altersarmut, vor allem bei Frauen, soll bekämpft werden, ebenso sollen Menschen mit Behinderung besser abgesichert werden.

Mehr gesunde Jahre

Wichtig sei, den Gesundheits- sowie Pflegebereich „stets gesamthaft zu betrachten“. Ziel müsse es sein, durch Prävention und Rehabilitation den Anteil an gesunden Jahren zu erhöhen und somit Pflegebedürftigkeit so lange wie möglich zu vermeiden. Dazu soll ein Fokus auf Prävention, Rehabilitation und Stärkung der Gesundheitskompetenz des Einzelnen gesetzt werden. Auch im Sportkapitel finden sich Gesundheitsaspekte. So sollen die regelmäßigen Gesundheitsuntersuchungen bei Pflichtschülern weiterentwickelt werden. Ebenso will man ein österreichweites Konzept für Gratisschwimmkurse für alle Menschen erarbeiten. In der Primarstufe sollen mindestens vier Sporttage und in der Sekundarstufe I und II mindestens je zwei Sportwochen kommen. Ebenso ist ein Konzept zur Förderung der Bewegung am Arbeitsplatz geplant – inklusive Förderungen für Unternehmen.

 

Das sind die wichtigsten Punkte aus Sicht der Ärzte

  • Aufwertung und Kompetenzerweiterung der Schulärzte inklusive Verwertung anonymisierter Daten
  • Aufwertung und Aufbau eines Systems von School und Community Nurses zur niederschwelligen und bedarfsorientierten Versorgung Schaffung gesundheitsfördernder Lebenswelten: Arbeit, Schule (zum Beispiel Getränke), Freizeit, Wohnen
  • Etablierung von finanziellen und sachlichen Anreizsystemen für gesundheitsfördernde Maßnahmen und Teilnahme an Präventionsprogrammen (zum Beispiel Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen)
  • Stärkung der betrieblichen Gesundheitsvorsorge durch alle Stakeholder
  • Weiterentwicklung Mutter-Kind-Pass zum Eltern-Kind-Pass bis zum 18. Lebensjahr
  • bessere Informationen und Beratungen über Impfungen
  • evidenzbasierte Modernisierung der Vorsorgeuntersuchungen
  • Überprüfung im Bereich der verschuldensunabhängigen Regelung von Schadensfällen
  • keine Ausweitung von Selbstbehalten für Arztbesuche im ASVG
  • telefonische Erstberatung 1450 aufwerten und weiterentwickeln
  • telemedizinische Behandlung bestmöglich umsetzen
  • Weiterentwicklung der E-Card als Schlüssel für papierlose Prozesse unter Berücksichtigung des Datenschutzes: E-Impfpass, E-Rezept, E-Befund, E-Transportschein, E-Medikation
  • ausnahmslose Nutzung von anonymisierten Daten zu wissenschaftlichen Zwecken
  • Ausbau der Primärversorgung, die den Bedürfnissen der Versicherten entgegenkommt (zum Beispiel Etablierung von allgemeinmedizinischen Akutordinationen, vor oder in den Spitälern zur vorgelagerten Versorgung); Ausbau von PVE und Facharztzentren – flexible Kooperationsmodelle
  • Abschaffung der unechten USt.-Befreiung bei Vermietung an Ärzte
  • Stärkung der integrierten Versorgung bei chronischen Krankheiten (Ausbau von Disease-Management-Programmen)
  • wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung durch niedergelassene Kassenärztinnen und Kassenärzte
  • Facharzt für Allgemeinmedizin – Attraktivierung der Allgemeinmediziner-Ausbildung (Klinisch-praktisches Jahr finanzieren). Ziel: Integration der Inhalte der Basisausbildung um das Klinisch-praktische Jahr
  • Erweiterung der Vertragsarztmodelle: Aufbauend auf dem heutigen Vertragspartnerrecht soll dieses weiterentwickelt und ausgebaut werden, um die Versorgung (vor allem im ländlichen Raum) sicherzustellen.
  • Spezielle Stipendienplätze an öffentlichen Universitäten, gekoppelt an befristete Verpflichtung, in Österreich ärztlich tätig zu sein, unter anderem Landarztstipendium
  • Facharztoffensive für Fächer mit Unterversorgung und Etablierung versorgungswirksamer Strukturen: Kinderarzt; Augenarzt; Kinder- und Jugendpsychiater
  • Stärkung und Aufwertung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe
  • Evaluierung der Zugangsbestimmungen zum Medizinstudium in Richtung Qualität, Inhalt und Umfang
  • Ärzteausbildung NEU mit Fokus Allgemeinmedizin
  • kontinuierliche Ausweitung des bestehenden Angebotes an Plätzen für das Medizinstudium und die anschließende Ärzteausbildung
  • Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in Alten- und Pflegeeinrichtungen inklusive der Flexibilisierung der Vertrags- und Versorgungsformen
  • wissenschaftliche Prüfung von Optionenmodellen (zum Beispiel für Hausärzte-Einschreibemodell, Einhaltung von Behandlungspfaden und dergleichen)
  • Ausbau der ambulanten Rehabilitation, die die stationäre Rehabilitation entlastet
  • Schaffung von Rahmenbedingungen, die die ärztliche Versorgung im Spitalsbereich sicherstellen (Arbeitszeitregelungen im Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz et cetera) (§ 4 Abs. 4b – befristete Verlängerung Opt-out)