„Ein wichtiger Schritt zu mehr Freiheit, Individualismus und Unabhängigkeit“

Künftig erhalten Wiener Ärzte das Geld für den Ordinationsbedarf direkt von der Krankenkasse ausbezahlt – und keine Produkte mehr als Sachleistungen. Damit kann jeder einkaufen, was er braucht. Wie kam es eigentlich zu dieser Neuregelung?

Johannes Steinhart: Es war eine beidseitige Überlegung, sowohl von der Ärzteschaft als auch von der Krankenversicherung. Es gab ja immer wieder Kritik und Beschwerden am alten System und der dort gelebten Praxis. Die Rückmeldungen waren etwa, dass die Produkte nicht den qualitativen Bedürfnissen entsprachen, die Lieferungen nicht die Notwendigkeiten widerspiegelten, manchmal nicht verfügbar waren, die Mengen nicht passten und vieles mehr. Wir hatten über Jahre hier zum Teil massive Kritik von den Kolleginnen und Kollegen – und die Krankenkasse war auch unglücklich über die zum Teil negativen Rückmeldungen. Dazu kommt, dass es immer wieder auch moderne Produkte gab, die nicht angeboten wurden und die dann von den Ärzten selbst bezahlt werden mussten.

Geht die Umstellung nicht auf Kosten des übrigen Honorartopfes?

Ganz im Gegenteil. Der Ordinationsbedarf war immer ein Faktor, den keiner gesehen hat, und er war immer dem Honorar zugerechnet. Kaum ein Arzt wusste, dass der Ordinationsbedarf schon bisher ein Teil des Honorartopfes der Ärzte war, über den aber niemand wirklich verfügen konnte. Der Ordinationsbedarf war also schon bisher nicht gratis, wie manche Kollegen vermuteten. Das hat uns sogar viel Geld gekostet. Geld, das wir jetzt direkt bekommen, um selbst einkaufen zu können, was wir wirklich brauchen. Das war der Deal: Wir haben gesagt, wenn wir das Geld bekommen, können wir uns vorstellen, dass wir den Bedarf selbst beschaffen, womit wir letztlich auch zur Stärkung des freien Berufs beitragen.

Warum stärkt das den freien Beruf des Arztes?

Ein dezentrales Wirtschaftssystem befördert Individualismus, Freiheit und die Unabhängigkeit des Einzelnen. Das könnte am Ende gar der weitreichendste Effekt des Phänomens Dezentralisierung sein, dessen Zeuge wir hier und auch global gerade werden. Umgekehrt leben totalitäre, auf Kontrolle ausgerichtete Systeme von Zentralismus. Wir sehen gerade jetzt mit dem Umbau der Krankenversicherungen, dass die Sozialversicherung immer zentraler, bürokratischer und, wenn man so will, auch autoritärer wird. Die Entscheidungsmacht soll bei uns Ärzten liegen und nicht bei einer anonymen bürokratischen Sozialversicherung, die bisher auch nach eigenem Gutdünken Volumen erhöhen oder senken konnte.