Monoklonale Antikörpertherapie – was ist in der Pipeline?

Entsprechend der Amyloidkaskadenhypothese und ihren Erweiterungen stellt die Ablagerung von Amyloid den ersten Schritt der Pathophysiologie der Alzheimer-Erkrankung dar. Über Interaktionen mit der Tau-Proteinopathie und einer Vielzahl molekularer Downstream-Kaskaden kommt es letztlich zu synaptischer Dysfunktion und Neurodegeneration. Anti-Amyloid- und Anti-Tau-Therapien stehen daher im Zentrum der klinischen Forschung. Im Folgenden wird ein Update der rezenten Entwicklungen gegeben.

Immuntherapie gegen Amyloid-β

Aducanumab: Nach einer jahrzehntelangen Serie negativer Anti-Amyloid-Studien wurde am 7. Juni 2021 in einem beschleunigten Verfahren der monoklonale Antikörper Aducanumab durch die FDA zugelassen. Die Entscheidung erfolgte auf Basis von Daten aus einer 5-armigen Phase-Ib-Studie und zwei placebokontrollierten Phase-III-Studien. Beide Phase-III-Studien wurden nach einer Analyse auf Nichtwirksamkeit (Futility-Analyse) abgebrochen, wobei in einer der beiden Studien in der Hochdosisgruppe eine um 22 % verlangsamte Progression gegenüber Placebobezüglich Hauptendpunktes (Clinical-Dementia-Rating-Sum-of-Boxes-[CDR-SOB-]Skala) beschrieben wird und auch signifikante positive Effekte auf Kognition und Alltagsfunktion bestanden. Die zweite Studie replizierte diese Ergebnisse nicht. Die Zulassung der FDA erfolgte auf Basis der Reduktion der zerebralen Amyloidablagerung, und es wurde von der US-amerikanischen Agentur gefordert, eine dritte Studie bis August 2029 durchzuführen.

Nebenwirkungen

Nebenwirkungen der Aducanumabtherapie waren temporäre MR-Veränderungen, die in erster Linie durch Flüssigkeitsaustritt in das umgebende Gewebe von Gefäßen bedingt sind (ARIA-E). ARIA-E wurde bei etwa 35 % der Patient:innen in der Hochdosisgruppe gesehen, drei Viertel der Patient:innen waren aber klinisch asymptomatisch, und bei Absetzen oder Dosisreduktion der Therapie mit dem Antikörper bildeten sich die ödematösen Läsionen bei der überwiegenden Zahl der Patient:innen innerhalb von 4 bis 16 Wochen zurück. Eine Wiedereinleitung der Therapie ist möglich.

Am 17. 12. 2021 hat die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) den Antrag der Herstellerfirma auf Zulassung von Aducanumab zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung in Europa abgelehnt. Eine „konditionelle Marktzulassung“ könnte dann erfolgen, wenn noch ausführlichere Daten eingereicht würden und durch die noch einzureichenden Daten ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis für Patient:innen bestünde. Am 25. 2. 2022 reichte nun die Firma den Antrag auf Re-Evaluierung bei der EMA ein.

In einer rezenten Pressemeldung der Herstellerfirma wird eine randomisierte, placebokontrollierte Studie mit Aducanumab an 1.500 Teilnehmer:innen mit früher Alzheimer-Demenz (leichte kognitive Störung und leichtgradige Demenz) über 78 Wochen mit dem primären Endpunkt CDR-SOB angekündigt. Seit der FDA-Zulassung für Aducanumab haben drei weitere monoklonale Antikörper gegen β-Amyloid eine sogenannte „Breakthrough Therapy Designation“ (BTD) durch die FDA erhalten. Die FDA leitet mit dieser Designierung ein beschleunigtes Review- und Zulassungsverfahren für Substanzen ein, für die vorläufig klinische Evidenz für Wirksamkeit, die über bisherige Therapieverfahren hinausgeht, besteht. Eine solche Designierung erfolgte für die Substanzen Gantenerumab, Lecanemab und Donanemab. Während Donanemab und Lecanemab intravenös verabreicht werden, wird Gantenerumab subkutan gespritzt.

Gantenerumab

Die BTD für Gantenerumab beruht auf den Positronen-Emissions-Tomografie-(PET-)Substudienergebnissen von SCarlet RoAD und der Marguerite RoAD Open-Label Extension. Diese Untersuchungen zeigten, dass Gantenerumab in Dosen bis zu 1.200 mg subkutan alle 4 Wochen zu einer deutlichen β-Amyloidplaque-Entfernung über 24 Monate bei prodromaler bis moderater Alzheimer-Krankheit führt. In einer erst kürzlich veröffentlichen Arbeit zeigte sich eine weitergehende Reduktion über 36 Monate. Teilweise fielen die Amyloidplaque-Reduktionen unter die Positivitätsgrenze der PET-Nachweisbarkeit. Die derzeit laufenden GRADUATE-Phase-III-Studien evaluieren den klinischen Benefit bei prodomaler bis milder Alzheimer-Krankheit.

Donanemab

Donanemab ist ein monoklonaler Antikörper, der sich ausschließlich gegen Amyloid-β(p3-42) richtet, eine Pyroglutamat-Form von Amyloid-β (Aβ), die ausschließlich in Plaques vorkommt. Die Substanz wurde bei Patient:innen mit früher Alzheimer-Erkrankung (und Plaque-Nachweis in der PET) eingesetzt. 257 Patient:innen wurden randomisiert und erhielten über insgesamt 72 Wochen alle vier Wochen intravenös entweder Donanemab oder Placebo. Verumbehandelte zeigten auf der Integrated Alzheimer’s Disease Rating Scale nach 76 Wochen eine signifikant geringere Verschlechterung als Teilnehmer:innen unter Placebo und eine stärkere Abnahme der Amyloid-Plaques als Studienteilnehmer: innen unter Placebo. Die Ergebnisse für die meisten sekundären Endpunkte zeigten allerdings keinen wesentlichen Unterschied.

Lecanemab

Lecanemab (BAN2401) ist ein monoklonaler IgG1-Antikörper, der sich vorzugsweise gegen lösliches aggregiertes Amyloid-β richtet. In einer Phase-III-Studie an 854 Personen zeigte sich nach 18 Monaten ein Benefit zugunsten von Lecanemab in einer präspezifizierten statistischen Analyse, während nach 12 Monaten kein signifikanter Unterschied für den primären Endpunkt bestand. Amyloid Clearance wurde ebenso nachgewiesen. Eine Phase-III-Studie mit 14-tägiger Gabe der Substanz bei 1.795 Patient:innen (Clarity AD) ist derzeit im Laufen.

Konsequenz der Ergebnisse

In einer Stellungnahme der „Arbeitsgruppe neue Therapien“ des Deutschen Netzwerks Gedächtnisambulanzen (DNG) zu einer Zulassung unter Auflagen von Aducanumab in Europa im Rahmen des laufenden Zulassungsverfahrens bei der EMA wird festge-halten, dass trotz des angekündigten Starts weiterer konfirmatorischer randomisierter, placebokontrollierter Studien die Ergebnisse nicht vor 2026 zu erwarten sind. „Für alle Patient:innen, die heute an einer frühen Alzheimer-Demenz leiden, kommen die Ergebnisse dieser Studie damit zu spät.

Eine anzustrebende ‚Zulassung mit Auflagen‘ sollte sich daher möglichst nah an den Einschlusskriterien der klinischen Studien orientieren und regelmäßige MRT-Kontrollen zur frühzeitigen Erkennung von ARIA (Amyloid-Related Imaging Abnormalities) vorsehen, damit der Nutzen einer solchen Therapie trotz der noch eingeschränkten Datenlage das Risiko überwiegt“. In welchen zeitlichen Rahmen eine solche Zulassung auch immer fallen mag, die neuen monoklonalen Antikörpertherapien gegen die Alzheimer-Krankheit werden letztlich den Bedarf für Alzheimer-Spezialist:innen und Equipment sowie deren Einbettung in funktionierende Netzwerke, die den Bogen von der Früherkennung bis zum Therapiemonitoring spannen, erhöhen.

Wissenswertes für die Praxis

  • Die Pathophysiologie der Alzheimer-Erkrankung beruht zunächst auf der Ablagerung von β-Amyloid. Durch Interaktionen mit der Tau-Proteinopathie kommt es in der Folge zur Dysfunktion der Synapsen und zur Neurodegeneration.
  • Derzeit laufen mehrere Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit verschiedener monoklonaler Antikörper gegen β-Amyloid, aussagekräftige Ergebnisse aus Bestätigungsstudien werden jedoch nicht vor 2026 erwartet.
  • Die Entwicklung einer Impfung gegen pathologisches Tau-Protein ist weniger weit fortgeschritten als die Antikörpertherapie gegen β-Amyloid, vorläufige Ergebnisse scheinen aber vielversprechend.