Die Schmerztherapie auf Frauen abstimmen

Frauen leiden häufiger unter Schmerzen und Schmerzerkrankungen, das gilt vor allem für Kopfschmerzen, Migräne und Spannungskopfschmerz, temporomandibuläre Schmerzen, Fibromyalgie, rheumatoide Arthritis und für das irritable Darmsyndrom. Untersuchungen unter Laborbedingungen belegen, dass Frauen die Schmerzintensität z. B. bei elektrischen, Hitze- oder Druck-Reizen höher einschätzen oder weniger lang als Männer bereit sind, den Schmerz zu ertragen. Dies weist darauf hin, dass die Schmerzsensoren bei Frauen möglicherweise empfindlicher sind und die Schmerzverarbeitung im zentralen Nervensystem deutlich sensibler ist. Dadurch wird auch eine Schmerzchronifizierung begünstigt.
Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Frauen im Vergleich zu Männern beim selben Schmerzreiz über eine schwächere körpereigene opioidvermittelte Aktivierung des endogenen Schmerzhemmsystems verfügen.

Einfluss der Hormone

Hormone haben einen maßgeblichen Einfluss auf das Schmerzgeschehen, wobei diese nicht einzeln, sondern in ihrem Zusammenspiel sowie in der Relation bzw. Dynamik ihrer Spiegel zu betrachten sind. Jedenfalls scheinen alle bedeutenden Sexualhormone modulierende Effekte auf Schmerzprozesse zu entfalten: Östrogene wirken sowohl an Gamma-Aminobuttersäure-(GABA-) als auch an bestimmten Glutamat-(NMDA-)Rezeptoren exzitatorisch, darüber hinaus proinflammatorisch und scheinen die Entwicklung chronischer Schmerzen zu fördern. Progesteron kann – von GABA-Rezeptoren vermittelt – anxiolytisch, hypnotisch und antikonvulsiv wirken. Das bei Frauen in geringerer Menge vorkommende Testosteron kann über seine Metaboliten sowohl GABA-erge als auch über Blockade von NMDA-Rezeptoren antiexzitatorische Wirkungen entfalten. Generell haben Androgene eher schmerzhemmende Eigenschaften und unterdrücken die Schmerzchronifizierung.
In den einzelnen Phasen des Menstruationszyklus ist die endogene Schmerzhemmung unterschiedlich stark ausgeprägt, was zu einer deutlich schwankenden Schmerzschwelle führt. Im Lauf der Schwangerschaft wird das endogene Hemmsystem zunehmend stärker und ist während der Geburt maximal aktiviert.

Die Unterschiede therapeutisch berücksichtigen

Die Tatsache, dass von Männern gewonnene Studienergebnisse auch heute noch häufig auf Frauen übertragen werden, kann zu unangemessenen Dosierungen und zu Unverträglichkeiten führen. So haben Frauen ein um 50 bis 70 % höheres Risiko für unerwünschte Arzneimittelreaktionen, darunter potenziell lebensbedrohliche wie Herzrhythmusstörungen.

Das individuelle Ansprechen auf Medikamente hängt von pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Faktoren ab, die sich zwischen den Geschlechtern z. T. beträchtlich unterscheiden. Einflussfaktoren sind u. a. die Magensäuresekretion, die intestinale Resorptionsfläche, die glomeruläre Filtrationsrate und die hepatische Clearance sowie die Relation von Muskelmasse, Fett- und Wassergehalt. Die Aktivität medikamentenabbauender Enzymsysteme (Cytochrom P450, glucuronidierende Enzyme) wird durch Hormone unterschiedlich beeinflusst (Abb.).

Für einige Schmerzmittel konnten geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wirkung und sogar gegensätzliche Effekte belegt werden.
Opioide wirken bei Frauen stärker, wobei die Wirkung später einsetzt und länger anhält. Weiters reagieren Frauen häufiger mit Übelkeit.
Ketamin, ein NMDA-Rezeptor-Agonist, scheint vor allem bei Frauen die zentrale Hypersensibilisierung perioperativ zu unterdrücken und somit die Opiatanalgesie zu potenzieren; daraus resultiert ein geringerer Opioidbedarf.
Nichtopioidanalgetika: Paracetamol scheint bei Frauen aufgrund einer geringeren Metabolisierungsrate länger wirksam zu sein.
Koanalgetika: Beim Antikonvulsivum Gabapentin dürfte die maximal erreichbare Plasmakonzentration bei Frauen höher sein, Nebenwirkungen wie Schwindel und Benommenheit sind häufiger.
Lokalanästhetika (LA): Lidocain hat bei Frauen ein größeres Verteilungsvolumen. In der Schwangerschaft wird empfohlen, die LA-Gesamtdosis zu reduzieren, da einerseits die neuronale Empfindlichkeit für diese Substanzen, andererseits auch die Toxizität zunimmt.

PRAXISMEMO

  1. Frauen leiden öfter unter Schmerzen sowie Schmerzerkrankungen als Männer und haben eine schlechtere endogene Schmerzhemmung.
  2. Hormonelle, genetische und psychologische Faktoren spielen bei schmerzbezogenen geschlechtsspezifischen Unterschieden u. a. eine Rolle.
  3. Therapeutisch sind eine adäquate Dosierung und mögliche Unterschiede in der Wirkung bzw. Wirksamkeit von Schmerzmedikamenten zu beachten.