10 Punkte für die Zukunft der Allgemeinmedizin – Punkt 9: Die wissenschaftlich fundierte Patientenversorgung

Die wissenschaftlich fundierte Patientenversorgung im Sinne der evidenzbasierten Medizin nach David Sacket, dem „Vater der evidence-based medicine“, ist ein wesentlicher Bestandteil der Allgemeinmedizin. Diese evidenzbasierte Herangehensweise macht es möglich, Patienten nach allgemein gültigen Richtlinien versorgen zu können. Der Grundstein hierfür sollte bereits frühzeitig, also noch während des Studiums, gelegt werden, ist auch Wissenschafts- und Forschungsminister Dr. Reinhold Mitterlehner überzeugt: „Der gesamthafte Blick eines Allgemeinmediziners spielt in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung eine wichtige Rolle. Obwohl diese Ausbildung grundsätzlich nach dem Studium angesiedelt ist, bemühen wir uns, diesen Aspekt über die Leistungsvereinbarungen des Ministeriums mit den medizinischen Universitäten bereits in Lehre und Forschung abzubilden. Der Grundstock einer wissenschaftlich fundierten Sichtweise wird daher bereits an den medizinischen Universitäten gelegt.“

 

 

 

Allgemeinmedizin für Studierende attraktiv machen

Die brennende Frage, die bestehen bleibt, ist nun: Wie kann die Allgemeinmedizin an den Universitäten als interessantes, eigenständiges Fach positioniert werden, um spezifisches Interesse bei den Studenten zu wecken und sie schon frühzeitig in Richtung evidenzbasierte Patientenversorgung auszubilden?
Bundesminister Mitterlehner betont, dass bereits Schritte in diese Richtung unternommen werden: „Seitens der Universitäten werden verstärkt die Voraussetzungen geschaffen, um im Zusammenspiel mit der späteren außeruniversitären Ausbildung das Interesse der Studierenden an einer künftigen Ausbildung für Allgemeinmedizin zu wecken.“

Patienten im Mittelpunkt

ÖGAM-Präsident Dr. Christoph Dachs bemängelt allerdings, dass bei der Bewertung allgemeinmedizinischer Entscheidungen die Bedeutung der individuellen klinischen Expertise und der Patientenpräferenz häufig zu Gunsten der externen Evidenz unterschätzt werde.
„Ziel muss es sein, die Patienten als wichtigen Teil allgemeinmedizinischer Entscheidungen in den Mittelpunkt zu stellen. Die Bedeutung gemeinsamer Entscheidungen darf nicht außer Acht gelassen werden!“, so Dachs. „Als Allgemeinmediziner mit wissenschaftlich fundierter Ausbildung ist es hier unsere Aufgabe, unseren Patienten im Rahmen dieses ‚Shared Decision Making‘ bewusst zu machen, dass die Behandlung im Kontext von Wissenschaft und Erfahrung erfolgen muss.“
Aus Sicht der ÖGAM ist es daher notwendig, die patientenzen-trierte Ausbildung von Beginn des Studiums an zu forcieren. Dazu braucht es eine andere Herangehensweise als bisher und eine Anstrengung von vielen Seiten. Die Studierenden sollten frühzeitig mit der allgemeinmedizinischen Sichtweise konfrontiert werden, indem sie tagesweise in allgemeinmedizinische Praxen gehen. Auch spezielle Ausbildungen in „Sommercamps“ sind angedacht, um das Interesse an Allgemeinmedizin zu stärken. Eine wesentliche Rolle spielt die Lehrpraxis im Klinisch-Praktischen Jahr (KPJ), die für alle Studierende in einer niedergelassenen Allgemeinmedizinpraxis verpflichtend sein sollte.
„Lehrende Ärzte müssen Lernenden die evidenzbasierte Medizin in ihrer Relativität im Sinn von David Sacket vermitteln. So sollte es gelingen, dass diese jungen Mediziner später aus einem ausgewogenen Mix aus allgemein gültigen Richtlinien und der eigenen Erfahrung im Einvernehmen mit ihren Patienten die geeigneten Behandlungsschritte setzen können“, so Dachs.
„Augenmerk muss dabei auch darauf gelegt werden, einem Missbrauch des Konzepts entgegenzuwirken!“, betont der ÖGAM-Präsident. „Heute noch ist es während des Studiums möglich, die allgemeinmedizinische Ausbildung im Rahmen des KPJ in irgendeiner Ambulanz zu absolvieren, das hat wenig mit allgemeinmedizinischer Sichtweise zu tun. Eine spezifische Situation gibt es in Wien. Wenn ein Medizinstudent die Ausbildung im KPJ an einem Wiener Krankenhaus absolviert, bekommt er 600 Euro an Aufwandsentschädigung, wenn er in der Allgemeinmedizinpraxis die Ausbildung macht, bekommen die Studierenden nichts. Ebenso der Lehrpraxisinhaber, der im Gegensatz zu den Med Unis keinerlei Honorierung für seine Lehrpraxistätigkeit bekommt. Das ist kontraproduktiv und widersinnig!“

 

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