Die Psyche des älteren Menschen

Psychische Erkrankungen bei älteren Menschen

Viele ältere Menschen – in Pflegeeinrichtungen ist es sogar die Mehrheit – leiden unter einer oder mehreren psychischen Erkrankungen beziehungsweise häufig unter mehreren psychischen und körperlichen Erkrankungen (psychisch-körperliche Multimorbidität): Hierbei geht es insbesondere um die folgenden 3 Patientengruppen:

1. Menschen, die mit einer psychischen Störung älter werden beziehungsweise alt geworden          sind

    • insbesondere chronische schizophrene und rezidivierende affektive Störungen.

2. Menschen, die im Alter erstmalig an einer psychischen Störung erkranken,

    • insbesondere die so genannten „3 Ds“: Demenz, Depression, Delir,
    • aber auch Angst- und Suchterkrankungen.

3.  Menschen, die multimorbid erkrankt sind (das heißt mit geriatrisch-internistisch-                      psychiatrischem Versorgungs-bedarf).

Integrierte Versorgung nach dem sozialpsychiatrischen Achsenmodell

Die damit verbundenen psychischen, körperlichen und sozialen Belastungen der Betroffenen – und auch ihrer Angehörigen – erfordern eine bedarfsgerechte Versorgung, die auf einer frühen Diagnose und Behandlung basiert (auch im Sinne einer rechtzeitigen Information, Beratung und Betreuung). Um dem komplexen psychosozialen Versorgungsbedarf insgesamt gerecht zu werden, braucht es eine umfassende und integrierte Versorgung gemäß den sechs Achsen des erweiterten sozialpsychiatrischen Achsenmodells (siehe Abb.):

 

 

Das Gerontopsychiatrische Zentrum (GPZ) der Psychosozialen Dienste in Wien (PSD-Wien). Das GPZ ist eine Kombination aus gerontopsychiatrischer spezialisierter Untersuchungs-, Diagnose- und Behandlungseinheit sowie einer Angehörigenberatung. Das multiprofessionelle Team (Fachärzte für Psychiatrie, psychiatrische Diplomkrankenpflege, klinische Psychologen, Sozialarbeiter) bietet: ambulante gerontopsychiatrische Beratung; klinisch-psychiatrische und neurologische Untersuchung; Abklärung der psychosozialen Problematik; neuropsychologische Untersuchung sowie telefonische Beratung und Information – auch für Allgemeinärzte sowie medizinische, pflegerische und soziale Dienste.

Die 3 Ds: Demenz, Depression, Delir

Die drei wesentlichen psychischen Krankheitsbilder älterer Menschen sind die so genannten „3 Ds“: Demenz, Depression und Delir – nicht zuletzt wegen ihrer Häufigkeit und Erkrankungsschwere, der resultierenden gesundheitlichen Einschränkungen sowie der mit ihnen verbundenen Krankheitskosten. Diese können einzeln, nebeneinander oder überlagert auftreten. Erschwert wird die Differenzialdiagnose noch dadurch, dass sich diese Erkrankungen in ihren Symptomen sehr ähnlich sein können. Häufig gehen die 3 Ds auch mit anderen körperlichen Erkrankungen einher und werden oft mit altersbedingten Veränderungen verwechselt.

Versorgungsherausforderung Demenz

Weltweit sind derzeit zwischen 50 und 60 Millionen Menschen von Demenzerkrankungen betroffen (2040: knapp 100 Millionen Betroffene). Laut WHO-Prognose werden Demenzerkrankungen, insbesondere die Alzheimer-Demenz, bereits 2030 an dritter Stelle der so genannten „Krankheitslast“ stehen. Demenz ist ein Oberbegriff für eine Kombination verschiedener Symptome, die seit mindestens sechs Monaten vorliegen und so stark sind, dass sie den Alltag beeinträchtigen:

  1. kognitive Beeinträchtigungen,
  2. Veränderungen des Verhaltens und auch psychische Störungen sowie
  3. Schwierigkeiten bei Alltagsfertigkeiten.

Demenz kann viele Ursachen beziehungsweise Formen oder Unterkategorien haben, wobei die Alzheimer-Erkrankungsform am häufigsten ist (60–70 %). „Demenz“ ist kein akutes Krankheitsgeschehen, sondern anhaltend und fortschreitend. Vor allem die Symptome unter Punkt 2 können jedoch akute Betreuungs-probleme verursachen.

Erhöhtes Risiko für Delir infolge Multimorbidität und Multimedikation

Im Gegensatz zur allmählichen Entwicklung eines Demenzsyndroms sind Delirien plötzliche Dekompensationen von Kognition und Aufmerksamkeit.

Folge von Multimorbidität und Multimedikation. Neben einer Reihe anderer Risikofaktoren für die Entstehung eines Delirs (zum Beispiel Alter per se, bestehende Demenz, Multimorbidität, Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt) ist Multimedikation ein weiterer erheblicher Risikofaktor. Es geht zum einen um unterschiedliche Metabolisierung bei älteren Menschen, zum anderen auch um die pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Wechselwirkungen. Besonders zu beachten ist bei älteren Menschen das anticholinerge Potenzial etlicher Medikamente, die dann zu einem anticholinergen Delir führen können. Problematische Substanzen mit erhöhtem anticholinergem Potenzial finden sich unter anderem bei Analgetika, Antihistaminika, Antiparkinsonmitteln, Antibiotika (besonders die Gyrasehemmer), auch bei Cardiaca und verschiedenen anderen Medikamentengruppen. Gleiches gilt auch für die Gruppe der Psychopharmaka, aber auch hier gibt es Substanzen mit einem günstigen Profil, was anticholinerge und Wechselwirkungen generell betrifft, und solche, die für ältere Menschen unter den genannten Gesichtspunkten nicht geeignet sind (siehe das „Psychopharmaka Austria Booklet 2020“, von M. Anditsch, P. Fasching, G. Pail, G. Psota, M. Rainer, A. Walter). Delirpräventiv wirken neben der Beachtung medikamentöser Aspekte auch ein entsprechender Elektrolyt- und Flüssigkeitshaushalt und Unterstützung beim Hören und Sehen sowie eine gut gestaltete Umgebung (siehe „Delirprävention“ nach Sharon K. Inouye).

Erhöhtes Suizidrisiko bei älteren Menschen

Psychische Erkrankungen gelten auch als unabhängige Hauptrisikofaktoren für Suizid im höheren Lebensalter. Am häufigsten dabei ist zwar die (unbehandelte) Depression, jedoch dürfen Angsterkrankungen in diesem Zusammenhang und als häufige psychische Erkrankungen bei älteren Menschen nicht vernachlässigt werden. Angstsymptome beziehungsweise Angststörungen kommen meist nicht isoliert vor, sondern viel häufiger in Form einer gemischten Angst- und depressiven Symptomatik. Auch häufig ist die Verbindung von Angst, Depression und Schmerz, die als so genannte „Leidenstrias“ bezeichnet wird, sowie Angstsymptome bei demenziellen Erkrankungen. Suizid ist ein globales Problem der öffentlichen Gesundheit und betrifft jedes Alter. Am häufigsten betroffen sind Menschen im höheren Lebensalter, wobei Männer viel häufiger betroffen sind als Frauen. Insgesamt betrifft ein Drittel aller Suizide Menschen über 65 Jahre, und das Suizidrisiko steigt mit dem Alter an. Ältere Männer haben das höchste Suizidrisiko (hohe Dunkelziffer von Depressionen bei Männern, die sich häufig hinter Sucht- und Risikoverhalten verbergen). Die wichtigsten Risikofaktoren für Suizid bei älteren Menschen sind (neben dem Faktor Geschlecht):

  • psychische und körperliche Erkrankungen, chronischer Schmerz
  • Einsamkeit und soziale Isolation
  • Verlust geliebter Menschen, der gewohnten Umgebung
  • Erleben steigender Abhängigkeit; auch keine „Last“ mehr sein zu wollen für andere

Suizidprävention bei älteren Menschen kann deshalb nur gelingen, wenn sie nicht nur den genannten Risikofaktoren entgegenwirkt, sondern auch dieser selbstverständlichen Akzeptanz von Suizid im Alter. Es braucht ein „Weg mit dem doppelten Stigma“, das mit alt sein und psychisch krank sein verbunden ist – für eine „psychische Gesundheit für alle“, ein Leben lang.

Ältere Menschen in der Coronakrise

Ganz aktuell sind ältere Menschen besonders betroffen von den vielfältigen psychosozialen Belastungen im Zusammenhang mit der Coronakrise. Ein Teil hat große Angst, sich mit dem Coronavirus zu infizieren und zu sterben – zusätzlich zu den Sorgen um die häufig vorbestehenden körperlichen und psychischen Erkrankungen sowie um die Grund- und medizinische Versorgung. Außerdem gehören ältere Menschen zu der am häufigsten von Einsamkeit und sozialer Isolation betroffenen Bevölkerungsgruppe. Zudem fehlt es oft an digitalen Möglichkeiten und/oder technischem Know-how sowie an kognitiven Voraussetzungen (insbesondere bei Demenzerkrankungen) oder auch an visuellen/auditiven beziehungsweise motorischen Voraussetzungen für Online-Kommunikation. Diejenigen, die Angehörige haben, vermissen diese (und umgekehrt!), und das gegenseitige Bedürfnis nach persönlichem, physisch nahem Kontakt ist oft hoch. Deshalb sind die im Rahmen der Pandemie-Eindämmung notwendigen psychosozialen Maßnahmen für ältere Menschen, aber auch für ihre Angehörigen und professionelle Helfer besonders wichtig – ebenso wie den Zugang zu diesen aufzuzeigen und bei der Nutzung zu unterstützen.

Für Wiener wurde bereits vor einigen Monaten eine Telefonhotline eingerichtet, die eine erste hochprofessionelle telefonische Beratung und bei Bedarf auch Weitervermittlung bei psychosozialen Problemen im Zusammenhang mit COVID-19 bietet und auch von älteren Menschen genützt wird:

  • „Corona-Sorgenhotline“ Wien: 01 400 05 30 00