Die Anwendung von Phytopräparaten ist bei urologischen Erkrankungen weit verbreitet, nicht zuletzt, da diverse Arzneien und Nahrungsergänzungsmittel rezeptfrei bezogen werden können und sowohl von Ärzt:innen als auch von Apotheker:innen empfohlen werden.
Die wissenschaftlich orientierte Phytotherapie versteht sich in erster Linie als ergänzende oder auch alleinige Therapie in frühen Stadien, bei funktionellen Störungen bzw. chronischen Erkrankungen oder dann, wenn synthetische Präparate nicht vertragen werden oder unzureichende Effekte aufweisen.
Die Wirksamkeit der Phytotherapie als pflanzliche Behandlungsmethode wurde durch zahlreiche, vor allem pharmakologische Untersuchungen, aber zunehmend auch durch klinische Studien nachgewiesen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Kosten für große, breit angelegte Studien enorm sind und diese zu übernehmen, vor allem für kleine Hersteller, in vielen Fällen eine Herausforderung ist. Wichtig zu wissen ist, dass die Zusammensetzung und die Inhaltsstoffe einzelner Phytopräparate mit demselben Hauptwirkstoff durch die unterschiedlichen Gewinnungs- und Herstellungsverfahren durchaus verschieden sein können, wodurch Studien mit demselben Pflanzenextrakt nicht immer vergleichbar sind.
Am Beispiel des benignen Prostatasyndroms zeigt sich, dass die Phytotherapie vor allem im frühen Erkrankungsstadium bzw. bei dominierenden irritativen Symptomen eine gute Behandlungsoption darstellt. Das gilt analog auch für die ebenfalls sehr häufige Prostatitis, deren Behandlung mit synthetischen Präparaten oftmals nicht zielführend erscheint, zumal die Nebenwirkungen die gewünschten Effekte übertreffen können. Dazu kommen Berichte, die bisher sehr breit eingesetzte synthetische Medikamente in Verruf bringen. Allen voran sind hier die 5-Alpha-Reduktase-Inhibitoren Finasterid und Dutasterid zu nennen, denen neurologische Langzeiteffekte auf Kognition und Depression nachgesagt werden („Post-Finasterid-Syndrom“). Aber auch die Anwendung von Alphablockern wie Tamsulosin steht unter Verdacht, mehr Nebenwirkungen zu verursachen als bisher bekannt. Zwar sind Phytotherapeutika auch nicht frei von Nebenwirkungen, insgesamt aber wohl doch deutlich besser verträglich als synthetische Präparate. Das mag u.a. auch auf die sogenannte pleiotrope Wirkung, d. h. die Wirkungsentfaltung über mehrere Ansatzpunkte, zurückzuführen sein.
Zuletzt hielten Phytopharmaka ihren Einzug auch in die Leitlinien. Die aktuelle S2e-Leitlinie zu Diagnostik und Therapie des benignen Prostatasyndroms der Deutschen Gesellschaft für Urologie zieht Phytotherapeutika wegen ihrer dem Placeboeffekt überlegenen Wirkung als Alternative in Betracht. Eine Ende 2018 veröffentlichte Metaanalyse von 15 randomisierten, placebokontrollierten Studien über die Wirkung, Sicherheit und Verträglichkeit von Sägepalmenextrakt im Vergleich zu Tamsulosin hat vergleichbar gute Effekte auf die Verbesserung der Symptome und der Harnflussrate ergeben, wobei die Verträglichkeit jener von Tamsulosin deutlich überlegen war und das Prostatavolumen signifikant abgenommen hatte.
Andere Wirksubstanzen wie die Extrakte aus Brennnesselwurzel, Kürbiskernen oder der Afrikanischen Lilie weisen eine nicht so solide Studienlage auf, wenngleich auch hier verschiedene Effekte beschrieben werden. Manche der bei uns bisher erhältlichen Präparate mit solchen Inhaltsstoffen sind wieder vom Markt verschwunden, was insofern bedauerlich ist, als weniger sorgfältig überprüfte Nachfolger aus dem Bereich der Nahrungsergänzungen auf den Markt drängen und in Drogerien frei erhältlich sind. Präparate aus pharmakologischer Herstellung sind wegen ihrer überprüfbaren Inhaltsstoffe und Dosierungen jedenfalls vorzuziehen.
Die zunehmende Resistenzentwicklung, die dem breiten Einsatz von Antibiotika zu verdanken ist, mag dazu beigetragen haben, dass pflanzliche Therapieansätze auch bei Harnwegsinfekten ihren Weg in die wissenschaftlichen Leitlinien gefunden haben. Beispiele hierfür sind D-Mannose und Bärentraubenblätter, die in der Behandlung unkomplizierter Harnwegsinfekte empfohlen werden. Viele Frauen verwenden bei Harnwegsinfekten Extrakte aus der Preiselbeere oder der Cranberry, obwohl die wissenschaftliche Evidenz geringer ist. Diese miteinander verwandten Beerenpflanzen enthalten Arbutin, ein antibakteriell wirksames Phenolglykosid, sowie Proanthocyanidine, die als Adhäsionshemmer für uropathogene Stämme von E. coli wirken. Bessere Evidenz gibt es für die Anwendung einer Kombination aus Kapuzinerkressen- und Krenwurzelextrakt, die einer Antibiotikatherapie zumindest ebenbürtige Wirkung gezeigt haben, allerdings ohne deren Nebenwirkungen und Resistenzentwicklungen – sogar bei Tragen eines Dauerkatheters. Eine prospektive, randomisierte Doppelblindstudie, in der ein Präparat aus Tausendgüldenkraut, Rosmarin und Liebstöckel im direkten Vergleich zu einer Antibiotikatherapie bei Patient:innen mit Harnwegsinfekt untersucht wurde, zeigte ebenfalls eine dem Antibiotikum Fosfomycin ebenbürtige Wirkung.
Daneben gibt es eine ganze Reihe von pflanzlichen Wirkstoffen, die entweder einzeln oder in Mischrezepturen zur Aquarese eingesetzt werden. Dazu gehören beispielsweise Goldrute, Birkenblätter, Hauhechel, Brennnessel u.a., die meist in Form von Kräutertees hergestellt werden, die allerdings den strengen Regeln des Arzneibuches entsprechen sollten.
Die Phytotherapie hat einen festen Platz in der Behandlung von urologischen Erkrankungen, allen voran dem Harnwegsinfekt oder dem benignen Prostatasyndrom. In frühen Erkrankungsstadien mit überwiegend funktionellen Störungen ist sie als alleinige oder komplementäre Behandlungsform gut etabliert und wird auch gerne angenommen. Sie sollte – wie jede andere Therapie – mit Maß und Ziel eingesetzt werden, um Schäden zu vermeiden. Für die Behandlung von gravierenden oder gar lebensbedrohenden Symptomen ist sie meist ungeeignet. Beachtet man diese Grundsätze, so kann man den Patient:innen zufriedenstellende und zumeist gut verträgliche Behandlung anbieten.